BERLINALE: „Nothing can prevent me from making films“

Mit der Vergabe des Goldenen Bären an den iranischen Regisseur Jafar Panahi hat die Jury der Filmfestspiele Berlin ein Zeichen für künstlerische Freiheit gesetzt. Und sie hat gezeigt, wie man einem vielfältigen Wettbewerb gerecht werden kann, ohne vor den „Größen“ der Branche zu Kreuze zu kriechen.

Love hurts, auch nach 45 Jahren: Tom Courtenay und Charlotte Rampling, beide Silberne Bären für beste Darstellung. (Foto: Agatha A. Nitecka © 45 Years Film Ltd)

Vielleicht liegt es einfach nur in der Natur der Sache: Kein Film ist eben wie der andere, auch wenn sie sich in Form, Genre oder Inhalt stark ähneln. Dennoch wundert man sich jedes Jahr über die Auswahl der Wettbewerbsbeiträge, ist man doch eigentlich überzeugt, dass es gemeinsame Nenner geben muss. Doch dann konkurriert ein wunderbar poetischer Dokumentarfilm („El botón de nácar“) mit einem überbesetzten Wüstenepos („Queen of the Desert“), trumpft die eine Regisseurin (Małgorzata Szumowska) souverän mit ihrem subtilen Familiendrama („Body“) auf, während die andere (Isabelle Coixet) ihren überfrachteten Schneeschlitten („Nadie quiere la noche“) ganz feierlich gegen die Wand fährt. Ein Autorenfilm, der sich selbst so schmerzhaft ernst nimmt, dass er nur noch knapp den Abstand zur Selbstgefälligkeit wahrt („Knight of Cups“), muss einen bescheidenen aber genialen Meta-Film („Taxi“) an sich vorbeiziehen lassen; große Namen (Herzog, Wenders, Malick, Dresen, Branagh) versprechen (zu)viel, und aufstrebende Neue (Sebastian Schipper) stehlen ihnen die Show. Dennoch gab es so was wie einen roten Faden bei dem Festival, denn viele der Filme im Wettbewerb wagten Grenzüberschreitungen, sowohl in der Form als auch im Inhalt. Und wie jedes Jahr gab es auch diesmal in den Reihen der FilmkritikerInnen ein fröhliches Wettraten um die Preisverteilung. Dabei konnte ein und derselbe Film die unterschiedlichsten Beurteilungen erhalten, von „garantierter Gewinner“ bis zu „schlechtester Film seit…“ Im Brustton der Überzeugung geschriebene Urteile von meist denselben Leuten, die bereits vor Festivalbeginn die Qualität der Wettbewerbsbeiträge beklagt hatten. Doch am Ende entscheidet einzig und allein die Jury, und hierbei ist es bis jetzt auch fast „Berlinale-Tradition“ gewesen, dass die Jury den Chor der Kritiker nicht unterstützt. Umso erstaunlicher, dass sich dieses Mal, obwohl sich der Wettbewerb als heterogener denn je darstellte, Jury und Kritiker einig waren – zumindest in den meisten Kategorien.

Same procedure as every year

Die Jury, der Darren Aronofsky, Audrey Tautou, Daniel Brühl, Martha de Laurentiis, Matthew Weiner, Bong Joon-ho und Claudia Llosa angehörten, hat Mut gezeigt, und weniger prominente, dafür aber überzeugende Produktionen prämiert. Dass der Goldene Bär an Jafar Panahi ging, kann und soll natürlich auch als Manifest der künstlerischen Freiheit gelesen werden. „Taxi“ ist der dritte Film des iranischen Regisseurs, seit ein Berufsverbot gegen ihn verhängt wurde. Nicht nur musste er seinen Film im Geheimen drehen, auch die Kopie musste heimlich aus dem Land geschmuggelt werden. Panahi ließ ein Statement veröffentlichen, in dem er sich zum Filmemachen bekennt: „I’m a filmmaker. I can’t do anything else but make films. Cinema is my expression and the meaning of my life. Nothing can prevent me from making films. Because when I`m pushed into the furthest corners I connect with my inner self. And in such private spaces, despite all limitations, the necessity to create becomes even more of an urge. Cinema as an Art becomes my main preoccupation. That is the reason why I have to continue making films under any circumstances to pay my respects and feel alive.“ Man würde dem Filmemacher jedoch nicht gerecht, wenn man nicht betonte, wie wunderbar sein Film „Taxi“, unabhängig vom politischen Kontext, tatsächlich ist. Wir sehen Panahi selbst als unerfahrenen Taxifahrer diverse Menschen durch Teheran chauffieren, unter anderem seine talentierte junge Nichte Hana Saeidi, die selber einmal Filme machen möchte. Sind es nun Schauspieler, die wahre Geschichten nachspielen? Was ist inszeniert, was ist „Realität“? Wie schon in seinem letzten Film „Pardé“ spielt Panahi mit Wirklichkeitsebenen; am spannendsten ist die Szene, in der seine Nichte ihm erklärt, was, laut ihrer Lehrerin und dem iranischen Kulturministerium, in einem Film erlaubt ist und was nicht – und das Publikum erkennt, dass Panahi jede einzelne der aufgezählten Regeln in diesem Film bereits gebrochen hat.

