TOURISMUS: Stop and Go

Luxemburgs Touristikunternehmen haben sich ihre neueste Attraktion im Ausland abgeguckt: Sightseeing im roten Cabrio-Doppeldeckerbus, selbst für Rucksack-
TouristInnen kein Grund zum Boykott.

„Da wohnt Peter Pan. Siehst du die Mini-Fee“, ruft ein Junge mit blauem Käppi und zeigt auf eine Turmspitze. „Nein, da ist ein Flieger“, widerspricht ein anderer. Das Jugendstil-Bauwerk mit violetten Steinen beflügelt die Phantasie der Kinder. Vielleicht ist es aber auch die Luft, die den sieben Jungen im oberen Stockwerk des neuen Luxemburger City-Sightseeing-Bus um die Nase weht.

Elisabeth Engel ist keine Touristin, aber die Tour lässt sie sich nicht entgehen. Spontan verlegt sie den Kindergeburtstag ihrers siebenjährigen Sohnes in den Bus. Yann ist nicht ihrer Meinung, wird aber von seinen sechs Freunden überstimmt.

Das Luxemburger Touristikunternehmen Voyages Emile Weber hat der deutschen Hauptstadt Berlin gleich zwei ihrer roten Doppeldecker abgekauft und ihnen das schrille Design des Franchise-Unternehmens City Sightseeing Worldwide verpasst.

Seit zwei Wochen schieben sich die beiden durch die Luxemburger Hauptstadt. Morgens um 9.30 Uhr startet der erste seine einstündige Tour am Place de la Constitution, der zweite folgt eine halbe Stunde später. Aber die Konkurrenz schläft nicht. Voyages Sales Lentz starten ihren Doppeldecker-Bus im Mai mit günstigeren Preisen. Statt neun Stopps bieten sie aber nur sechs, die Fahrtdauer ist die gleiche.

Familie Engel hat den letzten Bus um 17.30 Uhr erwischt. „Da ist die Kathedrale“, sagt die Mutter. Christopher beeindruckt die spätgotische Hallenkirche wenig. „Was steht da Nothammer?“, fragt er Yann und zeigt auf ein kleines Schildchen im Bus. Das Geburtstagskind ist ganz ruhig, lauscht den Gesprächen seiner Freunde und verdrückt nebenbei ein Tütchen Weingummi. Die Fahrt geht am großherzoglichen Palast vorbei, weiter zu den Kasematten bei den drei Eicheln.

„Das Konzept für die Tour besteht schon seit Oktober 2000“, sagt Marc Schneider, Produktmanager bei Voyages Emile Weber. Nach den Anschlägen vom 11. September sei es zunächst wieder eingestampft worden, weil die Zahl der Touristen auch in Luxemburg sank. Das habe sich aber längst wieder geändert. Das Luxemburger City Tourist Office registrierte im vergangenen Jahr rund 257.000 BesucherInnen.

Der Doppeldecker hat die Straße am Stadtpark entlang eingeschlagen und damit ist es auch um Yanns Geduld geschehen. Stillsitzen, während unten Kinder im Park spielen, das ist zu viel verlangt. „Wir gehen auch gleich dorthin“, beruhigt ihn Mutter Elisabeth. An der nächsten Station am Robert-Schumann-Gebäude steigen sie aus.

Im Bus kehrt plötzlich Ruhe ein. Ungestört können die Fahrgäste nun der Stimme aus den Kopfhörern lauschen: „Links befindet sich die Philharmonie. Das Auditorium bietet bis zu 1.220 Plätze an, ausweitbar auf 1.500 Plätze. Zwischen der Philharmonie und dem Hochhaus entsteht das Dolmetscherzentrum.“

Unter den zehn Passagieren befindet sich sogar noch ein Geburtstagskind. Dieter Hensellek hat sich zum 40. einen Familienausflug nach Luxemburg gewünscht. „Vor sieben Jahren, als wir in Frankreich waren, bin ich an der Stadt vorbeigefahren. Seitdem wollte ich immer mal hierher“, erzählt der Rheinländer. Neben ihm sitzt sein jüngster Sohn Mario.

Der Sechsjährige ist Fahrzeugfreak und Tatoofan – auf seinem linken Arm prangt ein riesiger Aufdruck eines Abziehbildes, ein Männerkopf. Ihm kann die Busfahrt nicht lange genug dauern, nur die Kopfhörer sind ihm bald lästig.

