MUSIK: Kollektiv geht’s besser

Das Kollektiv Schalltot setzt sich seit 1998 für die Belange der alternativen Musikszene in Luxemburg ein. In der Broschüre „Do the Evolution“ schreiten sie zur Bestandsaufnahme.

Die Gratis-Broschüre „Do the Evolution“ ist
in Plattenläden erhältlich. Weitere Infos www.schalltot.lu

Von dem altmodischen Grammophon im Logo des „Schalltot Collective“ darf man sich nicht in die Irre führen lassen. Seit sechs Jahren hat sich die Gruppe um Sacha Schmitz, Marc Nickts, Claudio Pianini, Luciano Lippis und Emile Hengen (v.l.n.r. – Antonio Martija fehlt) zum Sprungbrett für junge Alternativ-Bands gemausert. In der Brasserie „911“ in Belvaux und vorher im
„Marignan“ in Athus organisieren sie regelmäßig Konzerte mit angesagten Vertretern der internationalen Independent-Szene, wie zum Beispiel Honey for Petzi, immerhin Schützlinge von Nirvana-Produzent Steve Albini, aber auch mit nationalen Bands, meistens Richtung laut bis düster

„Wir müssen die Blockaden in den Köpfen niederreißen“, sagt Marc, im Namen des Kollektivs zum Interview abkommandiert. Immer noch hätten viele Leute das Gefühl, dass in Luxemburg musikalisch nichts los sei, dabei habe sich seit Ende der 90er vieles verändert. Als sie sich „Schalltot“ tauften, taten sie das im Bezug auf die Ebbe in der damaligen Musiklandschaft. Der „Schall von außen“ sei in Luxemburg gebrochen, heißt es etwas umständlich in „Do the Evolution“, der Broschüre zum aktuellen Stand der hiesigen Szene. „Im Vergleich zu anderen Ländern schien es als würde unser Land still liegen.“

Das darf nicht sein, dachten sich die Jungs und begannen Kontakte im In- und Ausland zu knüpfen. In erster Linie ging es Schalltot darum, den luxemburgischen MusikerInnen gute Konzertbedingungen zu bieten – das heißt erst einmal, einen Ort zu finden, an dem Gigs stattfinden konnten. Der Rock ist nicht gerade das liebste Kind der Luxemburger, schon gar nicht der von der lauten Sorte. Als sich die Blues-Bands in den 80ern und frühen 90ern die Klinke in die Hand drückten, sah die Welt noch rosiger aus. Heute sind kleine Cafés, in denen Bands vor dreißig bis fünfzig Leuten spielen können, rar gesät. Das Marignan, jahrelang Treff der Alternativ-Szene aus dem Grenzgebiet, musste im Sommer 2004 seine Türen für Konzerte schließen, weil Nachbarn sich über den Lärm beklagten – und auch über die Sorte Publikum, die zu diesen Auftritten kam.

„Es ist eben Rock“, wendet Marc ein. „Klar, dass da am anderen Morgen ein paar Bierflaschen vor der Tür rumliegen und der eine oder andere glaubt, Radau schlagen zu müssen.“ Was erklärt, warum diese Musik und ihre Anhängerschaft nicht überall gern gesehene Gäste sind. Auch rund ums „911“, seit einigen Monaten Refugium für Schalltot-Shows, sind schon Klagen laut geworden. „Ich kann das verstehen“, sagt Marc, „wer mag das schon, wenn er an drei Abenden im Monat von lauter Musik um den Schlaf gebracht wird?“

Dass viele VertreterInnen der Underground-Szene alles andere als zufrieden mit den herrschenden Zuständen sind, wird bei der Lektüre der Schalltot-Broschüre überdeutlich. Darin haben sich die Macher mit Musikern, Promotern oder Kennern wie Unki oder Pascal und Lex Thiel von Radio Ara unterhalten und Aussagen zu verschiedenen Themengebieten gesammelt. Allen voran geht es um das leidige Problem des Proberaum- und Konzertsaalmangels. Richtig glücklich ist kaum jemand mit den herrschenden Bedingungen, auch wenn alle ausnahmslos zugeben, dass sich viel getan hat, seit Park Café und Konsorten mit 08/15 Pop in Luxemburg die Bühnen unsicher machten.

Meckerecke

Bei der Lektüre der Broschüre kann allerdings
das Gefühl aufkommen, dass die Szene es sich in der
Meckerecke gemütlich ge- macht hat und da auch nicht mehr heraus will. Es wird nicht genug für die „neue Musik“ getan, wie sie Octavie Modert einmal bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der Rockhal nannte. Keine Proberäume, keine Aufmerksamkeit von Seiten der Presse, und ist eine Location für Konzerte aufgetan, kommt die Polizei und schließt sie schnell wieder wegen Ruhestörung. So die Klagen der Befragten.

