Von kulinarischen und anderen Identitätskrisen: Filmregisseur Yann Tonnar hat ein Faible für die Entwurzelten, die irgendwie doch zu sich finden.
Im Versammlungsraum des Foyer Don Bosco wartet das Publikum auf Serge Tonnars „Kossovomoss“. In der ersten Singleauskoppelung seines Soloalbums „Legotrip“ geht es um Flüchtlingspolitik und die typisch luxemburgischen Vorurteile. „Eng Kossovomoss am Don Bosco setzt op de Kneien an si motzt do, souguer dofir ass keng Plaz, bei him am Heem.“ Das Video zum Song hat der jüngere Bruder, Yann Tonnar, gedreht. Die Anwesenden warten, nichts passiert. „Äh, Yann, kenns du op Play drecken?“
In dem kaum vierminütigen Clip umschifft er die üblichen Klischees über Multi-Kulti und Integration dank eines ganz eigenen, skurrilen Humors. „Manche Geschichten existieren zuerst visuell“, sagt er. Wie in einem Stummfilm huschen die Stereotypen der Luxemburger Gesellschaft durchs Bild, dargestellt von Amateuren aber auch professionellen DarstellerInnen. Alles Bekannte, und die Brüder und Neffen. „Die Truppe war wie eine Familie.“ Irgendwie war es für den Regisseur immer eine Familiengeschichte. „Kossovomoss“ ist nicht das erste Video, das Yann für seinen großen Bruder oder dessen Kombo Zap Zoo dreht. Am Anfang stand er ein wenig im Schatten von Serge, dem Musiker und Theatermacher. „Ich bin einer künstlerischen Karriere zu Anfang eher aus dem Weg gegangen“, erklärt er. Aber dann holte ihn seine eigentliche Leidenschaft doch wieder ein.
Rewind
In Toulouse und Montpellier studierte Tonnar zuerst drei Jahre Französisch, eher aus Interesse, ohne konkretes Berufsziel. Dort entdeckte er sein Interesse für Fotografie und Film. In London machte er einen MA (Master of Arts) in Visual Culture und konnte dank dem CLT-Medienpreis, den er für seine Abschlussarbeit gewann, einen Lehrgang bei der UFA absolvieren. Als Freelance-Mitarbeiter von RTL sammelte er danach erste praktische Erfahrung. Seine Reportagen unterschieden sich von den eher oberflächlichen Gute-Laune-Beiträgen des Luxemburger Senders. Tonnar warf einen liebevoll-skurilen Blick auf die BesitzerInnen eines Schnellimbiss‘ oder die BewohnerInnen eines Campingplatzes. „Ich brauchte ein Jahr, bevor ich meinen eigenen Stil gefunden hatte“ sagt er. Erst durch die Videos zu Serges „Eat it!“ (2001) kam ihm wieder die Lust aufs kreativere filmische Arbeiten und er suchte den Weg zurück in die Filmschule. Doch der erwies sich als ziemlich beschwerlich.
In der renommierten Londoner National Film and Television School lassen die langwierigen Aufnahmeprozeduren nur wenigen BewerberInnen eine Chance. Schließlich erfüllte sich Tonnar einen lang gehegten Wunsch und schrieb sich in die New Yorker Film Academy, eine Privatschule, ein. Neun Monate lang, von Januar bis September 2003, studierte und arbeitete er im Big Apple. In seinen Kurzfilmen, die er während dieses Aufenthaltes drehte, spielt die Stadt die unumstrittene Hauptrolle. „Déi Stad ass gemaach fir gefilmt ze gin“, sagt er. Beim Ansehen seiner New Yorker Produktionen, besonders seines Abschlusskurzfilmes „Junk Food“ fällt seltsamerweise zuerst der eigentlich nicht vorhandene Luxemburg-Bezug auf. Manch eineR besinnt sich gerade in der Fremde auf die eigene Herkunft, auf Tonnar trifft das nicht zu. „Eigentlich fühle ich mich nicht so sehr an Luxemburg gebunden.“ Home is where the heart is. Und eigentlich sind seine Geschichten doch ganz persönlich, wenn auch nicht auf den ersten Blick.
