TOURISMUS: Puzzle-Teile für einen nachhaltigen Urlaub

Nachhaltigkeit – der Begriff stammt aus der Forstwirtschaft. Er bedeutet, dass nur so viel Wald verbraucht werden darf, wie nachwachsen kann. Die Maxime lässt sich auf den Tourismus übertragen: Kommende Generationen von Wanderern zum Beispiel sollen sich genauso an intakter Bergnatur erfreuen wie die jetzige. Dabei ist neben der ökologischen Dimension immer auch eine soziale und eine ökonomische zu beachten. Im Idealfall schont nachhaltiger Tourismus also die Umwelt, schafft gut bezahlte Arbeitsplätze und hält das erwirtschaftete Geld in der Region.

Tourismus ja, aber bitte nachhaltig! (FOTO: WIKIMEDIA)

Den hohen Ansprüchen steht die schiere Masse an Touristen entgegen, die sich jedes Jahr über den Globus bewegen. 2013 zählte die UN-Welttourismusorganisation über eine Milliarde grenzüberschreitende Reiseankünfte. Nur ein Teil kann als nachhaltig bezeichnet werden. Etwa der Aufenthalt in der Cusinga Lodge, gelegen im Meeresnationalpark Ballena in Costa Rica. Der Strom wird hier komplett aus Sonnen- und Wasserenergie gewonnen. Zudem engagieren sich die Betreiber beim Schutz des Regenwaldes und der Buckelwale, die vor der Pazifikküste ihre Runden drehen. Darum trägt die Anlage das Umweltsiegel der costaricanischen Tourismusbehörde. Genauer 5 von 5 möglichen Blättern – die höchste Auszeichnung.

Wer sich vor der Reise informieren will, sollte auf Nachhaltigkeitslabel achten. Sie kennzeichnen komplette Reiseangebote oder einzelne Hotels, die bestimmte Kriterien erfüllen. Zu denen gehören: sparsamer Umgang mit Wasser, Nutzung erneuerbarer Energien, Förderung des öffentlichen Nahverkehrs und des regionalen Bioanbaus, ordentliche Arbeitsverträge fürs Hotelpersonal, Wahrung der lokalen Identität.

Allerdings gibt es inzwischen Dutzende von Auszeichnungen. Sie heißen Green Globe, Travellife, Earth Check, Nature’s Best. In diesem „Labeldschungel“ geht die Orientierung schnell verloren. Darum haben mehrere Organisationen, unter anderem die UN-Welttourismusorganisation, den Weltrat für nachhaltigen Tourismus (GSTC) gebildet. Der formulierte globale Kriterien, mit denen all die Labels und Auszeichnungen
besser miteinander verglichen werden können.

Der „Travel and Tourism Competitiveness Index“ beurteilt alle zwei Jahre die touristische Wettbewerbsfähigkeit von Ländern. Ein Unterpunkt lautet: Nachhaltigkeit. Österreich belegt hier den sechsten Platz. In dem klassischen Urlaubsland werden umwelt- und sozialverträgliche Reisebestandteile immer wichtiger. Im Positionspapier der Österreich-Werbung etwa heißt es: Nachhaltigkeit wirkt noch nicht als „zentrales Motiv bei der Reiseentscheidung“, muss aber „in die Kerngeschäfte des Tourismus integriert werden“. Die Ausrichtung auf nachhaltige Angebote gebe dem inländischen Tourismus „neue Chancen der Positionierung“ im internationalen Wettbewerb.

Die Nachhaltigkeit muss für Gäste erleb- und wahrnehmbar sein, steht weiter in dem Papier. Dafür sind gut zu vermarktende Ideen erforderlich. An denen besteht kein Mangel. Die „Ramsauer Bioniere“ etwa – Biobauern, Hoteliers und Gastronome aus dem Urlaubsort am Dachstein – bieten einen „vollbiologischen“ Urlaub. Die Speisen sind frei von Gentechnik und gentechnisch veränderten Organismen. Zudem wird auf chemisch-synthetische Pflanzen- und Lagerschutzmittel, künstliche Aromen und Farbstoffe verzichtet.

Nach Verzicht dürfen nachhaltige Angebote allerdings nicht klingen. Denn wer will beim Urlaub schon verzichten? Auch das „Null-Kilometer-Menü“ im Nationalpark Hohe Tauern stellt darum den Genuss in den Vordergrund. Ein überdachtes Elektro-Dreirad fährt die Gäste abgasfrei zu Picknickplätzen in der Natur. Das umweltfreundliche Gefährt hat Produkte von lokalen Bauern geladen, Wild, Gemüse, Kräuter. Die werden dann mit Blick auf imposante Alpenkulissen verzehrt.

