Braucht Luxemburg überhaupt ein Kulturjahr 2007? Was wurde aus 1995 gelernt? Sind wir keine Provinz mehr?
„Kulturpolitik wird in Luxemburg in letzter Instanz von der ‚Inspection Générale des Finances‘ gemacht“, schrieb Robert Garcia vor fast genau zehn Jahren in seiner Analyse über das gerade ausgeklungene Kulturjahr 1995 im „Grengespoun“. Heute hat der aufmüpfige Kritiker von einst selbst einen blauen Hirsch zu überwachen. Als Koordinator über ein Kulturjahr 2007, das sich ebendieses Tier als Symbol gewählt hat. Am schicken Holztisch, in einem kleinen Häuschen zwischen den Bonneweger Rotunden, in dem sich das Organisationsteam des Kulturjahres angesiedelt hat, sitzt ein nachdenklicher Mann, der von sich selbst sagt, er sei vor zwei Jahren noch unsicher gewesen über die Machbarkeit des von ihm geplanten Programms.
Mit einem Programm wie dem von 1995 könne man in Luxemburg keine Sensationen mehr auslösen. Aber gerade deshalb sei 2007 um einiges besser. „Viele Projekte haben wir exklusiv: Die Museen und Theater produzieren zwar nicht mehr als sonst, sie stellen aber mindestens eines ihrer Projekte unter unseren Namen. Zudem machen wir 2007 viel mehr selbst als 1995. Damals sind die großen Events fast alle für teures Geld im Ausland eingekauft worden.“
Keine Kulturagentur
Dieses Mal soll das Publikum zudem vermehrt aus dem Ausland kommen. Die Zauberformel lautet wieder einmal „Großregion“. Doch will die Großregion überhaupt etwas von einer Kulturhauptstadt Luxemburg wissen? „Das Interesse in der Region ist sehr groß“, erzählt Stéphane Meyers – verantwortlich für den assoziativen Teil des Kulturjahrs. Stolz verweist Garcia auch auf sein „Baby“, den so genannten „Fonds culturel transfrontalier“, der sich aus luxemburgischen und überregionalen Quellen speist und 2007 die stolze Summe von 8 Millionen Euro einbringen wird. „Wenn unser Programm den Politikern gefällt, dann wird dieser Fonds auch nach dem Kulturjahr noch weiterlaufen, wenn auch mit bescheideneren Mitteln“, so Garcia. Macht Garcia also Kultur um den Politikern zu gefallen? Der Koordinator verteidigt sich: „Nein, obwohl behauptet wird das Kulturjahr sei aus reinem politischen Willen entstanden, muss ich anmerken, dass „Luxemburg 2007″ ausgelost wurde. Wenn der Fonds jedoch dazu dienen kann, durch das Kulturjahr enstandene Zusammenarbeiten weiter zu ermöglichen, ist das eine gute Sache.“
Insgesamt gibt es dem Koordinator des Kulturjahrs zufolge in der Großregion bereits genügend kulturelles Engagement: „Wir wollen den bestehenden Kulturinfrastrukturen im nahen Ausland nicht das Publikum abspenstig machen.“ Deshalb sei Zusammenarbeit Trumpf. Und da das Kulturangebot quantitativ ausreichend ist, geht es der Mannschaft hinter dem blauen Hirsch vor allem um die Qualität der Projekte, um ihre Außergewöhnlichkeit.
Also kein Geldproblem im Jahre 2007? „Unser Budget, das neben den zehn Millionen Euro der Stadt Luxemburg, noch 25 Millionen von staatlicher Seite umfasst, wurde nicht gekürzt – allerdings mussten wir dafür kämpfen“, erzählt Garcia. Auch in punkto kulturelle Infrastruktur hat sich seit 1995 viel getan. So sind einige Forderungen, die Garcia vor zehn Jahren in seinem „Spoun“-Artikel formuliert hat, erfüllt worden: Die Abtei Neumünster ist ein Kulturzentrum geworden, die Rockhal steht, die kulturellen Netzwerke in Luxemburg funktionieren ebenfalls nicht schlecht. Nur bei der sozialen Absicherung der freischaffenden KünstlerInnen sowie bei der gesetzlichen Absicherung staatlicher Kulturförderung hapert es noch.
