KARIKATURENSTREIT: Heilige Gefühle

Der Ko-Autor von „Unglaubensgespräch“ und Atheist Jacques Wirion sprach mit der woxx über seine Einschätzung des „Karikaturenstreits“ und über die Rückkehr des Religiösen.

Den Dialog der Kulturen ermöglichen, aber nur wenn das Gegenüber dazu bereit ist: Jacques Wirion ist nicht für unbedingte Toleranz zu haben.

woxx: Herr Wirion, in Ihrem Buch, das sie mit dem bekennenden Christen Hermann Kurzke zusammen geschrieben haben, schreiben sie, dass Sie selbst aufpassen müssen, „dass der Islam nicht zu meinem religiösen Prügelknaben wird“. Ist der Islam für Sie gefährlicher als andere Religionen?

Jacques Wirion: Er ist gefährlicher als andere Religionen, weil er für mich etwas wie eine „harte“ Religion darstellt. Eine Religion, die noch aus ihrem glühenden, inneren Kern heraus lebt. Während zum Beispiel das Christentum eine Religion ist, die über die Jahrhunderte stark gezähmt und abgekühlt wurde. Und im Islam – obwohl man nicht über einen einzigen Islam sprechen kann, gibt es ganz verschiedene Weisen diese Religion auszuleben. Aber die Formen die wir hier und jetzt erleben, gehen zurück auf ein sehr tiefes religiöses Gefühl, das oft den Nachteil aufweist keine Gegenstimme und keine Kritik zu akzeptieren.

Das soll aber nicht heißen, dass Sie den Islam als rückständig ansehen?

Das Problem ist das Folgende: Die Rückständigkeit liegt im Kulturellen, nicht im Religiösen an sich. Es ist eine Gesellschaft, die quasi keine Freiheiten zulässt. Und das spiegelt sich in ihrer ganzen Geschichte wider. Die großen Gelehrten der islamischen Gesellschaft, die progressive Ideen einbringen wollten, wie Averroes zum Beispiel, hatten die größten Schwierigkeiten, andere wurden hingerichtet. Eine solche Haltung der Herrschenden verhindert jeden Fortschritt.

Das will auch heißen, dass der moderate Islam keine Chance hat, sich in der Praxis durchzusetzen?

Im Islam ist eine interne, aus dem Innern kommende Kritik, und somit auch die Bereitschaft zum Dialog sehr schwierig. Im alten Testament findet man die Geschichte Hiobs, der anfängt mit seinem Gott abzurechnen. Und so etwas findet man, meines Wissens, im Koran nicht. Allah kann nicht im Geringsten in Frage gestellt werden.

Kann das auch daran liegen, dass im Islam Religion und Politik im Grunde nicht trennbar sind?

Das hat damit zu tun. Zum Vergleich: Als das Christentum seinen großen Aufschwung im Römerreich erlebte, gab es immer ein staatliches Pendant zum religiösen Herrschertum. Die bildeten fast nie eine monolitische Einheit. Als Beispiel: Im vierzehnten Jahrhundert gab es Papst Bonifaz den Achten. Dieser hegte den Anspruch, das gesamte Christentum zu beherrschen. Doch er wurde von einem Gesandten des französischen Königs unter Druck gesetzt und zum Aufgeben gezwungen. So gab es für jeden Denker, der bei der Kirche aneckte, immer noch die Möglichkeit zum König oder zum Kaiser zu gehen. In islamischen Gesellschaften bestand diese Möglichkeit nicht.

Wie beurteilt denn ein Atheist den Karikaturenstreit? Ist dies der angekündigte Krieg der Zivilisationen?

Mit Huntingtons Theorie vom „Clash of Civilisations“ konnte ich nie viel anfangen. Ich fürchte nur, dass sie im Moment zu einer „self-fulfilling prophecy“ wird. Dass durch seine Diagnose genau das geschieht, was nicht unbedingt geschehen muß. Diese Gefahr besteht. Obwohl wir es in der arabischen Welt immer noch nicht mit einem geeinten Block zu tun haben. Das zeigt uns die Geschichte der letzten 30 Jahre. Somit haben sich seine Theorien immer noch nicht bewahrheitet.

Dann handelt es sich eher um eine herbei beschworene Affäre?

Ja. Da gehen Leute auf die Straße, die nicht einmal wissen wo Dänemark genau liegt. Da braucht man nicht weiter drauf einzugehen. Die einzige Frage die bleibt, ist die nach dem Ursprung dieser Wut. Die Veröffentlichung von Karikaturen in einer rechtsliberalen, dänischen Tageszeitung reicht anscheinend aus, um all das zu entladen. Aber wo kommen wir hin, wenn wir hier nicht einmal mehr ein Kinderbuch veröffentlichen können, das den Propheten Mohammed erklärt?

