Paul Lesch hat vor kurzem ein Buch über Filmzensur in Luxemburg geschrieben. Mit der woxx sprach er über seinen Beruf und erklärt, inwiefern Kinokultur die Gesellschaft widerspiegelt.
woxx: Herr Lesch, wie fühlt man sich als Luxemburgs einziger Filmhistoriker?
Paul Lesch: Das ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits hat man sehr viel Freiraum, was die Themen angeht. Andererseits mangelt es an Konkurrenz. Zwar versteckt niemand rare Dokumente vor mir, aber ich kann meine Arbeit mit niemandem vergleichen. Es ist auch lange nichts geschehen. Während 80 Jahren gab es keine Arbeiten die sich mit der Produktion oder Rezeption von Filmen beschäftigt haben. Ein weiterer Nachteil ist, dass viele Dokumente aus Desinteresse nicht erhalten wurden. Zum Beispiel Material über die Spieldauer und der vom Kinobesitzer erzielte Gewinn eines Films.
Sind die Luxemburger nicht besorgt um ihr Kino?
Es hat bis 1975 gedauert bis wir eine Cinémathèque hatten, und erst 1988 hatten wir das CNA. Das zeigt, dass das offizielle Interesse eher schwach ausgeprägt war. Und die Fotographie ist ein anderes Opfer dieser Entwicklung. Alles, was etwas marginal daherkam, wurde auch nicht weiter beachtet. Ich muss jedoch hinzufügen, dass sich seit den 70er Jahren viel verändert hat. Und das Interesse, das damals aufblühte, ist bis heute noch nicht abgeklungen. Das sieht man auch daran, dass das CNA jetzt Bücher herausgibt, so wie meins.
Wäre ein solches Buch vor 20 Jahren denkbar gewesen?
Es wäre schwieriger gewesen, da wohl keine Institution als Herausgeber funktioniert hätte. Ich selbst habe mich von einem Buch aus dem Jahr 1982 inspirieren lassen: „Liberté d’expression ou censure?“, von Alphonse Spielmann. Er war einer der Juristen, die in den 70er Jahren die luxemburgische Justiz tiefgreifend verändert haben. Seitdem ist vieles möglich. Es war auch mein Ziel, die einzelnen Epochen der luxemburgischen Geschichte zu beleuchten.
Inwiefern spiegelt sich die Geschichte eines Landes in ihrer Kinokultur – auch hinsichtlich der Zensur wider?
An der Weise wie mit Filmen umgegangen wird sieht man auch die Gegebenheiten der Zeit. Der unsichere politische Status der 30er spiegelt sich darin, genau so wie die konservativen 50er oder eben die Umwälzungen der 70er Jahre. Man erkennt darin auch die ganze Komplexität der Geschichte. Es stimmt zwar, dass die Konservativen öfters auf die Barrikaden stiegen, wenn es darum ging einen Film zu verbieten. Sie gehörten trotzdem zu denjenigen, die das Kino von Anfang an Ernst nahmen, hatten also auch eine Reihe von Ansprüchen. In verschiedenen Fällen kam es zu Überreaktionen, dann wurde nicht gesagt, dass der Film schlecht sei, sondern man hat ganz radikal polemisiert. Solche Fälle wie etwa – „Die Sünderin“ oder „Clochemerle“. Es ist aber nicht so, als wir unter einer klerikalen Diktatur gelebt hätten.
Welches Gesellschaftsbild gibt die Geschichte der Filmzensur wieder?
Die große Gefahr ist natürlich die Überinterpretation. Was sagt ein Protest über einen Film aus? Was sagen die Leserbriefe oder die Entscheidungen verschiedener Politiker? Es sind Einblicke, Puzzlestücke über eine Zeit. Aber das bleibt immer ein Teilaspekt. Ich bin nicht so vermessen zu sagen, dass die luxemburgische Gesellschaft genau so war, wie sie sich im Bezug auf einen einzelnen Film verhalten hat. Wenn man einer gewissen Realität näherkommen will, muss man eben so viel Aspekte wie möglich zusammentragen. Es bleibt aber immer eine Konstruktion. Ich glaube aber, dass die Reaktion auf das Kino – seine Rezeption – viel aussagen kann, wenn man das Glück hat, über eine vollständige Dokumentation zu verfügen.
Was wäre eine komplette Dokumentation?
