LITERATURFESTIVAL: Gratwanderung zwischen Küblböck und Kertész

Hochkarätiges liegt in der Landluft: Nach einigen Streitigkeiten hat sich das Eifel-Literatur-Festival inzwischen zu einer der bedeutendsten Autorenveranstaltungen in Deutschland gemausert.

Bruder eines bekannten Sängers, Experte für Rückenschmerzen und Autor: Dietrich Grönemeyer liest am 27. Oktober in Wittlich.

Alice Schwarzer kommt. Senta Berger auch. Und Peter Scholl-Latour. Martin Walser jedoch nicht. Der schreibt derzeit an seinem neuen Buch und will dabei nicht gestört werden. Doch wenn er es fertig hat, kommt er bestimmt. Wer schon zwei Mal dabei war, ist es sicher auch ein drittes Mal – nur eben nicht dieses Mal. Dafür aber Professor Dietrich Grönemeyer, Bruder eines bekannten deutschen Musikers, Vater der Mikrochirurgie und „Man of the Year“ (2000) in den USA.

Unzählige Einblicke in den menschlichen Körper hat der Mediziner bereits hinter sich, und wie es im Inneren, zwischen Gehirn und Dünndarm, zugeht, hat er zusammengefasst, in seinem Werk „Der kleine Medicus“. Am 27. Oktober kommt Grönemeyer ins deutsche Wittlich, um dort in der Synagoge im Rahmen des Eifel-Literatur-Festivals für eine menschlichere Medizin zu werben. Und natürlich auch für seine Bücher, sei es der kleine Medicus oder aber „Mensch bleiben“ und „Mein Rückenbuch“. Was bei Rückenschmerzen hilft, weiß der Professor, und vielleicht ist auch das der Grund, warum ihn Josef Zierden eingeladen hat. Denn zwischenzeitlich sah es so aus, als würde Zierdens Rücken unter der Last all derer, die er als Initiator der literarischen Veranstaltung bereits eingeladen hat, zusammenbrechen. Vor zwölf Jahren hat der Mann, der Germanistik und Geschichte studierte, über Clemens Brentano promovierte, sie erstmals gewagt – die Mischung von Eifel und Literatur. Wobei: So wirklich mischen musste der Lehrer aus Prüm nicht.

Denn was Zierden 1994 in der Schalterhalle einer Prümer Bank präsentiert, sind Autoren, die entweder in der Eifel leben oder zumindest Teile dieser Region schriftstellerisch verwertet haben. So wie Jaques Berndorf oder Georg R. Kristan. Nun ist aber die Zahl derer, die sich literarisch in der Eifel bewegen oder zumindest dort leben, wenn sie sich mit Gott und dem Rest der Welt befassen, äußerst gering, weshalb das Eifel-Literatur-Festival die Auswahl-Kriterien neu definieren musste. Mittlerweile sieht es so aus, als hätten die Veranstalter einen Maßstab gefunden: Erfolg. So gehören zu den Literaten, die bisher zwischen Bitburg und Prüm vorgetragen haben, Menschen wie Siegfried Lenz, Ulrich Plenzdorf, Günter Wallraff, Umberto Eco, Ralf Giordano, Elke Heidenreich und der Literatur-Nobelpreisträger Imre Kertész.

Der Landkreis hat’s kapiert

Und Daniel Küblböck. Nachdem dieser zunächst die deutsche Nation spaltet kommt er 2004 nach Prüm, um die Teilung auf mikrokosmischer Ebene fortzuführen. Und das obwohl Küblböck neben Dieter Bohlen und Hera Lind zu den erfolgreichen Künstlern gehört, für die Zierden – nicht zuletzt aufgrund seiner Liebe zur Literatur – nur wenig übrig hat. Weder in seinem Bücherregal, noch auf der Gästeliste. Und dann kommt der „schräge Daniel“ doch, weil es eine Tageszeitung als Aprilscherz verkündet, viele Leser an diesem
1. April den Blick auf den Kalender versäumen und Karten-Anfragen von „Faniels“ aus ganz Deutschland, Luxemburg und der Schweiz kommen. Zierden sieht
sich unter Zugzwang, lädt den „Deutschland-sucht-
den-Superstar“- Teilnehmer schließlich ein und wird selbst zum Kreuzritter in Küblböcks Feldzug gegen Geschmack und Intoleranz. „Kulturschande“, schimpfen verärgerte Bürger der Eifel, darunter auch solche, die sich weitaus lieber in Kirmeszelten als in Buchhandlungen aufhalten. Doch Zierden zieht sein Ding durch. Küblböck ist inzwischen Vergangenheit, ebenso wie der Streit um eine Saalmiete über 222 Euro, die der Landkreis Bitburg-Prüm dem ehrenamtlich tätigen Veranstalter in Rechnung stellt und infolge dessen ein frustrierter Josef Zierden das Handtuch wirft, um es wenig später wieder aufzuheben – gemeinsam mit neuen Sponsoren und Autoren.