Während Panahis „Taxi“ unter Insidern schnell als Favorit galt, gab es bei einigen Entscheidungen der Jury Überraschungen. So fand der chilenische Beitrag „El botón de nácar“ von Patricio Guzmán allgemeines Lob, nur war nicht klar, wie diesem Dokumentarfilm, der mit viel Bildgewalt und Poesie die blutige Geschichte Chiles anhand zweier Geschichten von Perlmuttknöpfen erzählt, als einziger „nicht-fiktionaler“ Beitrag gewürdigt werden könnte. Doch die Jury entschied weise, Guzmán den Silbernen Bären für das beste Drehbuch zu geben. Dass der zweite chilenische Beitrag, „El Club“ von Pablo Larraín, auch gleich einen Silbernen Bären, den Großen Preis der Jury, einheimsen konnte, war schon erstaunlicher. Diese schonungslose Abrechnung mit der katholischen Kirche zeigt, wie weit sogenannte Gottesdiener gehen, um das Ansehen ihrer Institution zu wahren. Ein kompromissloser Film, der jedoch locker seine großen „Konkurrenten“ an die Wand spielte.

Im Ringen um den Silbernen Bären für beste Regie kürte die Jury gleich zwei Namen, und erfreulicherweise keinen der „usual suspects“: Małgorzata Szumowska zeigt in „Body“ eine einfühlsame, aber nie pathetische Familiengeschichte, in der Körperlichkeit und (Über)sinnlichkeit feinfühlig inszeniert werden, während Rade Judes „Aferim!“ einen historischen Einblick in die osteuropäische Feudalgesellschaft des frühen 19. Jahrhunderts gibt. Auch letzterer Film dehnt die Definitionsgrenzen des reinen „Spielfilms“, beruht sein Drehbuch doch auf historischen Dokumenten, aus denen teilweise sogar Dialoge übernommen wurden. Da „45 Years“ von Andrew Haigh ebenfalls als Topfavorit für den Goldenen Bären galt, ist es wenig erstaunlich, dass seine fabelhaften Hauptdarsteller Charlotte Rampling und Tom Courtenay jeweils mit einem Silbernen Bären für ihre schauspielerische Leistung belohnt wurden. Der Film zeigt auf subtile Art und Weise, wie eine unbequeme Wahrheit auch nach 45 Jahren das Grundgerüst einer Ehe zerbrechen kann. Der Alfred-Bauer-Preis, also der Silberne Bär für den Film, der „neue Perspektiven öffnet“, ging an den guatemaltekischen Film „Ixcanul“ von Jayro Buscamente und bescherte damit Lateinamerika eine weitere Anerkennung. Die spannendste Entscheidung fiel in der künstlerischen Abteilung, wo der Preis ebenfalls ex aequo an zwei Kamerateams ging: Evgeniy Privin und Sergey Mikhalchuk erhielten für die Kameraarbeit in „Pod electricheskimi oblakami“ von Alexey German Jr. einen Bären, da die Jury hier einen Film mit einzigartiger Bildgewalt sah. Der zweite Silberne Bär für herausragende künstlerische Leistung ging an Sturla Brandth Grøvlen für die Kameraführung in „Victoria“ von Sebastian Schipper, von dem Jurypräsident Aronofsky betonte, er habe „seine Welt gerockt“. Der Film ist auch, produktionstechnisch gesehen, ein regelrechtes Himmelfahrtskommando: Das 2-Stunden-Werk ist in einem einzigen Take gedreht, hat also keine Schnitte. Regisseur Schipper wollte mit seiner atemlosen tour de force zeigen, dass Kino auch anders geht und nicht nur dieses „wohldressierte Tier von der Streichelwiese“ ist, sondern auch ein „Erlebnis von Gefährlichkeit“ bieten müsse. Der diesjährige Goldene Ehrenbär ging an Wim Wenders, dessen Lebenswerk in der Rubrik „Hommage“ geehrt wurde und dessen neuester Film „Everything will be fine“ außer Konkurrenz im Wettbewerb lief – und leider sehr enttäuschte. Genau wie in der Kritikerwertung gingen die Beiträge von Terrence Malick („Knight of Cups“), Werner Herzog („Queen of the Desert“) und Isabelle Coixet („Nadie quiere la noche“) bei der Siegerehrung leer aus.

