LITERATUR: Alles hat ein Ende …

Mit seinem neuen Buch „Die Wurst. Das Ende. Der Welt. – Eine Zeitnahme.“ testet der Bildhauer, Maler und Schriftsteller Rafael Springer die Grenzen der Literatur aus und fordert seinen Lesern einige Ausdauer ab.

Hat die Welt von fern im Blick: Vielfachkünstler Rafael Springer. (Foto: David Russon)

Um eines gleich vorwegzunehmen: Dieses Buch kann einfach nicht mit den üblichen Kriterien betrachtet werden, genauso wenig wie der in Zürich geborene und seit 1965 in Luxemburg lebende Allround-Künstler Springer sich in eine Kategorie einzwängen lässt. Eine Kostprobe: „Ich bin die Alzette! Kein richtiger Fluss. Kein klarer. Bin auch kein klarer Mensch. Kein klarer Denker. Stromlinienförmiger. Kein Geschichtenschreiber. Kein Erzähler [Ù] Ich knote sie zusammen! Die Stäbe dieses Buchs. Wie Bockwürste. Wie Wortwürste.“.

Rafael Springer beschreibt in seiner „Zeitnahme“ die Gedankensprünge eines anti-heroischen Erzählers, der in einem zermürbenden Endlosstau auf der Adolphe-Brücke in Luxemburg-Stadt gefangen ist. Eine lineare Handlung ist nicht wirklich vorhanden, dafür ergeben diverse Leitmotive einen dünnen Rahmen, an den sich der Leser klammern muss, um Springers Sprünge heil zu überstehen. Die Adolphe-Brücke ist nämlich eine Wurst, zwischen deren beiden Enden der Erzähler wie Fleischbrät ausweglos eingepresst ist. Die Brücke ist das Leben ist die Wurst.

Springer ist groß, schlank und seine blauen Augen wirken jungenhaft frech, wenn er lächelnd erklärt: „Das Leben ist nun mal wirklich eine Wurst, es fängt mit der Nabelschnur an, wo es aufhört, weiß ich noch nichtÙich werde es aber wohl irgendwann herausfinden.“ Neben dem Wurstbrät-Motiv ist es der konstante Bezug auf einen mysteriösen Terminator, der den Erzähler verwirrt. Natürlich habe er dabei an den gleichnamigen Film mit Arnold Schwarzenegger gedacht, an eine Gestalt, die von außen kommt und Böses bringt, so der Autor. In Springers fiktiver Wurst-Welt repräsentiert der Terminator die „Oberstörenfriede“, die anstatt der erhofften Hilfe kommen. Der „normale“ Mensch, der wie Springers Held in der Lebenswurst gefangen ist, scheint nämlich auf einen „Auserwählten“ zu warten, auf einen „Subliminator“. „Doch es ist kein Subliminator da, der die Sachen in ein positives Licht stellt, es wird alles wie Brät in eine Wurst gepresst“, so der Autor.

Pont Adolphe: Wurstpresse

Es ist keine einfach verdauliche Kost, die der Künstler seinen Lesern präsentiert. Doch der will auch nicht durchanalysiert und – interpretiert werden. Als er „Die Wurst.“ schrieb, hatte er natürlich ein Konzept vor Augen. Aber auch ihm fällt es im Nachhinein schwer, sich in dieser Gedankenwelt wiederzufinden und die einzelnen Gedankenstränge und -sprünge zu rekonstruieren. Sein Tipp an die Leser: „Lies es einfach, lass es einfach auf dich zu kommen. Du kannst es natürlich gerne durchinterpretieren, aber dann wirst du am Ende wahrscheinlich ein dickeres Buch aufweisen können als ich!“ Auch die Kritiker weiß er zu entwaffnen, denn wer wird Springer schon mit reinem Gewissen verreißen, wenn er sich im Buch selbst als „schreibendes Debakel“ bezeichnet, der seine „Belanglosigkeit“ zum Ausdruck bringt? Diese Bescheidenheit paart Springer mit einer, wie er sagt, „gesunden Arroganz“. Ein nachvollziehbarer Gegensatz, gehört doch zum masochistischen Mut des Publizierens auch der exhibitionistische Drang des Selbstdarstellens. Springer offenbart im Gespräch, dass diese Arroganz, diese scheinbare Selbstsicherheit eine Schutzschicht ist, die von der Verletzlichkeit des sich öffnenden Künstlers ablenken soll: „Wenn ich schreibe und veröffentliche, mache ich mich verletzlich. Deswegen muss ich standhaft und selbstsicher wirken, sonst werde ich zertreten.“