Das wären dann die Reaktionen aus Politik, Justiz, Medien und den verschiedenen Gesellschaftsgruppen. Und natürlich die kommerziellen Resultate eines Films, die Aufschluss geben über das Publikum selbst. Damit kann man jonglieren; denn gewisse Filme gerieten ins Kreuzfeuer der Politik, waren aber Kassenschlager, bei anderen verhielt es sich umgekehrt. Im Fall von „Quiet Days in Clichy“, war die konservative Presse stark gegen den Film eingestellt, die Resistenzler auch, die Richter und die Intellektuellen waren aber dafür. Das ist eine gute Möglichkeit, gesellschaftliche Veränderungen zu beobachten. Umso mehr, wenn fast überhaupt nicht über dieses Thema geschrieben wurde.
Wie sind Sie mit diesen Dokumenten umgegangen?
Ich habe versucht, eine gewisse politische Neutralität einzubringen, indem ich keine Quelle einer anderen vorgezogen habe.
Ein Historiker ist aber nie neutral.
Hundertprozentige Objektivität ist unmöglich. Ich lebe ja auch in einem bestimmten historischen Kontext, der mich beeinflusst. Niemand ist gegen sich selbst und seine eigenen Vorstellungen gefeit. So funktioniert Geschichtsschreibung. Aber es ist schon positiv, sich dessen – vor allem als Historiker – bei seiner Arbeit bewusst zu sein. Ich habe keine Quellen als die einzig relevanten dargestellt, nur um so meinen politischen Standpunkt zu belegen. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.
Das heißt auch, dass die Zensur nicht das war, als das sie sich darstellt: Eine systematische Instanz. Sie ist auch immer einer komplexen Realität unterworfen.
Systematisch ist sie sicher nicht. Das liegt aber auch am Gesetz von 1922, mit dem die Filmkommission ins Leben gerufen wurde. Das Gesetz schließt nämlich jede Form von Vorzensur aus, allein deshalb kann sie nicht sytematisch sein. Eine Vorzensur hätte Kriterien geschaffen, mit denen man Filme systematisch hätte verbieten können. Das ist nie geschehen. Nicht einmal der Jugendschutz war richtigen Kriterien unterworfen. Was man hervorheben kann, ist dass die Zensur meistens aus moralischen und religiösen Gründen gehandelt hat, nicht unbedingt aus politischen Motiven.
In Luxemburg sind Religion und Politik aber nicht getrennt.
Ja, eine politische Entscheidung ist hier nicht von der Religion zu trennen. Wie im Fall von „Viridiana“ zu sehen ist, hat ein konservativer Minister – Pierre Grégoire, der selbst ein Buch über das Kino verfasst hat – zusammen mit einem Liberalen die Entscheidung getroffen, den Film zu verbieten. In ihrer Argumentation kommen vor allem paternalistische Ideen vor, die besagen, dass der Film nicht unbedingt schlecht sei, aber unzumutbar. Natürlich sind Religion und Politik hier verbunden jedoch nicht so, dass hier jeder zweiter Film verboten worden wäre. Das wurde auch dadurch begrenzt, dass die Kirche nicht die einzige Macht im Lande war.
Inwiefern fällt eigentlich – nach der Politik, der Religion und der Gesellschaft – in puncto Zensur das Künstlerische ins Gewicht?
Einerseits kann man sagen, dass die Qualität eines Films schon zur Debatte steht. Die Gegner eines Films zitieren ja auch meistens negative Kritiken um ihre Polemik zu untermauern. Trotzdem ist es für die Meisten immer eine Frage des Prinzips gewesen, dem es egal ist, wie gut oder schlecht ein Film ist. Das Prinzip findet man auch auf der Seite der Zensurgegner. Da geht es auch nicht um den Film selbst sondern um das Prinzip sich nichts vorschreiben zu lassen.
Ist Zensur schlussendlich nichts anderes als eine Entmündigung?
Ja, sicher. Es sind die paternalistischen Ansprüche einer Elite, die darüber entscheiden will, was das Volk zu sehen hat. Und die 68er-Generation hat sich eben dagegen zur Wehr gesetzt und den Weg aufgemacht.
Das Gesetz von 1922 gibt es aber noch. Wäre es heute noch möglich, einen Film zu verbieten?
Theoretisch ist das absolut möglich.
Paul Lesch: „Au nom de l’ordre public et des bonnes moeurs – Contrôle des cinémas et censure de films au Luxembourg 1895-2005“, erschienen beim CNA, 22 Euro.