Werfenweng im Salzburger Land wirbt schon seit 1997 mit „Sanfter Mobilität“ (SAMO). Wer mit dem Zug anreist oder das Auto vor Ort stehen lässt, kommt in den Genuss von Gratis-Angeboten: Transfer vom und zum Bahnhof, Taxi innerhalb Werfenwengs, Nutzung von „Spaßfahrrädern“ und E-Bikes. Auch der „Grashüpfer“, ein Biogas-Mietauto, kostet den SAMO-Gast nichts. Anreizsysteme à la Werfenweng zielen auf den umweltschädlichsten Teil des Urlaubs, die Anreise. Im besten Fall kommen die Gäste mit der Bahn statt mit dem Auto. Bei einer gefahrenen Strecke von 200 Kilometern beträgt die Kohlendioxid-Ersparnis dann immerhin 26 Tonnen, wie der Klimarechner des Ferienortes anzeigt.

Ablasshandel

Um viel größere Distanzen, 10.000 Kilometer und mehr, geht es bei Fernreisen. Hier stößt Nachhaltigkeit unvermeidlich an Grenzen. Ein Vietnam-Urlaub kann ökologisch niemals nachhaltig sein, dazu ist der Treibhausgasausstoß beim Flug viel zu hoch. Der Weltklimarat hat ausgerechnet, dass Tourismus für 3,9 bis 6 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich ist. Daher die Idee, den Treibhausgasausstoß eines Flugs zu „kompensieren“. Der Gast lässt seinen ökologischen Fußabdruck errechnen, dieser wird in einen Betrag umgerechnet, den er zusätzlich zum eigentlichen Flugpreis zahlt. Freiwillig natürlich. Das Geld landet dann in Klimaschutzprojekten, etwa zur Aufforstung von Regenwald.

Bei den Kompensationen gibt es mehrere Anbieter. Diese berechnen die fälligen Ausgleichsbeträge aber ganz unterschiedlich. MyClimate, eine Firma aus Zürich, kommt bei der Strecke Frankfurt-New York (hin und zurück in der Economy Class) auf 2,299 Tonnen Kohlendioxid. Die lassen sich mit einem Betrag von 51 Euro ausgleichen. Bei der Lufthansa wird anders gerechnet. Die Fluggesellschaft errechnet für dieselbe Strecke nur 1,111 Tonnen. Der Kompensationsaufpreis: nur 22 Euro. Die ökologischen Folgekosten eines Transatlantikflugs liegen also je nach Anbieter weit auseinander.

Fabian Kühnel vom Institut für Tourismuswirtschaft in Luzern bezeichnet die Kompensationen dennoch als „wertvolles Puzzle-Teil auf dem Weg in eine nachhaltigere Gesellschaft“. Mit dem Vorwurf, einen Ablasshandel zu betreiben, sollten Anbieter von Ausgleichszahlungen gut leben können. Fernreisen seien eben nicht wegzudenken aus dem Tourismus. Zudem entbinden die Kompensationen touristische Dienstleister nicht von der Verpflichtung, ihr komplettes Angebot nachhaltiger zu gestalten.

„Klimaneutral“ ist kein Urlaub – trotz Kompensation. Je weiter wir fliegen, desto mehr Kohlendioxid gelangt in die Atmosphäre – und gefährdet zuallererst kleine Urlaubsinseln mit feinsandigem Strand. Die verschluckt irgendwann der Ozean, so steht es in den Berichten der Klimaforscher. Ohne Urlauber geht es aber auch nicht: Die Inseln sind wirtschaftlich abhängig vom Tourismus.

Wie sieht der ideale Urlaub im Einklang mit der Natur aus? An eine Hotelburg voller Touristen denkt da kaum einer. Aber auch eine massive Konzentration kann nachhaltig sein, meint Fabian Kühnel. Drängen sich die Urlauber dabei auf einer kleineren Fläche, werden andere Naturräume drumherum von touristischer Nutzung frei gehalten. Die Skigebiete in den französischen Alpen etwa. Sie befinden sich zusammengedrängt an einem Fleck, so Kühnel. Angrenzende Gebiete bleiben so vom Tourismus verschont.


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