Play
In dem Kurzfilm „Junk Food“ steckt ein junger Pianist ungarischer Abstammung mitten in einer künstlerischen Identitätskrise. Währenddessen ist seine amerikanische Freundin damit beschäftigt Gulasch für die Großeltern vorzubereiten, die ihren Besuch angekündigt haben. Betrug, Liebe, Tradition und Entwurzelung vermengt zu einem surrealistisch-bizarren Puzzle, das sich erst zum Schluss ansatzweise auflöst. Einen wirklichen Aha-Effekt gibt es jedoch nicht. Vielleicht ist es die Liebe zum Dokumentarfilm, die dem Regisseur die Überzeugung vermittelt hat, dass es im Leben keine wirklichen Schlusspunkte gibt. Eigentlich wollte er nie Spielfilme drehen. Die Welt sei voller interessanter Menschen mit ungewöhnlichen Geschichten. „Do hues de guer kee Recht fir Fiktioun ze maachen.“ Mittlerweile kann er sich aber durchaus vorstellen auch einen längeren fiktiven Stoff umsetzen zu wollen.
Am liebsten spricht Tonnar über den Unterschied zwischen Amerika und Europa im Allgemeinen und Luxemburg im Besonderen. Auf der Akademie verlor man nicht viel Zeit mit künstlerischen Überlegungen. „Die europäischen StudentInnen fühlten sich mit ihren Ambitionen ein wenig verloren“, erklärt er. In New York gelten einzig und allein kommerzielle Rezepte. Manchmal sei es ganz befreiend, sich daran zu erinnern, dass ein Film letztendlich nur ein Produkt ist. Tonnar erzählt von einem Dokumentarfilm über die weltbesten Kameramänner: Die Amerikaner dissertierten nüchtern über technische Details, Vittorio Storaro, ein gebürtiger Italiener, der unter anderem bei „Apocalypse Now“ hinter der Kamera stand, philosophiert stattdessen: „Blue is the color of wisdom.“ „Das Faszinierende daran“, grinst Tonnar, „ist, dass das Endresultat in beiden Fällen gleichermaßen künstlerisch wertvoll ist.“
Den StudentInnen wurde beigebracht, kohärente, rationale Charaktere zu entwickeln. Dabei sind es vor allem die irrationalen Figuren, die den Filmemacher interessieren: der verstörte Pianist aus „Junk Food“ oder der serbische Künstler Ludens, den Tonnar bei der Vernissage seiner Ausstellung im Guggenheim begleitete. „Dies ist eine Performance“ brüllt der in die Kamera, während ihn ein Angestellter wegen Rauchens aus der Lobby des Kulturtempels verweist. Eigentlich sind Tonnars Protagonisten, auch in Dokumentarfilmen, eher unsympathische und sperrige Zeitgenossen. Doch mittels einer Einstellung schafft es der Filmemacher plötzlich dem Außenstehenden Zugang zu gewähren.
Als Tonnar seinen Abschlussfilm vorbereitete suchte er per Anzeige DarstellerInnen und erhielt 400 Bewerbungen. Für eine unbezahlte Rolle. Es wimmelt in den amerikanischen Metropolen von Amateuren, die Erfahrung brauchen. Luxemburg ist eine andere Welt, das Filmbusiness nicht nur im übertragenen Sinn ein „family business“. Tonnar weiß die Möglichkeiten der nationalen Szene zu schätzen. „Wanns de net grat op de Kapp gefall bass, da kriss de däin éischte Kuerzfilm ganz finanzéiert“, sagt er. Die Unterstützung ist beachtlich, der Fonds national de soutien à la production audiovisuelle (Fonspa) trägt einen Teil der Produktion. Für die ersten Schritte im Geschäft ist Luxemburg das ideale Pflaster. Karriere macht man allerdings innerhalb dieses engen Rahmens nur schwer.
Zur Zeit dreht der Regisseur vor allem, um sich finanziell über Wasser zu halten. „Da bleibt nicht mehr viel Zeit, um aufwändige Projekte auszuarbeiten.“ Und trotzdem will er erst einmal bleiben. Seine Filme scheinen wenig mit der luxemburgischen Realität verwurzelt, aber nicht weil Yann Tonnar unbedingt über die Landesgrenzen hinaus möchte. Warum es in „Junk Food“ gerade um einen Ungarn geht und nicht um einen Luxemburger, darauf weiß er zuerst keine Antwort. Die Erklärung folgt ein paar Tage später per Mail. Die innere Gefangenheit des Protagonisten sollte eine Spiegelung sein der reale Unterdrückung im früheren Ostblock. Und „außerdem klingt ‚Fuck Gulasch!‘ besser als ‚Fuck Cevapcici!'“