THEATER: „Theater ist Volkserziehung“

Er leitet die Ruhrfestspiele in Recklinghausen und das TNL in Luxemburg. Die woxx unterhielt sich mit Frank Hoffmann über das anstehende Fringe Festival und das Theatermachen in Luxemburg und Deutschland.

Will die Theatersäle in Deutschland und Luxemburg
wieder vollkriegen: TNL-Direktor Frank Hoffmann.

woxx: Herr Hoffmann, braucht Luxemburg überhaupt ein Fringe Festival?

Frank Hoffmann: Warum braucht Luxemburg Kultur? Zumal neue Kultur, neue Stücke, die noch nie gezeigt wurden. Ich glaube, dass
man der Fringe-Szene, also den eher randständigen experimentellen Produktionen, auch einen angemessenen Rahmen bieten sollte. Es sind oft Truppen dabei, die nicht in den großen Institutionen spielen und dem entsprechend auch so gut wie gar nicht von Subventionen profitieren können. Da gibt es auch einzelne Künstler, die versuchen, mit ihrem Schaffen mehr schlecht als recht zu überleben. Es gilt, die Begriffe von Hoch- und Basiskultur zusammenzubringen. Wir wollen eben nicht immer nur auf der einen Seite stehen. Das Bild des „anderen Theaters“, das sich von den üblichen Programmen absetzt, wollen wir auch im TNL pflegen.

Das Fringe-Festival an sich ist aber keine luxemburgische Erfindung, sondern ein Import aus Edinburgh. Ist es typisch für unser Land, Großevents aus dem Ausland einfach zu kopieren?

Wir haben die Welt nicht erfunden, und wir haben das Theater nicht erfunden. Es gibt überall gute Ideen, und in Edinburgh hatte jemand eben das Genie, dieses Festival zu erfinden. Es ist im Gegenteil eine Ehre für uns, dieses Festival in Kooperation mit Edinburgh zu machen, so wie auch mit dem Prager Fringe Festival. Das Prager Event ist ebenso ein Import aus Schottland, wie das Fringe Festival in Recklinghausen wiederum ein Import aus Tschechien ist. Die Idee ist ja geschützt, trotzdem ist das Festival, so wie wir es jetzt in Luxemburg organisieren, ganz anders konzipiert als das in Recklinghausen, oder wie es in Schottland geschieht. Das Fringe in Edinburgh ist ein großer Markt, auf dem Menschen aus aller Welt zusammen kommen und Theater spielen. Die Qualität selbst unterliegt keinen besonderen Kriterien. Die Organisatoren kümmern sich lediglich um die Verteilung der Spielstätten. Für die luxemburgische Ausgabe haben wir die Stücke ausgewählt, die uns gefallen haben. Die Vorgehensweise ist also radikal anders.

Ist Spontaneität im TNL also ausgeschlossen?

Man kann das nicht einfach so aus dem Stegreif organisieren, nach dem Motto: „Hey, wir haben jetzt ein Fringe, kommt mal rüber!“ Und wer würde auf diesen Ruf reagieren? Ich finde es auch richtig, Qualität zu überwachen. Später wird das Fringe Festival vielleicht zu einem unabhängigen Leben erwachen.

In der ersten Ausgabe gibt es auch Highlights, die in erster Linie das Publikum anziehen sollen. Muss man Hanna Schygulla einladen, um auf „alternatives“ Theater aufmerksam zu machen?

Ich würde meinen, ja. Es ist wichtig, dass Eines dem Anderen aushilft. Das will nicht heißen, dass die anderen Projekte weniger gut wären. Sondern nur, dass sie weniger bekannt sind und nun im Kontext des Festivals eine Chance erhalten, ein neues Publikum zu finden. Aber auch die prominenteren Projekte wurden nur wegen ihres unkonventionellen Charakters ausgesucht. Wenn Angela Winkler mit ihrer am Down-Syndrom erkrankten Tochter eine Lesung von Andersens Märchen macht, dann hat das wenig mit ihren Kinofilmen zu tun. Ebenso wie Denis Lavants Zusammenarbeit mit dem „Noir Désir“-Gitarristen Serge Teyssot-Gay zu den Gedichten des großen, in Westeuropa zu wenig bekannten ungarischen Autors Attila Jòszef unter dem Fringe-Label besonders gut aufgehoben ist.

Wenn dem so ist, was ist dann der Wert „alternativer“ Kunst? Gibt es eine „Zwei-Klassen Kultur“?