Kürzlich erhielt aber auch ein Karikaturist des deutschen „Tagesspiegel“ Morddrohungen. Wegen einer Zeichnung, die weder den Propheten noch seinen Gott zeigt.

Da sieht man, dass dieser Streit weit über die rein religiöse Sphäre hinausgeht. Wenn man Mohammed mit einem Bombenturban abbildet, dann werden die Gefühle von Millionen verletzt, weil das nicht ihrer Vorstellung vom Propheten als Friedensbringer entspricht. Andererseits ist dies im Westen das momentane Bild, das tagtäglich vom Islam gezeigt wird. Es gibt Leute, die ihre Familien oder Freunde in den Attentaten vom 9.11., in Madrid oder in London verloren haben. Und für die ist dieses Bild vom Bombenturban bittere Wahrheit. Natürlich kann man sagen, dass die Karikatur dumm und schlecht gemacht ist, aber sie drückt auch etwas aus. Zwar ist dies lediglich ein kleiner Aspekt des Islam, aber niemand kann sagen, dass er nicht existiert. Eine Karikatur ist ja auch keine religionsgeschichtliche Darlegung über die Bedeutung Mohammeds, sondern nur die Überspitzung eines Details.

Im „Unglaubensgespräch“ fragen Sie ja auch: „Was ist das für ein Gott, der keine Blasphemie verträgt?“

Ganz genau! Es ist für mich rätselhaft, wie eine Kritik, von innen oder von außen, der betroffenen Religion, einer Gottheit etwas anhaben kann. Ein Gott, der sich durch eine Karikatur beleidigen lässt, kann doch nicht allmächtig sein. Das ist eine relativ kleinmütige Gottesvorstellung. Man darf ja auch nicht den politischen Opportunismus vernachlässigen, der hier im Hintergrund agiert. Bei Rushdie war es Chomeini, der ein fulminantes Comeback mit seiner Todesfatwa machte, und jetzt versucht der syrische Präsident Assad von seiner Mittäterschaft im Mordfall Hariri abzulenken, das spielt auch alles mit.

Muss man als Atheist denselben Respekt verlangen können, den die Religiösen – und nicht nur der Islam – einfordern?

Selbstverständlich. Per Definition ist Blasphemie zwar an eine Gottesvorstellung gebunden. Das kann man als Atheist nicht einfordern. Es gibt aber auch „heilige“ Gefühle bei Atheisten – obwohl das Wort „heilig“ bei mir den Eindruck der Diskussionsfeindlichkeit hinterlässt – unter anderem Menschenrechte. Wenn ich im Fernsehen Geiseln sehe, die unter eine Klinge gehalten werden, dann bin ich auch empört. Es ist immer der Beleidigte, der definiert ob er beleidigt ist, und ich kann das auch sein. Wenn die Muslime beleidigt sind, warum schauen sie sich das an? Es zwingt sie doch niemand dazu. Ich werfe ja schließlich auch keine Steine auf Botschaften, nur weil die Nationen, die sie repräsentieren, die Menschenrechte verletzen.

Ein Atheist darf dann auch kein Neutrum in der Gesellschaft sein?

Auf keinen Fall. Wenn man sich die Entwicklung der Menschenrechte anschaut, dann stellt man fest, dass dieser Prozess parallel zur Religionskritik gelaufen ist. Und das ist alles andere als ein Zufall. Atheisten legen immer einen hohen Wert auf solche Freiheiten.

Mit Hermann Kurzke haben Sie einen fruchtbaren Dialog geführt. Könnten Sie sich vorstellen das gleiche Gespräch mit einem Extremisten – egal welcher Religion – zu führen?

Ich glaube nein. Hermann Kurzke war wirklich ein Glücksfall, weil er mich nicht bekehren wollte und ich ihn auch nicht. Mit einem Extremisten, der prinzipiell seine Position nicht in Frage stellen will, ist das unmöglich. Extremisten sind Leute, die Angst vor jedem Dialog haben. Deshalb verbergen sie sich hinter ihrem religiösem Schutzmantel, damit niemand an sie und an ihre Ängste rankommt. Mit solchen Menschen kann man keinen fruchtbaren Dialog führen. Nicht solange sie ihre Ängste nicht ablegen können.

Jacques Wirion, Hermann Kurzke: Unglaubensgespräch, erschienen beim C.H. Beck Verlag, München, 22,90 €.


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