NEO-ZAPATISMUS UND ROCKMUSIK: Guns and guitars

Die Feiern zum 10. Jahrestag des zapatistischen Aufstandes im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas verliefen eher bescheiden. Dafür tut sich derzeit so manches in der mexikanischen Musikwelt.

Pro-zapatistisch: Die erfolgreichen Politrocker von „Rage against the Machine“ aus den USA.

Benjamin Anaya, 40 Jahre, aus Mexiko-Stadt, ist ein ebenso engagierter wie renommierter mexikanischer Rockgitarrist. Hauptberuflich ist Anaya Vizedirektor der „Mexikanischen Tanzakademie“, daneben hat er zahlreiche Artikel und Buchbeiträge veröffentlicht, darunter auch das Buch „Neozapatismo y Rock Méxicano“. Die woxx hat sich mit ihm unterhalten.

woxx: Welchen Einfluss hatte und hat der Zapatismus auf die mexikanische Rockmusik?

Benjamin Anaya: Einen sehr starken. Am 1. Dezember haben wir hier in Mexiko „20-10“ gefeiert – 20 Jahre Gründung der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) und 10 Jahre bewaffneter Aufstand in Chiapas. Zur Feier gab es ein Konzert mit 20 mexikanischen Bands, darunter bekannte Bands wie „Los de Abajo“, „Panteón Rococo“, „Salario Minimo“, „Antidoping“ und viele andere. Rund 80.000 – 100.000 Menschen besuchten das Event, obwohl nur die EZLN und die Bands mitgewirkt hatten und kein einziges Unternehmen aus der Unterhaltungsindustrie. Die Musikszene Mexikos ist vom Zapatismus durchdrungen. Nicht nur Musikrichtungen wie Ska, Reggae, Punk, Garage und Hardcore, die üblicherweise ja am ehesten mit Widerstandsbewegungen in Verbindung gebracht werden, sondern auch Jazz und gar klassische Musik. Erstaunlicherweise war es das nationale Symphonieorchester, das die Verbindung von Musik und Zapatismus bisher am eindrucksvollsten zum Ausdruck gebracht hat: mit einer 1994 aufgenommenen CD, die Zapata auf dem Cover hatte und Instrumente wie die chiapanekische Marimba eingespielt hatte.

Bleibt der zapatistische Einfluss auf die nationale Musikszene beschränkt oder gibt es auch Reaktionen ausländischer MusikerInnen?

Durchaus. Musiker aus vielen anderen Teilen der Welt haben zapatistische Gedankensplitter in ihre Musik eingebaut. Wir finden Ausschnitte aus den Reden des Subcommandante Marcos als Samples auf CDs, andere Musiker haben Beiträge der EZLN verarbeitet wie etwa Manu Chau und seine vorherige Band „Mano Negra“, „Rage against the Machine“, Fermin Muguruza, „Banda Bassotti“, „99 Posse“ und andere. In Lateinamerika wurde der Zapatismus von der brasilianischen Megaband „Paralamas“ aufgegriffen, von den Argentiniern Fito Paez und Charlie García … und es sind darüber hinaus mindestens drei internationale Solidaritäts-CDs entstanden.

Was für Beispiele gibt es noch für die Omnipräsenz des Zapatismus in der mexikanischen Rockmusik?

Bis zum Aufstand war der Rockmusikmarkt in Mexiko völlig in den Händen von transnationalen Konzernen und unter Musiker und Musikerinnen herrschte die Überzeugung, man könne nur mittels der mexikanischen Labels der transnationalen Musikkonzerne – BMG Ariola, Warner, Sony und Universal – etwas erreichen. Außerdem haben nur BMG und Sony Presswerke für CDs in Mexiko, alles andere wird importiert. Das ist auch der Grund, warum es in Mexiko einen Riesenmarkt an Raubkopien gibt. Nach dem Auftauchen der Zapatistas sind dann, der Logik der Autonomie entsprechend, die ersten Independent-Labels in Mexiko aufgetaucht. Aber davor noch hatten sich MusikerInnen verschiedenster Stilrichtungen zusammengetan, um gemeinsam Konzerte zu organisieren. Das hat dazu geführt, dass es heutzutage in Mexiko keine rigide Trennung mehr zwischen den Musikstilen gibt, nicht einmal mehr zwischen ihren Fans. Die Gruppen spielen zusammen, und du kannst auf einem Konzert eine Jazzband, eine Punkrockgruppe und Folkmusiker hintereinander, manchmal sogar zusammen auftreten sehen. Auch das ist auf die Zapatistas zurückzuführen.

