80. Jahrestag der Befreiung Italiens: Erosion des Antifaschismus

An diesem Freitag wird der Befreiung Italiens vom Nationalsozialismus und Faschismus gedacht. Seit langem steckt die politische Nachkriegsordnung Italiens, deren wichtigste politische Parteien aus der Resistenza hervorgegangen waren, in der Krise. Die derzeitige Regierung unter Giorgia Meloni polemisiert teils offen gegen das Erbe des Widerstands.

Erinnerung an die Befreiung Italiens am 25. April: In der Bildmitte mit Schärpe Roberto Gualtieri, der sozialdemokratische Bürgermeister Roms, während der Gedenkdemonstration im vergangenen Jahr. (Foto: EPA-EFE/MASSIMO PERCOSSI)

„Aldo sagt 26*1.“ So lautete die Nachricht, die das „Nationale Befreiungskomitee für Norditalien“ (CLNAI), das Führungsorgan der Resistenza im noch besetzten Teil des Landes, am 24. April 1945 an die Partisanenverbände übermittelte. Die Nachricht legte den Zeitpunkt der Insurrektion auf ein Uhr am 26. April fest.

Im September 1944 hatten die westlichen Alliierten die sogenannte Gotenstellung, eine Verteidigungslinie der deutschen Wehrmacht quer durch Mittelitalien, erreicht. Seither kontrollierten die faschistischen Milizen mit Hilfe der Wehrmacht nur noch die norditalienische Poebene. In den Voralpen und an der Adriaküste, die bereits seit Herbst 1943 der Kontrolle der faschistischen „Repubblica Sociale Italiana“ (RSI) entzogen waren, hatten allein die deutschen Behörden das Sagen.

Mit dem vom CLNAI ausgerufenen Aufstand verfolgte die Resistenza das Ziel, die großen Städte Norditaliens noch vor dem Eintreffen der alliierten Truppen selbst zu befreien. Dieses Vorgehen orientierte sich an anderen Aufständen im von den Nazis besetzten Europa. Zum Beispiel in Paris, wo die Alliierten am 25. August 1944, nachdem der Aufstand der Résistance begonnen hatte, den Einheiten der „Forces françaises libres“ (FFL) unter General Leclerc den Vortritt beim Einzug in die Hauptstadt überließen, oder in Warschau, wo die „Armia Krajowa“ zwischen dem 1. August und dem 2. Oktober desselben Jahres vergeblich versucht hatte, die Stadt schon vor dem Eintreffen der Roten Armee zu befreien.

Auch in Rom war ein solcher Aufstand bereits gescheitert. Das stellte eine herbe Niederlage für die Resistenza dar. Die Alliierten hatten die Stadt am 5. Juni 1944 ohne entscheidende Vorarbeit des Widerstands eingenommen. Dabei waren die antifaschistischen „Patriotischen Aktionsgruppen“ (GAP) in der Hauptstadt besonders präsent, wie etwa der Anschlag auf das SS-Regiment „Bozen“ in der Via Rasella am 23. März 1944 unter Beweis gestellt hatte. Umso bedeutender war die erfolgreiche Insurrektion in Florenz (11. August bis 1. September) gewesen, durch die das toskanische „Komitee zur nationalen Befreiung“ (CLN) parallel zum Einmarsch der Alliierten die Macht in der Stadt übernehmen konnte.

Doch auch nachdem Bologna am 21. April 1945 befreit worden war, dauerten die Kämpfe zwischen Partisanen, vorrückenden alliierten Truppen, der Wehrmacht und bewaffneten Einheiten der faschistischen Republik im Norden Italiens an. Und obwohl Vertreter der Wehrmacht in Caserta am 29. April die Kapitulation aller in Italien verbliebenen Einheiten unterzeichneten, stellten die deutschen Truppen die bewaffneten Auseinandersetzungen erst Anfang Mai endgültig ein.

In seinem Buch beschreibt der ehemalige Partisan Claudio Pavone den Widerstand nicht nur als nationalen Befreiungs-kampf, sondern auch als inneritalienischen Bürger-krieg und Klassenkampf.