Dit is Berlin

Zu sagen, die Begeisterung für die Berlinale sei in der ganzen Stadt zu spüren, wäre sicher übertrieben. Wer sich jedoch während ihrer Dauer in der Nähe des Potsdamer Platzes aufhält, wird unweigerlich in ihren Sog gezogen. Das Überwältigende an diesem Festival ist nicht nur sein Angebot, das mit rund 400 Filmen sogar Film-EnthusiastInnen an die Grenzen des Möglichen führt, sondern auch seine Attraktivität für das nicht-professionelle Publikum. Die Besucherzahlen erreichen jedes Jahr fast die 400.000, und wer bei Zahlen nur mit den Schultern zuckt, den können die Bilder der frühmorgendlichen Menschenschlangen vor den Verkaufsstellen nicht unbeeindruckt lassen. Wenn dann auch noch ein Sensationsstreifen wie der sehnsüchtig erwartete Softporno „50 Shades of Grey“ Weltpremiere feiert, sieht man sogar Schlafsäcke vor den Ticketschaltern. Doch das Publikum lässt sich nicht nur willig von offensichtlichen „Fliegenfallen“ der ominösen „Berlinale Special Gala“ einfangen – es interessiert sich auch für das Programm jenseits der Wettbewerbssektion. Insgesamt neun Festivalsektionen bieten Spielfilme, Dokumentationen, Kurzfilme, genreübergreifend und von unterschiedlichster Qualität. Bei den meisten Vorführungen sind die FilmemacherInnen sogar anwesend und Gespräche nach der Vorführung Usus. Dieses Jahr gab es übrigens leider keine Beiträge aus Luxemburg oder mit Luxemburger Beteiligung.

Festivals sind aber natürlich auch deswegen spannend, weil eben Preise vergeben werden. In Berlin werden neben den offiziellen der internationalen Jury (die oben genannten Bären) noch unzählige weitere Auszeichnungen von unabhängigen Gremien verliehen, wie etwa der Teddy-Award für Filme mit LGBT-Hintergrund oder auch Leser- oder Publikumspreise, bei denen die Besucherstimmen zählen. So werden in der Festivalsektion „Panorama“ die BesucherInnen zur Wahl gebeten und küren jedes Jahr jeweils einen Gewinner unter den Spiel- und Dokumentarfilmen. Diese Publikumsnähe nährt und pflegt Dieter Kosslick, dessen Vertrag als Festivaldirektor dieses Jahr bis 2019 verlängert wurde, mit Sorgfalt. Während wir Professionelle uns manchmal zu Recht ärgern, dass der eine Hollywood-Schinken unbedingt im Wettbewerb – wenn auch außer Konkurrenz – oder dass der andere Blockbuster als „Special Gala“ laufen muss, so sind es doch gerade diese Filme, beziehungsweise großen Namen, die den Glanz an die Spree bringen. Dieser Glanz wiederum zieht die Käufer an. Parallel zu den Festspielen läuft nämlich der European Film Market (EFM), bei dem es weniger um Bären als um Verträge, Förderungen, neue Projekte kurz: um Geschäfte geht. So wird klar, dass der „Glam“ nicht nur dem Publikum zuliebe inszeniert wird, sondern auch notwendig ist, um die Geschäfte ins Rollen zu bringen. Denn man darf nicht vergessen: There`s no business like show business!


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