2007 will auch
Kulturjahr der sogenannten
„off“-Szene sein und KünstlerInnen jenseits der glamourösen Eventkultur eine Plattform bieten.
Wie Anspruch und Realität sich zueinander verhalten, kann man am Beipiel des LX5-Kollektivs erkennen.
Im sonnendurchfluteten Innenhof des Paul Wurth-Gebäudes in Hollerich herrscht gähnende Leere. Die SchülerInnen des dahinter gelegenen „Neie Lycée“ sind in den Osterferien. Fast könnte man meinen, ein weiteres leerstehendes Fabrikgebäude vor sich zu haben, das nur darauf wartet, zu einem weiteren Bürohaus umgebaut zu werden. Und doch, bei näherer Betrachtung fallen zumindest die Fenster eines Hintergebäudes auf. Sie sind nämlich nicht nur aus schönem industriellen Milchglas, sondern auch noch mit Mustern verziert, die auf Kunst deuten lassen.
Drinnen in der LX5-Homebase – wie das Gebäude für das Kulturjahr umgetauft wurde – befindet sich Norry Schneider. In der angenehmen Kühle der stillgelegten Halle sitzt er und wartet. Auf wen?
Zu sehen gibt es in der Tat einiges. Momentan läuft eine Ausstellung des Brüsseler Kollektivs „L’écurie“, die sich einen der oberen Räume zu eigen gemacht haben. Und auch in den anderen Räumen haben sich verschiedenste Kunstwerke eingefunden, wie etwa Video-Installationen und großformatige Fotos von leuchtendem Froschlaich. „Die Künstlerin wollte eigentlich nur den Laich fotografieren. Beim Entwickeln der Bilder fiel ihr auf, dass die Laichkugeln Licht abgeben, als wären sie von innen erhellt“, erklärt Norry Schneider. Die Bilder und Installationen von Nadine Johanns werfen so die Frage nach einem metaphysischen Etwas auf. Nur ist, im Moment zumindest, niemand da, um sich diese Frage zu stellen. In regelmäßigen Abständen macht sich zwar das Klicken der Haupteingangstür bemerkbar, doch es sind meistens MitarbeiterInnen des LX5-Kollektivs oder JournalistInnen, die in aller Ruhe durch die Ausstellung gehen, den Notizblock fest in der Hand, die Kamera um den Hals baumelnd.
Leuchtender Froschlaich
Wie läuft sie denn, die einzige große „off“-Plattform des Kulturjahrs? „Es ist alles eine Sache des Kontextes“, meint Norry Schneider. Nun sitzt er in seinem „Büro“, das hauptsächlich aus alten Möbeln besteht. Auf dem massiven alten Holzpult thront ein Laptop, dessen Rückseite mit allerlei Stickern verdeckt ist. Ein blauer Hirsch ist nicht dabei. „Es geht uns darum, verschiedene Fragen erst einmal in den Raum zu stellen. Wer Freiräume für ‚off‘-Kunst erschaffen will, muss erst einmal über einige Erfahrunge verfügen. Und daran mangelt es hier in Luxemburg“, so Schneider. Als Beispiel für diesen Mangel könnte man die fehlgeschlagene Besetzung des Tramschapp sehen. Ende 2005 schlug der Rummel um diesen Ort noch hohe Wellen, doch den Besetzern mangelte es einfach am Know-how, wie man sich mit den Autoritäten richtig auseinandersetzt. So kam es wie es kommen musste: Ein weiterer möglicher Freiraum verschwand.