Die MusikerInnen haben also begonnen, sich zu organisieren …

Das ist der zweite wichtige Effekt der Zapatistas auf die Musikszene. Vor allem zwei Kollektive, „El serpiente sobre ruedas“ und „La Bola“ haben große Bedeutung. Sie organisieren gemeinsame Aktionen und große Konzerte für einen guten Zweck, meistens zur Unterstützung der zapatistischen Gemeinden. „La Bola“, wie die revolutionären Gruppen Zapatas auch genannt wurden, hängen viel mit Leuten von der Uni, der UAM, zusammen. Das ist ein sehr produktiver Kreis, in dem nicht nur Musik, sondern auch Videos, freies Radio und ähnliches gemacht wird. Sechs freie Radiosender in Folge sind in Mexiko-Stadt entstanden. Diese Sender sind allerdings dem Druck der vermeintlich linken Stadtverwaltung ausgesetzt. Denn sie werden nicht als ernst zu nehmende, mediale Beiträge zur Kultur oder Politik des Landes angesehen, sondern einfach nur als Affront gegenüber den kommerziellen Sendern, die Steuern zahlen. Einer dieser Sender, Radio Zapote, ist zapatistisch. Er befindet sich in den Räumen des nationalen Anthropologieinstituts, in denen die Zapatisten übernachteten, als sie in Mexiko-Stadt waren. Auch dort sind viele Konzerte organisiert worden. Diese Radios sind Folge der zapatistischen Bewegung und haben umgekehrt ihrerseits viel dazu beigetragen, alternative Nachrichten und Informationen über die Zapatisten und Chiapas zu verbreiten.

Zurück zu den Bands: Nicht mit allen scheint es gut zu klappen. Ich denke da an das genervte Schreiben, das die Zapatistas der international erfolgreichen Gruppe „Maná“ schickten.

Das stimmt. Maná hat immer wieder Einiges für die Zapatisten getan. Aber als Mainstream-Band finden deren Musiker kaum Zeit, weiter an ihrer politischen Bildung, vor allem an einer radikaleren Ausrichtung zu arbeiten. Zum Marsch der Zapatisten nach Mexiko-Stadt vor zwei Jahren taten sich „Tele Atzteca“ und „Televisa“ zusammen und organisierten das Konzert „Vereint für den Frieden“. Das sind nicht nur die zwei größten TV-Sender Mexikos, sie gehören auch noch zu den größten weltweit und sind regelrechte Speerspitzen des Kapitalismus und des Neoliberalismus. Sie gelten zudem als Alliierte der Mächtigen, erst der PRI und jetzt der PAN. Auf jenem Konzert spielten Maná und „Jaguares“, die zwei spanischsprachigen Bands Mexikos mit den größten internationalen Erfolgen. Die Veranstaltung fand im Atzteken-Stadion statt, mit rund 120.000 Sitzplätzen eines der größten der Welt. Das Konzert schien Druck auf die Zapatisten ausüben zu wollen, damit diese ein Friedensabkommen unterschreiben. Schließlich hat Maná sich vor ihrer Spanien-Tour – das war, als Subcommandante Marcos gerade wegen seiner Erklärungen zur Situation im Baskenland als ETA-nah attackiert wurde – auf einer Pressekonferenz von den Zapatistas distanziert. Daraufhin schrieb Marcos, es sei den Zapatistas völlig egal, was Maná macht und sagt. So hat Marcos die Dinge wieder auf ihren politischen Grundgedanken zurück bezogen, was auch gut und richtig war.

Derzeit arbeitet Banjamin Anaya an einer überarbeiteten Neuauflage seines Buches „Soundtrack rebelde – la musica del Neozapatismo“, das dieses Jahr erscheinen wird.
Von den Einnahmen aus dem Verkauf seiner Bücher will Benjamin Anaya Gitarren kaufen, die er dann in die zapatistischen Gemeinden bringen wird.


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