THEATER: „Decke fette Kuch“

„Héi ass et schéin“ – das denken sowohl Luxemburger als auch Flüchtlinge und streiten sich in Jean-Paul Maes‘ Theaterstück um ihren Platz im Schlaraffenland.

„Integrationszeit ist Konfliktzeit“:
Jean-Paul Maes möchte mit seinem Stück einen nuancierten Blick auf die Flüchtlingsproblematik werfen. ________________

Herr Klein ist gekommen, sich zu beschweren. Er hat ein Problem mit den Flüchtlingen, die sich um sein Anwesen herum breit machen. „Si schäissen him a säi Gaart“, erklärt Autor Jean-Paul Maes und zuckt in den Proben selbst manchmal ein wenig zusammen, wenn Schauspieler Jean-Marc Calderoni in seiner Rolle anfängt, gegen die Eindringlinge zu schimpfen. Jossip ist einer von ihnen. Er schleicht durch das Publikum und versucht den ZuschauerInnen, das noch ungeborene Kind seiner Frau Deifchen zu verkaufen. Er braucht Startkapital für den Neuanfang im Schlaraffenland Luxemburg. „Alle Figuren sind moralisch fraglich“, sagt Eva Paulin, die „Héi ass et schéin“ inszeniert. Sowohl die Luxemburger als auch die Immigranten. Multikulti als großes politisch korrektes Volksfest findet hier nicht statt.

Im Untergeschoss des Escher Theater riecht es ein wenig muffig. Der Raum ist voll gestopft mit alten Matratzen, Springböcken und langen Holzbänken, die Erinnerungen an den Sportunterricht wachrufen. In Paulins Inszenierung spielt sich die Geschichte um Flüchtlinge, Luxemburger und ihr oft problematisches Miteinander in einer alten Turnhalle ab. Als Maes das Stück schrieb, war der Schauplatz ein Theater. „Mir schien die Turnhalle passender“, erklärt die Regisseurin, „es ist ein Ort, wo sich die verschiedenen Bevölkerungsgruppen kreuzen.“ Turnhallen dienen als Übergangslager, aber auch als Veranstaltungsort für sportliche Wettkämpfe oder kulturelle Events. In „Héi ass et schéin“ ist sie bereits ein wenig verwittert. Die Natur hat sich eingeschlichen, aber auch die Intimität der BewohnerInnen.

Kritische Distanz

Mirsa aus Albanien (Hervé Sogne) vermisst den Raum, sein Gürtel dient ihm vorläufig als Maßband. Isabelle Costantini als Madame Mona beobachtet ihn misstrauisch. Denn Madame Mona hat in diesem Dorf das Sagen. Die Turnhalle ist Teil ihres Imperiums, das sie durch die illegale Beschäftigung ausländischer MitbürgerInnen ausdehnt. Zuerst stellte sie den Neuankömmlingen lediglich ihre Gaststätte zur Verfügung, neuerdings expandiert sie sogar. Hilfsbereitschaft ja, aber nur gegen Leistung. „Mir leeschte, mir kreien, mir leeschte, mir kreien …“, so fasst Paulin die Philosophie der westlichen Gesellschaft lapidar zusammen. Warum sollten sich die Flüchtlinge damit abfinden, dass dieses System sie nicht mit einschließt?

„Den aarmen, zerschloenen hallef hellege Flüchtling huet mech net interesséiert“, sagt Maes. Auf Initiative von Jorge Semprun erteilte die europäische Theaterkonvention in jedem Land einem oder einer AutorIn den Auftrag, ein Stück über die spezifische Flüchtlingssituation zu schreiben. Für Luxemburg wurde Jean-Paul Maes ausgesucht. Im Frühling 2003 reichte er den Text bei der hauptstädtischen Theaterkommission ein. Die aber lehnte zuerst ab mit der Begründung, „so wolle man das Thema dann doch nicht behandelt sehen.“ Schließlich brachte es der ehemalige Direktor des Escher Theaters, Philippe Noesen, in die Minettmetropole.

Eigentlich ist es ein undankbares Thema – kritische Distanz und politische Fragwürdigkeit sind oft nicht weit voneinander entfernt. Paulin und Maes möchten das Risiko eingehen, streitbar zu sein. „Jeder muss sich verstellen“, behauptet die gebürtige Österreicherin Paulin. Die Einheimischen, weil ihnen Fremdenflut manchmal zu viel werde und sie dies aber nicht zeigen dürften ohne Gefahr zu laufen, als Rassisten bezeichnet zu werden, und die Flüchtlinge, weil sie den LuxemburgerInnen beim Verzehren des „decke fette Kuchs“ zusehen müssten und nicht zugeben dürften, dass sie sich am liebsten gleich mit zu Tisch setzen würden. Während sie in der administrativen Warteschleife verharren, defiliert der Wohlstand vor ihren Augen. „Es ist ja nicht verboten zu verlangen, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben dürfen“, sagt Paulin.