Ein Audio-System mit acht Sprachen soll die klassische Reiseführung ersetzen. Noch ist die Ansage aber nicht optimal. „Das Band ist zu lang“, informiert Busfahrer Jürgen Ludwig am Abend Produktmanager Marc Schneider. Die Aufnahmequalität ist nur mäßig gut, die Pausen sind mit einem Song von „Tea for Two“ unterlegt, der aber kaum zu hören ist.

Jürgen Ludwig ist ganz verliebt in seinen Berliner Bus. „Viele Kollegen wollten den Job nicht machen, der ist ihnen zu stressig“, sagt der gebürtige Berliner. Das, was die anderen abschreckt, macht ihm besonders viel Spaß: Der enge Kontakt zu den Fahrgästen. 71 haben in dem Doppeldecker Platz.

Auf Wunsch und je nach Witterung kann Jürgen Ludwig das gelbe Busdach öffnen oder schließen. Berauscht von den ersten warmen Sonnenstrahlen unterschätzen die Gäste aber den Fahrtwind. So auch eine junge Frau, die mit ihrem Freund einen der hinteren Open-Air-Plätze belegt hat. Hastig zieht sie ihre weiße Kapuze über die rotgefärbten
Locken und den Reißverschluss bis zum Anschlag hoch.

Die Tour führt an rund 80 Sehenswürdigkeiten vorbei: an der „Gölle Fra“, dem großherzoglichen Palast, dem Robert-Schuman-Denkmal, dem Generalsekretariat des EU-Parlamentes (höchstes Gebäude Luxemburgs mit 22 Stockwerken), dem Krankenhauszentrum Kirchberg, dem Utopolis, dem Bankenzentrum und dem Bahnhof. Mit einem Tagesticket, das tatsächlich ab Kauf 24 Stunden gültig ist, kann man an jeder Haltestelle aus- und wieder einsteigen: „Hop on – Hop off“ titelt das Busunternehmen daher auch auf seinen Flyern.

Da Familie Hensellek nur einen Tag in Luxemburg verbringt, zieht sie die Rundfahrt am Stück vor. Highlight ist für Sohn Oliver das gläserne Nationale Kultur- und Sportzentrum, d’Coque.

Wenige Gehminuten entfernt liegt die Europaschule. „Um den Kindern der Europabeamten Möglichkeit zu geben Unterricht in ihrer Muttersprache zu erhalten, wurde bereits 1953 eigens für diese Schüler eine Sonderschule eingerichtet … die bis zu 3.600 Schüler aufnehmen kann.“ „École heißt Schule“, erklärt Brigitte Hensellek ihren Söhnen, während das Tonband weiterläuft.

Als die Fahrt über die rote Brücke führt, sehen sie plötzlich ein Flugzeug am Himmel. „Das sieht aus, als stehe es in der Luft“, sagt Vater Dieter, greift zum Fotoapperat und steht auf – obwohl das während der Fahrt verboten ist. „Ich brauche ein Mikro“, verlangt der Busfahrer abends zurecht von seinem Chef. „Wenn erst einmal die Seitenfenster runtergeklappt werden, wird es sonst zu gefährlich. „Aber damit das geht, müssen auf Kirchberg in der Rue Monnet erst die Bäume gestutzt werden“, erklärt er.

Voyage Emile Weber setzt bei seiner neuen Touristen-Attraktion vor allem auf die Fahrt über Kirchberg und überzeugt – vor allem Luxemburger. „Hier fährt man sonst einfach nur durch und sieht sich nichts an“, sagt Norbert Oe, Lehrer an einer Primarschule in Düdelingen. Mit den Sechstklässlern nimmt er gerade Luxemburg-Stadt durch. Er hat den Doppeldecker jetzt getestet und ist beeindruckt: „Ich mache mit der Klasse die Tour, wenn das Kapitel im Geographiebuch abgeschlossen ist.“

Selbst LehrerInnen lernen so dazu, zum Beispiel, dass der „lange Banker“ Schuhgröße 96 hat: „Den Eingang zum Bankenviertel kennzeichnet die Figur zu ihrer Rechten – Der lange Banker. Ausgeführt in Bootsbautechnik ist die Figur außen aus Plastik, im Innern aus Stahl.“


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