Marc möchte sich dieser negativen Alle-sind-gegen-uns-Haltung nicht anschließen. Natürlich sei es nicht einfach Unterstützung von oben zu erhalten, aber man könne sich ja auch selbst organisieren, sagt er. Ihn ärgert vor allem das Desinteresse der großen Medien in Luxemburg. „Wir haben alle Presseorgane auf unsere Broschüre aufmerksam gemacht, aber reagiert haben lediglich die üblichen Verdächtigen.“

Das heißt diejenigen, welche der Szene ohnehin tendenziell nahe stehen und die auch sicher sein können, dass sich ihre Leserschaft für diese Themen interessiert. „Ich persönlich stünde auch für ein Interview im Wort bereit, warum nicht?“ sagt er. Sicherlich sähen das einige als Ausverkauf, aber Marc hat keine Scheu vor dem Mainstream: „Aufmerksamkeit zu erregen ist doch nichts Schlechtes, so lange es im Sinne der Sache geschieht.“

Also predigen Schalltot vorerst weiterhin vor bereits Bekehrten. Derer werden es allerdings immer mehr. „Am Anfang stiegen manchmal Konzerte mit nur fünf bis zehn Zuschauern“, erinnert sich Marc. Mittlerweile werfen die Booking-Aktivitäten des Kollektivs zwar noch keine Gewinne ab, aber es reicht, um nicht in die roten Zahlen zu rutschen. Das Publikum weiß mittlerweile, dass ein paar Mal im Monat ein Konzert Marke Schalltot stattfindet, meistens im kleineren Rahmen, manchmal aber auch im großen Stil, wie beim „Out of the Crowd“-Festival am 2. April in der Kulturfabrik in Esch. Hier teilen sich bekannte internationale Namen wie „Engine Down“ oder „Eaves“ die Bühne mit Luxemburger Bands wie „Metro“ oder „Treasure Chest at the End of the Rainbow“.

„Die Leute von der Kufa erhalten von den ausländischen Gruppen meistens die Anweisung ’no local support'“, erklärt Marc. Das heißt einheimische Bands dürfen nicht das Vorprogramm bestreiten. Er fügt hinzu: „Meiner Meinung nach müsste es möglich sein, noch mehr Druck zu machen, um hiesigen Acts eine bessere Plattform zu bieten.“ Viele Luxemburger Formationen, die mit Schalltot zusammengearbeitet haben, konnten durch das gemischte Programm aus nationalen und internationalen Namen Kontakte im Ausland knüpfen, Konzert-Touren organisieren oder Besprechungen in Fanzines ergattern. Auf der Homepage des Kollektivs können sich interessierte Bands zudem gratis vorstellen – bei zwischen 200 bis 300 BesucherInnen pro Tag eine nicht zu unterschätzende Öffentlichkeitsarbeit. Bloß, dass die breite Öffentlichkeit in Luxemburg davon eher wenig mitbekommt …

Ein anderes Anliegen von Schalltot ist es neue Proberäume aufzutreiben. „Es ist wichtig, die Leute darauf aufmerksam zu machen, dass es wirtschaftlich sehr rentabel sein kann, wenn sie ihre leer stehenden Immobilien als Proberäume vermieten“, sagt Marc. Umbauarbeiten erübrigten sich und trotzdem seien viele Gruppen bereit beachtliche Mieten für ein Refugium zu bezahlen.

Abgesehen von den ohnehin überbelegten Räumen in der Kufa sieht es diesbezüglich zur Zeit ziemlich mau aus. Auch die sechs geplanten Proberäume in der Rockhal werden den chronischen Mangel nicht beheben. „Ich finde es sehr schade, dass nur sechs Proberäume vorgesehen sind“, sagt er, „und die werden wahrscheinlich noch an die etablierten Bands verteilt.“ Marc betont aber ausdrücklich, dass er nicht zu denen gehört, die dem Projekt Rockhal von vorneherein skeptisch gegenüber stehen – so wie die meisten Akteure in der Broschüre. „Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren. Man muss der Rockhal erst einmal eine Chance geben.“ Schalltot ist Mitglied im „Groupement artistique“ des Centre de musiques amplifiées und erhofft sich so vor allem die Möglichkeit, wenigstens einmal im Monat den kleinen Saal für Konzerte gratis benutzen zu können. „Wenn sie nicht mit der Alternativ-Szene zusammenarbeitet, dann wird die Rockhal ihre Glaubwürdigkeit verlieren.“

Auch wenn es irgendwann bergauf gehen sollte, beruflich wollen die sechs nicht ins Musikbusiness einsteigen. Höchstens als Musiker, denn alle sind neben ihrer Tätigkeit bei Schalltot und ihrem Studium oder Beruf auch noch Mitglieder in einer Band. „Wir möchten schon professioneller werden“, sagt Marc, „aber nicht um davon leben zu können, sondern um immer effizienter zu arbeiten“.


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