„Gerade auf dem Gebiet der Stadt Luxemburg gibt es sehr viele Möglichkeiten, Freiräume zu erschließen. Aber wenn niemand was unternimmt, werden auch diese Gebäude zu Bürohäusern werden“, befürchtet Schneider. Um hier Abhilfe zu schaffen, organisiert LX5 in seiner Homebase nicht nur Kunstausstellungen, sondern auch Diskussionen und Workshops zum Thema. So werden zum Beispiel am 21. April verschiedene ausländische Kollektive ihre Erfahrungen mit InteressentInnen teilen. Dazu gehören das Projekt „Citymine(d)“ aus Brüssel, das sich seit 1997 darum bemüht, den urbanen Raum umzudeuten und ihn von ökonomischen Zwängen loszueisen. Auch Vertreter des bekannten selbstverwalteten Brüsseler Kinos „Cinéma Nova“ werden präsent sein. „Es geht uns aber nicht unbedingt darum, Menschen zu Häuserbesetzungen aufzurufen. Jedes dieser Kollektive, so Norry Schneider, hat seinen eigenen Werdegang: „Ausgangspunkt und Ziel sind nicht immer die gleichen. Während verschiedene Häuser den langen Marsch durch die Insititutionen erfolgreich hinter sich gebracht haben, dafür aber einen Teil ihrer Unabhängigkeit einbüssen mussten, sind andere ärmer, aber freier geblieben.“
Um auch dieses – in Luxemburg nicht unbekannte Phänomen – näher zu beleuchten, legen die LX5-Leute nach und organisieren eine weitere Diskussionsrunde im Mai: Daran werden unter anderem der künstlerische Direktor der Escher Kulturfabrik, Serge Basso, sowie Repräsentanten vom „Emmetrop“-Kunsthaus in Bourges und vom WUK in Wien teilnehmen.
Ärmer aber freier
Aber schon allein der Fakt, dass LX5 das Paul-Wurth-Gebäude sowie Teile der Gebläsehalle auf Esch-Belval kostenlos nutzen kann, ist ein Teilerfolg. „Die Leute von 2007 waren an sich sehr zuvorkommend. Nach einem ersten Kontakt mit Robert Garcia im Januar 2004 anlässlich einer Gesprächsrunde gab es reges Interesse von beiden Seiten, miteinander etwas auf die Beine zu stellen“, erzählt Norry Schneider, währenddessen er in der selbst zusammengezimmerten Küche die Spaghetti abgießt. Vieles hier sieht improvisiert aus, vieles ist es auch. „Es ist schwierig, das Budget mit all unseren geplanten Projekten in Harmonie zu bringen. Es kommt auch öfters vor, dass wir die eingeladenen Künstler hier auf Sofas übernachten lassen“, berichtet er. Aber das soll nicht unbedingt als Klage verstanden werden. „off“-Kultur im Hotel Royal unterzubringen, geht nicht. Und das Ganze behält auch so einen studentischen Hauch von Autonomie und Freiheit. Was hingegen zu beklagen ist, ist der Mangel an Verständnis von seiten der Organisatoren des Kulturjahrs: „Es war schon manchmal ein Kampf, um an verschiedene Schlüssel heranzukommen. Wir mussten den Eröffnungstermin mehrmals verschieben“, erinnert sich Norry Schneider. Als es schließlich soweit war und die Home-Base mit einer „Crash-Test“-Soirée vor einigen Wochen eingeweiht wurde, wusste das Team um den blauen Hirschen nicht genau Bescheid. „Jedenfalls haben sie den Termin verpasst und warten nun immer noch auf unsere offizielle Eröffnung“.
Aber jenseits dieser kommunikationstechnischen Mängel läuft die Homebase ziemlich rund. „Wir sind noch dabei, unsere ersten Erfahrungen zu sammeln und herauszufinden, was die Leute wirklich interessiert und wann welches Publikum erscheint“, so Schneider. Bislang waren die Erfahrungen eher paradox: Events, die lediglich über Mund-zu-Mund-Propaganda verbreitet wurden, zogen zum Beispiel mehr Publikum an als solche, die an die gesamte Presse geschickt wurden. „Wir werden dieses Jahr einfach ein Maximum an Veranstaltungen organisieren. Und dann, nach dem ganzen Rummel, werden wir weitersehen, ob etwas übrig bleibt, oder ob wir ab 2008 radikalere Methoden der Freiraumbeschaffung anwenden müssen“, meint Schneider und blickt nach draußen in den Hof. Dort hat gerade ein orangefarbener Laster der Stadtverwaltung geparkt. Die ebenfalls orangefarben gekleideten Gemeindearbeiter entladen einen blauen Hirsch den sie vor den Eingang platzieren. Das „off“-Kulturjahr hat nun auch offiziell begonnen.