Hervé Sogne alias Mirsa versteckt ein rosafarbenes Kinderfahrrad mit grünem Körbchen. Er möchte es gerne reparieren, für seine Söhne, aber Herr Klein (Jean-Marc Calderoni) verbietet, dass man sich an seinem Abfall vergreift. Schließlich gehörte das Rad seiner Enkelin. Sogne schlüpft aus seiner Rolle als unterwürfiger, überfreundlicher Immigrant gar nicht mehr heraus und beantwortet sogar Regieanweisungen mit „Oui, Madame“. Sein Pendant ist der Albaner Jossip (Manfred Olek Witt) ein schlitzohriger Opportunist, dem jedes Mittel Recht ist, um sich seinen gesellschaftlichen Aufstieg zu sichern. Er hat sich Mühe gegeben, um perfektes Deutsch zu erlernen und muss erkennen, dass diese Sprache ihm in Luxemburg kaum Türen öffnet. Mit Mirsa gerät er in eine Auseinandersetzung über Vor- und Nachteile der einen oder anderen Sprache. „Rassismus gibt es nicht nur zwischen Fremden und Einheimischen“, sagt Maes. Jossip freundet sich schließlich mit Herrn Picart an, seines Zeichens Angestellter eines Ministeriums, er wird zur Jagd eingeladen, nur um nachher festzustellen, dass er die Gäste durch seine Tanzkünste unterhalten soll. „An der Gesellschaft ass heen nëmmen de Bier, deen danze gelooss gëtt.“

Angst vor Veränderung

Monique Reuter irrt durch die Turnhalle. „Pardon, ech hu mech verluer.“ Ihre Figur möchte zuerst Jossip das Kind abkaufen, danach sucht sie den Kontakt zu anderen Flüchtlingen. Nach jahrelanger Ehe braucht sie einen Wechsel. Veränderung, Umstellung – das stößt bei den Menschen hierzulande oft auf wenig Begeisterung. „Es geht uns doch gut, warum sollten wir etwas verändern?“ fragt Maes. Durch den Zusammenbruch des eisernen Vorhangs 1989 habe sich die Welt neu geordnet, nur in der Praxis falle es dem Einzelnen noch immer schwer dies zu verinnerlichen und zu akzeptieren.

Auch der Truppe von „Héi ass et schéin“ wird ein gewisses Anpassungsvermögen abverlangt. Zwischen Kostümen und müffelnden Sportgeräten ist Multikulti zwangsläufig Realität. Sogne spricht Französisch, Witt stammt aus Polen und verständigt sich vor allem auf Deutsch, ebenso wie Pia Röver, die Jossips schwangeres „Täubchen“ spielt. Paulin jongliert in ihren Regieanweisungen mit drei Sprachen. Das Stück versteht sich auch als Spiegel der eigentümlichen luxemburgischen Sprachlandschaft. Es ist fragmentarisch und episodenhaft. „Es geht nicht darum, eine Geschichte zu erzählen, sondern darum Situationen darzustellen“, sagt Paulin. Die einzelnen Puzzlestücke werden sich schließlich nicht zu einem Ganzen zusammenfügen, da es auch für die Flüchtlingsproblematik keine Patentlösung gibt.

Die luxemburgische Prosaliteratur setzt sich nur selten mit der Aktualität auseinander, lieber schwelgt man hier in Nostalgie und beschwört die gute alte Zeit, als der Vater noch zur „Schmelz“ ging. „Dramatische Literatur ist momentbezogen“ sagt Paulin, „wahrscheinlich ist Theater deshalb auch manchmal vergänglicher.“ „Héi ass et schéin“ versteht sich jedoch nicht als Kampfansage, sondern eher als Stein, der den Anstoß geben soll für eine gesellschaftliche Debatte. „Et ass normal, dass mir de Besoin hunn den decke fette Kuch ze verteidegen“, sagt Maes, immerhin sei der Wohlstand hart erarbeitet. Die Menschen wüssten bloß nicht, wie sie mit ihren widersprüchlichen Empfindungen der neuen Situation gegenüber umgehen sollten. „Wir müssen lernen, dass Veränderung auch eine Chance sein kann“ erklärt Paulin. Eigentlich, denkt die Regisseurin laut nach, sollte man mit dem Stück noch näher an die Leute herantreten, mit ihm durch die Dörfer touren.

Am Ende sind die Flüchtlinge alle verschwunden. Frieden sei bei ihnen zu Hause eingekehrt, es gäbe also keinen Grund, noch länger in Luxemburg zu bleiben. Herr Klein erhebt sich aus dem Publikum und stellt fest: „Et ass näischt méi sou wéi et war.“ Und natürlich sind das keine guten Neuigkeiten.

Am 9., 15, 16. und 18. November, sowie am 19. und 20. Januar im Escher Theater.


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