SPEKTAKEL: „Einfach Go“

Von wegen Lampenfieber: Bei ihrem selbst konzipierten ID-Projekt nehmen Angélique Arnould und Fabienne Lentz zum ersten Mal auf dem Regiestuhl Platz.

Auf den Barrikaden: Angélique Arnould und Fabienne Lentz setzen sich durch.

Identität: Macherinnen

Das Handy klingelt. „Natürlich proben wir heute.“ Äußerlich lässt sich Angélique Arnould nicht aus der Ruhe bringen. Sie zündet sich eine Zigarette an und verschränkt die Arme vor der Brust. Nervös, aber trotz allem souverän. Fünfzehn KünstlerInnen aus den verschiedensten Bereichen, von Tanz bis Literatur, sind an dem ID-Projekt beteiligt, das Arnould gemeinsam mit
Fabienne Lentz ausgearbeitet hat und auch inszeniert.

„Wir mussten erst lernen uns durchzusetzen. Denn die Regie muss immer die Autorität behalten“, sagt Fabienne Lentz. Die 25-Jährige wirkt ein wenig schüchtern, aber nicht ängstlich angesichts der Feuerprobe, die sie am 17. September in der Kulturfabrik erwartet, wenn ihr Spektakel Premiere feiert.

Identität: Suchende

Identität ist ein großer Begriff. Fabienne Lentz definiert sie als den Bezug des Menschen zu seiner Umwelt: „Aber eigentlich möchten wir Fragen in den Raum stellen, anstatt Antworten vorzugeben.“ Über ihren eigenen Platz in der Gesellschaft haben sie schon ziemlich klare Vorstellung. „Wir möchten von unserer Kreativität leben“, sagen beide und grinsen dabei, weil ihnen bewusst ist, dass dieser Wunsch besonders in Luxemburg fast schon ein wenig abgedroschen klingt. „Wäre eigentlich ein netter Spruch für ein T-shirt“, sagt die 23-jährige Arnould. „Wenn es nicht klappen sollte, dann könnten wir immer noch ‚Prof‘ werden.“ In ihren Gesichtern ist jedoch zu lesen, dass diese Alternative höchstens als Notlösung herhalten soll.

Zur Zeit schreiben beide an ihrer Abschlussarbeit. Angélique Arnould studiert französische Literatur an der Sorbonne Nouvelle in Paris. Ihr erstes Thema erwies sich schnell als allzu breit gefächert. Im zweiten Anlauf beschäftigt sie sich mit Ingeborg Bachmann. „Identité nationale luxembourgeoise et construction européenne“ – auch Fabienne Lentz macht es sich mit ihrem „Mémoire de maîtrise“ in Geschichte nicht gerade leicht. „Bis Dezember möchte ich auf jeden Fall abgegeben haben“, sagt sie. Identität beschäftigt sie im Studium und in ihrer Kunst. Als das ID-Projekt in der Anfangsphase steckte, brachte Angélique Arnould die Bilder ein, Fabienne Lentz ergänzte den thematischen Rahmen. Seit Dezember 2003 arbeiten sie Hand in Hand, vor allem in zahllosen Brainstorming-Sessions.

Identität: Künstlerinnen

Vor drei Jahren wurden sie Mitglieder des luxemburgischen Künstlerkollektivs Independent Little Lies. Durch ihre Arbeit an den Kostümen zum Spektakel „Far Away“ wurde Fabienne Lentz zum ersten Mal bewusst, dass die Kunst ihre eigentliche Leidenschaft ist. „Ech molen a kniwwelen a bastelen zënter eiweg“, sagt sie. „Aber erst jetzt beginne ich daran zu glauben, dass ich diesen Weg auch beruflich gehen kann.“

Neben ihrem Geschichtsstudium besucht sie in Paris eine Schule für Modedesign. Angélique Arnould, die seit frühester Kindheit in den Ballettschuhen steckt, ist in Paris Schülerin der Tanzschule Studio Harmonic. „Ich möchte mich in zwei Jahren zur professionellen Tänzerin ausbilden lassen.“

Das Umfeld reagiert nicht immer positiv auf die beiden selbstsicheren Künstlerinnen. „Sagen wir es mal so: Es bestünde eindeutig ein Problem, wenn ich nicht neben dem Tanz noch ein Universitätsdiplom hätte“, sagt Angélique Arnould. „Meine Eltern verstehen meinen Wunsch“, fügt Fabienne Lentz hinzu, „aber sie machen sich Sorgen.“ Nächstes Jahr zieht sie mit einem neuen Kunstprojekt im Gepäck nach Berlin: „Ich habe Angst, dass ich, wenn ich hier bleibe, eines Tages meine Träume zu Gunsten des Wunsches nach Sicherheit aufgebe.“

Identität: Unbequeme

„Gemütlichkeit“, sagt Angélique Arnould, „ich mag dieses Wort nicht, aber es passt zu Luxemburg.“ Ihre Eltern fragen sie immer wieder, warum sie sich nicht einfach zurücklehnt oder Ferien macht. „Viele denken Tanz sei ein amüsanter Zeitvertreib, aber kein ‚richtiger‘ Beruf.“

Auch die ZuschauerInnen des ID-Projekts sollen es sich in der Kufa nicht allzu gemütlich machen. Manches geschieht auf zwei Bühnen gleichzeitig, das Publikum sitzt auf Drehstühlen dazwischen. „Es geht darum, Entscheidungen zu treffen.“ Independent Little Lies ist für Nachwuchskünstlerinnen wie Fabienne Lentz und Angélique Arnould ein Sprungbrett, vielleicht führt ihr Weg sie von dort aus auf die großen luxemburgischen oder auch internationalen Bühnen.

Rund um das Komitee von ILL arbeitet ein Kollektiv von KünstlerInnen, denen die Kulturfabrik ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellt. „Das Kulturministerium unterstützt die einzelnen Projekte eigentlich ziemlich großzügig“, erklärt Arnould. Vielleicht erhält ILL auch in diesem Jahr eine Konvention vom Kulturministerium, die ihnen eine regelmäßige, festgelegte Unterstützung zusagt. „Zur Zeit können wir den Mitwirkenden fast nur symbolische Summen auszahlen. Aber es ist wichtig, dass die Arbeit auch als solche anerkannt wird.“ Die meisten Mitglieder von ILL studieren noch, einige haben ihre berufliche Laufbahn gerade erst begonnen. „Wir würden uns natürlich gerne professionalisieren“, sagt Fabienne Lentz, „aber es besteht immer die Gefahr, dass durch zunehmende Mittel und größeren Aufwand das Alternative Stück für Stück verloren geht.“ „Es heißt aufpassen“, fügt Angélique Arnould hinzu.

Das Handy klingelt. Die anderen KünstlerInnen trudeln langsam zur Probe ein. Seufzend erheben sich die beiden. Es tut ihnen gut mal ein, zwei Stunden im Bistro neben der Kulturfabrik zu sitzen. „Manchmal merken
wir nicht einmal wie der Tag vorbeigeht.“ Fabienne Lentz leert ihr Glas: „Eigentlich stelle ich mir keine Fragen darüber, wie das Projekt ankommt. Ich denke einfach Go.“


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