Auch wenn Springers Telegramm-Stil den Anschein hat: Der Text ist nicht aus einem Block entstanden und auch nicht in einer drogenverschleierten Nacht geschrieben worden. Etwa zwei Monate hat er an seinem Werk gefeilt, solange, bis er mit dem Resultat zufrieden war. Keine einfache Arbeit, denn um seinen Schreibfluss, seinen Rhythmus aufrecht zu erhalten, musste er sich regelrecht in Trance schreiben, ganz ohne Rauschmittel. Dass der Leser seine Schwierigkeiten hat, bei diesem Tempo mit zu halten, stört den Künstler nicht weiter: „Ich will den Leser nicht schnaufen lassen, ich bin der Chef und ich gebe das Tempo vor.“ Springer wollte eigentlich schon immer Schriftsteller werden, hat aber bis vor Kurzem der plastischen Kunst den Vortritt gegeben. Ein Grund dafür war sicherlich auch seine Erkenntnis, dass sein Talent nicht im Geschichtenerzählen liegt. „Ich will schreiben, und was ich sagen will, passt eben nicht in die gängigen Formen“, beschreibt er sein Dilemma. Also musste er neue Wege gehen, seine eigene Sprache finden. „Ich bin ein Künstler, das Schreiben ist für mich auch eine visuelle Sache“. So nennt er sich einen „sculpteur de mots“, einen wortwörtlichen Schrift-Steller. Es ist der spielerische Umgang mit der Sprache, der ihm Spaß macht und den er technisch virtuos beherrscht. Springer bedauert, dass die Menschen einen so schrecklichen Respekt vor Wörtern haben, “ wie vor den Eltern, das muss doch nicht sein“. Lieber testet er die Grenzen aus, sprengt Konventionen, um zu zeigen, was alles möglich ist, wenn man sich die nötigen Freiheiten nimmt. Auf jeden Fall solle man nicht immer alles so ernst nehmen, so Springer. Dennoch ist „Die Wurst.“ keine Komödie. Es ist ein sehr wütendes Buch, und der Autor gibt auch zu, beim Schreiben sehr viel Wut im Bauch gehabt zu haben. „Ich bin damals nicht über diese symbolische Brücke gekommen, … ich war nur schwer genießbar in dieser Zeit“ sagt er, und immer noch schwingt Emotion in seiner Stimme mit.

Im Telegrammstil

Der charmante Künstler tut sich in den letzten Jahren mit dem Lesen schwer; meist interessiert ihn ein Buch schon nach drei Seiten nicht mehr. „Ich kenne genug Geschichten, ich habe ausreichend gelebt“. Dennoch räumt er ein, dass er sich keineswegs anmaßt, in der gleichen Liga wie etwa ein Max Frisch zu spielen. Umso interessanter wirkt in diesem Kontext der kleine Hinweis auf einen luxemburgischen Autor, den der aufmerksame Leser in „Die Wurst.“ finden wird. Zu sehen, dass ein Landsmann bei Suhrkamp veröffentlicht, habe Springer unter anderem angespornt, wieder zu schreiben.

„Die Wurst. Das Ende. Der Welt.“ ist nicht, wie noch 1994 seine erste größere Veröffentlichung „Alarm“, in einem Verlag erschienen; Springer hat das Buch im Eigenvertrieb bei „Books on Demand“ herausgebracht – einem Verlag, bei dem der Schriftsteller seine Bücher selbst in Auftrag gibt, bezahlt und weiterverkauft. Er ist sich bewusst, dass solche Veröffentlichungen in der Literaturszene sehr kritisch beäugt werden. Er legt großen Wert darauf, zu betonen, dass er keineswegs schlechte Erfahrungen beim Phi-Verlag gemacht habe oder etwa keinen Verleger gefunden hätte für seine neuesten Projekte. Im Gegenteil sprachen sowohl künstlerische wie auch finanzielle Gründe für eine On-Demand-Veröffentlichung. „Ich weiß, dass die Leute sagen: Da kann doch jeder Idiot irgendein Blödsinn publizierenÙ ich habe kein Problem damit; so arrogant bin ich dann auch nicht“.

Springer lässt sich ungern vorschreiben, was er machen soll und vor allem mag er es nicht, andere um etwas zu bitten. Der Autor genießt einfach nur die Freiheit, die das Verlegen ohne Verleger mit sich bringt: Er allein ist verantwortlich für Inhalt und Form, vom Konzept bis zum Layout, und Spaß hat er auch noch dabei. Um eines seiner Wortspiele zu übernehmen: Er ist nun mal kein Terminautor. Im Eigenvertrieb zu veröffentlichen, ermöglicht es Springer auch, in naher Zukunft eine englische Übersetzung seines Buches herauszubringen. Eine sehr spannende Erfahrung sei das Verfassen der englischen Version gewesen, eine Möglichkeit, sein Buch in einem ganz neuen Licht zu sehen.

Natürlich liegt nun auch der Vertrieb in seiner Verantwortung: Er muss sein Buch selbst unter die Menschen bringen. Der nach eigener Aussage eher menschenscheue Künstler wird jedoch voraussichtlich nicht auf Lesetour gehen. Er könnte sich aber eine Hörbuchfassung seines Buches vorstellen. „Mit Thierry van Werveke als VorleserÙwäre das nicht perfekt?“ Das könnte das Verdauen dieser Wurst tatsächlich um einiges leichter machen.

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Rafael Springer: „Die Wurst. Das Ende. Der Welt. – Eine Zeitnahme“.
Bestellbar unter www.rafaelspringer.com

„Alarm – Briefe an mich“, erschienen bei éditions phi, 1994.


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