Während sich Einheiten der Wehrmacht und der Ordnungspolizei, die der SS unterstand, aus der norditalienischen Poebene in Richtung Brennerpass zurückzogen – mit dem Ziel, sich möglichst den Alliierten und nicht den Partisanen zu ergeben –, leisteten einige Kämpfer der faschistischen Republik noch verzweifelten Widerstand. Heutzutage erinnern zahlreiche Gedenktafeln an Partisanen und Zivilisten, die in jenen Tagen Opfer ihrer Schüsse wurden.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begannen sich aus den großen politischen Strömungen, die den CLN geprägt hatten, die Parteien der Nachkriegszeit herauszubilden. Schon zur Zeit der Resistenza (1943-1945) hatten sich die Partisanen auf unterschiedliche Traditionslinien berufen: den antifaschistischen Untergrund des Ventennio (1922–1943; wörtlich: Jahrzwanzigst, Synonym für die gesamte Zeit der Herrschaft Mussolinis; Anm. d. Red.) auf der einen und die liberalen Strömungen des monarchischen Italiens (1861-1922) auf der anderen Seite. Der 25. April wurde für sie alle zum symbolischen Datum der Neuformierung. Zwar erklärte erst das Gesetz Nr. 260 vom 27. Mai 1949 den Tag offiziell zum Nationalfeiertag, doch hatten ihn schon die verschiedenen Regierungen der Jahre davor durch entsprechende Dekrete gewürdigt.

Zugleich führte der Bruch zwischen den Ost- und Westalliierten in den Jahren 1946 bis 1949 auch in Italien zu Spannungen, die sich auf das Gedenken an die Befreiung am 25. April auswirkten. Bereits im Januar 1947 spaltete sich die „Italienische Sozialistische Partei der Proletarischen Einheit“ (PSIUP), die zunächst alle sozialistischen Strömungen vereint hatte. Im Mai desselben Jahres zerbrach die große antifaschistische Einheitsregierung, die sich aus Christdemokraten (DC), Kommunisten (PCI), Sozialisten (PSI) und einer kleineren linken Gruppe, der Aktionspartei (Pd’A), zusammensetzte.

Im Jahr 1948 kam es schließlich auch innerhalb der „Nationalen Vereinigung der Partisanen Italiens“ (ANPI) zum Bruch. Katholische Veteranen verließen die Organisation und gründeten die „Italienische Freiheitsföderation“ (FIVL), sozialistische und linksliberale Gruppen riefen die „Föderation der Italienischen Partisanenvereine“ (FIAP) ins Leben. Auslöser dieser Spaltungen waren stets Auseinandersetzungen über die Haltung zur Sowjetunion.

Die politische Spaltung verstärkte unterschiedliche Interpretationen der Resistenza. Die Christdemokraten sahen in ihr ein „zweites Risorgimento“, eine nationale Erhebung zur Wiedergewinnung der Einheit Italiens nach dem historischen Vorbild der Einigung Italiens im 19. Jahrhundert. Kommunisten betonten dagegen den Widerstand einer antifaschistischen Mehrheit gegen eine Minderheit von Kollaborateuren – so konnte der „Partito Comunista Italiano“ (PCI) den Anspruch bekräftigen, die Mehrheit der Italiener zu vertreten. Linksliberale Intellektuelle verstanden den Widerstand als Ausdruck eines inneritalienischen Konflikts: auf einer Seite der autoritäre Opportunismus zahlreicher Mitläufer, auf der anderen die Verteidiger der Prinzipien von Freiheit und Gleichheit als Erbe der Französischen Revolution und des Unabhängigkeitskämpfers Giuseppe Mazzini (1805-1872).