Nein, es geht nur darum, die unbekannten Projekte mit den bekannteren zu konfrontieren. Das hat nichts mit der Qualität selbst zu tun. Nicht alles, was jeder kennt, hat Qualität und umgedreht. Ich finde es mutig, 24 verschiedene Produktionen aus neun Ländern in so kurzer Zeit zu zeigen, zumal einige dieser Künstler wahre Entdeckungen sind. Und diese Entdeckungen mit dem einen oder anderen Highlight noch attraktiver zu gestalten, finde ich durchaus richtig.

Um auf die Frage der Spielstätten zurückzukommen: Das Fringe Festival in Edinburgh findet in vielen Theatern und Kneipen statt, die hiesige Ausgabe aber nur im TNL. War es nicht möglich, mit anderen Häusern in Luxemburg zusammen zu arbeiten?

Das wäre vom administrativen Aufwand her für eine erste Ausgabe unmöglich gewesen. Und dadurch hätte das Festival auch seine Identität verloren. Das habe ich auch in Recklinghausen gesehen: Die Ruhrfestspiele funktionieren so gut, weil sie an einem festen Ort stattfinden. Und wenn das Fringe Festival sich einmal ausdehnen sollte, dann kann es auch aus unseren Mauern herauswachsen. Dennoch: Wir haben ja drei verschiedene Säle – zwei im TNL und die Ateliers – und die halten jetzt schon unser ganzes technisches Team in Atem. Wir betreiben einen riesigen Aufwand, um das Ganze zum Laufen zu bringen.

Mal vom Fringe Festival abgesehen: Was ist das Besondere am TNL?

Unser Theater zeichnet sich vor allem durch seine Kreationen aus. Als wir angefangen haben, gab es in der ersten Saison gleich zwei neue Stücke. In diesem Sinn ist es auch passend, dass das Fringe Festival hier stattfindet. Obwohl natürlich auch andere Häuser in Luxemburg neue Stücke zeigen, und oft von großer Qualität, haben diese bei uns eher den Vorrang. Das ist der Auftrag unseres Theaters. Ich messe mich ja auch nicht direkt an den anderen Theatern, sondern am Theater selbst.

Unterscheidet sich Ihre Arbeit hier von jener, die Sie in Recklinghausen verrichten? Sie sind in Deutschland ja nicht nur gelobt worden.

Ich bin nicht der Verteidiger des Etablierten. „Minna von Barnhelm“ – meine letzte Regiearbeit – ist von der Presse zu fünfzig Prozent gefeiert und zur anderen Hälfte zerrissen worden. Aber das ist eben meine Kompromisslosigkeit. Ich habe in Recklinghausen viele Leute wieder ins Theater gebracht. Und das erscheint in Deutschland eben suspekt. Deshalb wurde mir auch vorgeworfen, etwas falsch zu machen, das ist fast ein deutscher Komplex. Zumindest bei einer bestimmten Kritik. Lieber ein leeres Theater als ein voller Saal. Wenn wir so weit kommen, dass ein Stück als gut befunden wird, wenn niemand es sehen will, dann sind wir am Ende.

Soll das heißen, dass Theater für Sie Volkserziehung ist?

Ja. Wenn ich in Recklinghausen Theater mache, dann mache ich das in einer Arbeitergegend – oder, wie man heute sagt, Arbeitnehmergegend. Ich muss bei der Programmaufstellung wissen, dass ich nicht in Salzburg oder in Bayreuth bin. Eine Qualität des Festivals ist, dass es von Bergarbeitern gegründet wurde und auch heute noch vom DGB mitfinanziert wird. Das muss ich berücksichtigen.

Wie gelingt es Ihnen die Massen zu mobilisieren, und nicht nur die Elite. Durch die Stücke selbst, oder durch berühmte Gesichter, die Sie regelmäßig verpflichten?

Wir Intellektuelle meinen, wir würden der arbeitenden Bevölkerung helfen, indem wir ihr zeigen, wie schrecklich ihre Situation ist und wie wenig Hoffnung es gibt. Natürlich kann ich solch einen Stoff auch direkt auf die Bühne bringen, wenn ich zum Beispiel eine zeitgenössische Adaption von Hauptmanns „Die Weber“ machen würde. Ich könnte aber auch total missverstanden und als Besserwisser abgestempelt werden. Die von den Gewerkschaftlern geleistete Arbeit bei der Betreuung von Kulturprogrammen ist in vielerlei Hinsicht sehr gut organisiert. In Haltern, in der Nähe von Recklinghausen, gab es einen DGB-Weiterbildungskurs über Lessing. Und wenn ich mit meinen Methoden solche Leute wieder ins Theater locken kann, dann bin ich zufrieden.

www.tnl.lu


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