So schreibt Michael Preute alias Jacques Berndorf in einem Plädoyer für den Initiator: „Die meisten Eifeler haben todsicher keine Ahnung davon, dass Zierden eine der besten Literatur-Reihen im ganzen deutschsprachigen Raum buchstäblich im Alleingang Jahr um Jahr auf die Beine stellt.“ Und es scheint, als habe der Krimi-Autor recht: Viele haben tatsächlich keine Ahnung. Allen voran der Landrat des Kreises Bitburg-Prüm, Roger Graef. Doch als es der Kreisbehörde langsam dämmert, dass es für die Eifel nicht unbedingt von Nachteil sein muss, wenn dort Schriftsteller wie Martin Walser oder Donna Leon mit dem Vorlesen aus Büchern einen netten Abend verbringen, wacht man auch dort auf. Mittlerweile hat der Landrat die Bedeutung der Veranstaltungsreihe nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern setzt sich sogar dafür ein, dass das Eifel-Literatur-Festival Teil der Dachmarke „Eifel“ wird, positioniert irgendwo zwischen Fremdenverkehr, Wirtschaft und dem bei den Touristen so beliebten Eifel-Schinken. Zierden soll es recht sein, und Senta Berger ist es ohnehin egal. Am heutigen Freitag ist die in Wien geborene Schauspielerin jedenfalls im Irreler Bürgerhaus, um dort mit ihrem literarisch-musikalischen Programm „Wiener Melange“ Kaffeehaus-Atmosphäre zu erzeugen. Und wer das Bürgerhaus kennt, weiß, dass diese Frau die Herausforderung nicht scheut. So wie Zierden. Und Ludwig Lugmeier, der im Oktober 1973 in Deutschland zunächst einmal dadurch bekannt wird, dass er einen Geldtransporter ausraubt und bei der anschließenden Gerichtsverhandlung aus dem Fenster springt und flüchtet. Über drei Jahrzehnte später, im Juni 2006, findet sich der Millionendieb erneut vor Gericht wieder. In einem Prozesssaal des Bitburger Amtsgerichts. An diesem Abend sind die Fenster vorsichtshalber geschlossen. Doch Lugmeier flüchtet nicht, sondern gesteht alles. Seine ganze Lebensgeschichte. „Der Mann, der aus dem Fenster sprang“ liest aus seiner 2005 erschienenen Autobiografie, und 120 Zuschauer hören gespannt zu.

Rund 300 Literaturfreunde sind es bei einer Veranstaltung vergangene Woche in Bitburg, wo der französische Bestseller-Autor Eric-Emmanuel Schmitt („Monsieur Ibrahim et les fleurs du Coran“) aus seinem neuen Werk „Ma vie avec Mozart“ vorliest. Ähnlich wie Mozart fühlt sich auch Schmitt dem kritischen Vorwurf ausgesetzt, seine Werke seien zu populär. Doch die Schlange derjenigen, die nach der Lesung ihre Bücher signieren lassen, stört das kaum. Was Eric-Emmanuel Schmitt für Frankreich, ist Margriet de Moor für die Niederlande und für das Eifel-Literatur-Festival der nächste Gast nach Senta Berger. Am 15. September wird die erfolgreichste Autorin ihres Heimatlandes aus ihrem aktuellen Werk „Sturmflut“ lesen, ein Roman, in dem es um die schwere Naturkatastrophe geht, die 1953 die Niederlande heimsuchte, und um die Schicksale zweier Schwestern. Nicht um Schwestern, dafür aber um Freundinnen geht es Alice Schwarzer, Herausgeberin und Verlegerin der Zeitschrift „Emma“ und die mit Sicherheit bekannteste Wortführerin der feministischen Bewegung in Deutschland. „Liebe Alice! – Liebe Barbara“ heißt ihr vergangenes Jahr erschienenes Buch über den atemberaubenden Briefwechsel zweier Frauen, die ihre Jugend als beste Freundinnen verbrachten, sich dann aus den Augen verloren – und 40 Jahre später zufällig wieder trafen. Ihre Lesung am 10. November in Prüm wird nach Auftritten von Pater Anselm Grün, Peter Scholl-Latour, Ulla Hahn, Friedrich Christian Delius sowie Peter Hahn die letzte des diesjährigen Eifel-Literatur-Festivals sein. Zuvor kommt – wie bereits erwähnt – allerdings noch Grönemeyer. Der Mann, der sich mit Rückenschmerzen auskennt. Die kommen oft vom Heben zu schwerer Gegenstände. Doch so viel wiegt ein geschmissenes Handtuch nun auch wieder nicht.

www.eifel-literaturfestival.de


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