In den 1950er-Jahren dann wurde das Gedenken zum 25. April von den politischen Konflikten zwischen Christdemokraten und Kommunisten bestimmt, die sich an der Haltung zur Sowjetunion, der Rolle der Kirche und am Selbstverständnis der Republik entzündeten. Das änderte sich mit Beginn der Ära der Mitte-links-Regierungen in den 1960er-Jahren. Der Regierungskoalition aus Christdemokraten und Sozialisten stand der PCI als Opposition gegenüber. Von da an wurde der Gedenktag einer Nationalisierung unterzogen, bei der lediglich jene außen vor blieben, die der neofaschistischen Partei „Italienische Soziale Bewegung“ (MSI) anhingen.

Seit den 1990er-Jahren etablierten sich in Italien politische Kräfte, die kaum noch an die antifaschistische Gründungserzählung der Republik anknüpfen.

Schließlich waren es die Achtundsechziger, die gegen die nationale Vereinigung polemisierten und den Slogan prägten: „Die Resistenza ist rot, nicht christdemokratisch.“ Eine ausgewogenere Reflexion der Resistenza leistete der Historiker und ehemalige Partisan Claudio Pavone. In seinem 1991 erschienenen Buch „Una guerra civile“ („Ein Bürgerkrieg“) beschreibt er den Widerstand nicht nur als nationalen Befreiungskampf, sondern auch als inneritalienischen Bürgerkrieg und Klassenkampf. Als Pavones Studie erschien, befand sich das italienische Parteiensystem bereits in einer tiefen Krise, die bis heute nicht überwunden ist.

Seit den 1990er-Jahren etablierten sich in Italien politische Kräfte, die kaum noch an die antifaschistische Gründungserzählung der Republik anknüpfen und deren Verbindung zum Widerstand bestenfalls sehr schwach, schlimmstenfalls nicht vorhanden oder sogar offen feindselig ist. Die Wurzeln der Regierungspartei „Fratelli d’Italia“ reichen über die „Alleanza Nazionale“ bis zum neofaschistischen MSI zurück. Auch Parteien wie die „Lega“ oder Silvio Berlusconis „Forza Italia“ zeigen wenig Interesse an einer Würdigung der Resistenza. Das populistische „Movimento 5 Stelle“ wiederum verweigert sich weitgehend historischen Bezügen. Diese Entwicklung fiel zusammen mit dem altersbedingten Rückzug der Widerstandsgeneration aus politischen Ämtern.

Das ungünstige politische Klima hatte auch zur Folge, dass die Partisanenverbände nur in wenigen Fällen eine Institutionalisierung hin zu Forschungseinrichtungen vollzogen, die sich der Bewahrung, Reflexion und Wiederaufbereitung der Erinnerung an die Ereignisse widmeten. Häufiger ergaben sich in den ursprünglich als Veteranenorganisationen fungierenden Verbänden – allen voran in der ANPI – Lücken, die nach und nach von ehemaligen Achtundsechzigern, Vertretern der Dritte-Welt-Bewegung und schließlich putinistischen Aktivisten gefüllt wurden.

Daraus erklären sich jene Auseinandersetzungen, die in den vergangenen zehn Jahren viele Feierlichkeiten zum 25. April überschattet haben, bei denen intolerante Demonstrationsteilnehmer die Fahnen und Symbole der „Jüdischen Brigade“, die mit den Alliierten im Italienfeldzug kämpfte, angriffen und zu entfernen versuchten. So fanden im vergangenen Jahr am 25. April in Rom sogar zwei getrennte Gedenkdemonstrationen statt: eine der ANPI und eine der FIAP, an der die jüdische Gemeinde teilnahm. Dieser Konflikt wird auch das diesjährige Gedenken überschatten, da die Führung der ANPI im Wesentlichen eine putinistische und faktisch verständnisvolle Haltung gegenüber Hamas vertritt.

Brunello Mantelli ist Faschismusforscher und lehrt an der Universität Turin. Ab 1969 war er Mitglied der außerparlamentarischen Organisation „Lotta Continua“, arbeitete für deren gleichnamige Zeitung und andere linke Publikationen. Sein Buch „Kurze Geschichte des italienischen Faschismus“ ist 1998 in deutscher Übersetzung beim Verlag Klaus Wagenbach erschienen.

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