Trotzdem ist dies für die Kulturjahr-Crew kein Grund, zufrieden zu sein. „Unser Problem ist die Größe,“ erklärt Meyers. „Um es mit einer Kleidermetapher zu sagen: Wir haben nur die Größe L, aber kein XL und auch kein S.“ Damit spielt er auf die Schwierigkeiten an, die es bei verschiedenen Ausstellungen gibt, die Masse an Exponaten unterzubringen. „Das MUDAM ist zwar groß, aber nicht riesig. Und es steht nicht nur uns zu Verfügung. Es fehlt also an großen Kunsthallen, die wir füllen könnten“
Liest man da nicht das Wort Freiraum zwischen den Zeilen? „Sicher fehlt uns ein spezifischer Freiraum für das Kulturjahr. Wir haben zwar für einige Projekte die Gebläsehalle in Esch-Belval, aber das bedeutet nicht, dass diese auch langfristig genutzt werden kann. Die Nutzung ist lediglich für die nächsten fünf bis sieben Jahre gesichert. Zudem gibt es die CFL-Rotunden, die als Visitenkarte für das Kulturjahr fungieren.“ Immerhin ein Fortschritt gegenüber der Zeltstadt von 1995.
Freiräume erschließen
Bleibt noch die Frage nach den Künstlern selbst. Dass Robert Garcia kein Geld in individuelle Künstler stecken will, da sonst die zahlreichen Kollektive zu kurz kämen, ist nachvollziehbar. Aber wer, außer den etablierten Institutionen, will denn überhaupt beim Kulturjahr 2007 mitmischen? „Grundsätzlich gibt es drei große Kategorien von Leuten, die sich bei uns gemeldet haben: Erstens jene, die sich sowieso angesprochen fühlten und uns schon letztes Jahr ein reifes Projekt präsentierten. Dann kommen die mit großem Interesse aber ohne konkrete Ideen, denen wir unter die Arme greifen können. Und schließlich gibt es noch die so genannte alternative Szene, die ihren Beitrag zu 2007 leisten wird, aber eher durch spontane Reaktionen als durch langatmige Projekte.“, erklärt Meyers.
Ob diese Szene zugleich die Gelegenheit nutzen wird, sich alternative Freiräume zu schaffen, ist ungewiss. „Ich kann ja schließlich keine Häuser besetzen und dann noch einen blauen Hirsch auf die Eingangstür kleben. Ich habe nichts dagegen, dass auf diese Weise Freiräume erschlossen werden – wie das mit der Escher Kulturfabrik der Fall war – aber es wäre höchst lächerlich, wenn eine vom Kulturjahr initiierte Hausbesetzung stattfinden würde.“ ergänzt Garcia.
Das System, mit dem die Teilnehmer ausgewählt wurden, findet der Koordinator „hypergerecht“: „Wir haben nur die Sachen beachtet, die per Internet zu uns kamen, aber diese Projekte haben wir alle gleich behandelt“, sagt er. Jene, die ihre Projekte auf Bierdeckeln oder DVD’s eingeschickt hatten, haben also Pech gehabt.
Autonome Netzwerke
Und was denken diejenigen, die das Internet-Formular ausgefüllt haben und jetzt auf die Möglichkeit warten, ihr Projekt zu realisieren? Norry Schneider vom Kollektiv LX5, das sich für einen Freiraum in der Gebläsehalle in Esch-Belval stark macht, dreht den Spieß um: „Unsere Frage an die Organisatoren des Kulturjahres 2007 war, ob sie bereit wären, bei uns mitzumachen, und nicht umgedreht.“ LX5 setzt sich für Freiräume ein, die multidisziplinär artistisch genutzt werden sollen. „Wir hätten unsere Ideen auch ohne das Kulturjahr ins Spiel gebracht, aber 2007 ist eine gute Möglichkeit, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen.“ LX5 ist ein Netzwerk, das viele andere Künstlerkollektive verbindet. So finden sich unter anderem Musikorganisationen, Videokünstler und Theatergruppen unter dem Namen des Kollektivs wieder. Und das gibt diesen kleineren Organisationen, die oft kein Projekt vorgestellt hatten, da für sie die Planung zwei Jahre im Voraus zu schwierig ist, die Chance, 2007 doch noch eine Rolle zu spielen.
Wie zum Beispiel das Kollektiv „Salzinsel“ das eine Galerie führt und eine Zeitung herausgibt. Salzinsel-Mitglied Karolina Markiewicz meint, dass das Kulturjahr in erster Linie eine politische Image-Frage ist. „Wir ignorieren diese Bestrebungen zwar nicht, aber wir machen unser Ding eben auf unsere Art, de façon relax. 2007 ist für uns nichts Außergewöhnliches“.
Relaxed wird es für Robert Garcia und sein Team dagegen sicher nicht werden, so viele Sachen unter einen Hut zu kriegen. Da kann man sich die Frage stellen, ob das Kulturjahr nicht eher ein Markenzeichen ist, das verschiedenen Events aufgedrückt wird, als ein Happening an sich.