Anne Schaaf hat Armenien mit einem Rucksack voller Puzzlestücke verlassen. Diesen schüttet sie nun aus und fügt die unterschiedlichen Eindrücke in mühevoller Kleinstarbeit zusammen, damit sich ein Gesamtbild von ihrer Reisestation im Kaukasus ergibt.
Die Töne, die in meinen Überlegungen zu Armenien mitschwingen, sind so unverwechselbar wie das Land selbst. Der Soundtrack zum Film in meinem Kopf wurde von System of a Down komponiert. Einer aus Armenien stammenden, aber in den USA lebenden Band, die meine Jugend geprägt hat. Mich hat schon immer beeindruckt, dass Serj Tankians Stimme trotz des Geschosshagels aus musikalischen Maschinengewehren stets unversehrt bleibt und das Gesamtgebilde in seiner subversiven Machart wie eine extrem energische, nicht abklingen wollende Kampfansage klingt. Die – zumindest auf musikalischer Ebene – neben Charles Aznavour (und Cher, die ich an dieser Stelle lieber verdränge) berühmtesten Diaspora-Armenier singen unter anderem gegen diejenigen an, die den Genozid an ihren Vorfahren vor knapp 100 Jahren nicht anerkennen wollen. Das wusste ich in frühen Teenagerjahren noch nicht. Damals kam mir die unüberhörbare Wut einfach sehr gelegen, denn auch ich hatte den Drang, anzuprangern, wenn auch (zum Vorteil meines sozialen Umfeldes) nicht singend. Jetzt, fast 15 Jahre später, habe ich mich in das Herkunftsland der Ausnahmemusiker begeben, um herausfinden, ob das Land wirklich so melancholisch und doch auch mutig ist, wie es in meinen Gedanken klingt.
Im Herzen der Finsternis
Als ich nach meiner Ankunft den kleinen Flughafen in der armenischen Hauptstadt Yerevan verließ, war es zappenduster. Am Straßenrand tauchten, umrahmt von wenigen, fast zurückhaltend wirkenden Lichtstreifen, ab und zu Bauelemente und Gerätschaften auf. Ich fragte mich, ob sich hier der langwierige, aber stetige Wiederaufbau nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion abzeichnete. Erst später fand ich heraus, dass derartige Baustellen zum Stadtbild dazugehören und viele Bauprojekte in ihrem unvollendeten Zustand für die Ewigkeit bestimmt sind. Sie ruhen halbwegs in Frieden. Und lassen sich nachts unter der Decke der tiefen Dunkelheit begraben, die jenen landesüblichen, direkt aus dem Lada-Kofferraum verkauften Teppichen gleicht, unter denen das Daruntergekehrte erst einmal verborgen bleibt. In diese dürftige Hülle gekleidet, erinnert die Szenerie ein wenig an Christo für Verunglückte.
Die Zahl der ausländischen Besucher im kleinen Binnenstaat im Südkaukasus steigt langsam, aber es geht voran. Wirklich routiniert im Umgang mit Schaulustigen oder gar Wissensdurstigen wirkten dennoch weder Tour-Anbieter noch die Bevölkerung auf mich. Obwohl Englisch an armenischen Schulen gelehrt wird, spricht man es vielerorts nur gebrochen oder gar nicht.. Ebenso schlägt bei mancher Begegnung mit Fremden ein unbeholfenes und darum umso überzogeneres Theater in Realsatire um. Es wird glorifiziert, was das Zeug hält. Viele begreifen nicht, dass man nicht nur wegen der Schokoladenseite des Landes gekommen ist, sondern ein ehrliches Interesse an der realen Situation hat.
Einige meiner überwiegend jungen Gesprächspartner betonten, Armenien sei es wert, bereist zu werden. Nichtsdestotrotz ähnelten ihre Ausführungen häufig der Schilderung einer Hassliebe. Das Leben an diesem Ort sei eher ein Überlebenskampf, der Politik vertraue man auch nach dem Fortgang der Russen nicht oder sogar noch weniger. Manche bleiben, weil sie kämpfen wollen. Viele, weil sie gar nicht wegkönnen. Schwierige Visa-Bestimmungen und der Mangel an Geld schaffen so einen alles andere als goldenen Käfig. Aus ihm heraus kann man zwar wunderschöne blühende Landschaften beobachten, doch viele neue Ideen werden trotz der frischen Luft sogleich im Keim erstickt. Raum für Kreativität, Privatsphäre und Unabhängigkeit zu schaffen, wird beispielsweise dadurch verhindert, dass junge Menschen, selbst solche mit Vollzeitjob, sich keine eigene Wohnung leisten können. Bei aller Liebe zur Familie – und diese wird hier definitiv hochgehalten – bleibt eine gesunde Distanz zur Verwandschaft und damit eine wichtige Voraussetzung für Selbstständigkeit verwehrt.
An einem sonnigen Wochenende fragte mich eine junge Frau, die ich in der Hauptstadt kennengelernt hatte, ob ich Lust hätte, mit ihr zum alten Sommerhaus ihrer Familie im nahegelegenen bergigen Umland zu fahren. Sie fügte etwas zögernd hinzu, dass es mir hoffentlich nichts ausmache, mich im 25 Jahre alten Lada ihres Großvaters nicht anschnallen zu können. Ich machte mich auf eine halsbrecherische Tour gefasst, merkte aber schnell, dass das Zusammenspiel zwischen dem gemächlichen Fahrstil des Großvaters und den eher abstrakten Fahrbahnen keine allzu großen Gefahren barg.
Himmel über Yerevan
Wir tuckerten über Stöcke und Steine und unterhielten uns auf der Rückbank über eine Art armenisches Bielefeld. Nämlich über Radio Yerevan, einen imaginären Radiosender, der mit seinem fiktiven „Fragen an Radio Yerevan“-Dienst vor der Unabhängigkeit Armeniens ein wichtiges Vehikel für subversive, die sozialistische Politik kritisierende Witze bildete. Die pfiffig-absurden Fragen und Antworten nahmen das System des großen Bruders manchmal mehr und manchmal weniger offensichtlich auf die Schippe. Mir hat der dargebotene schwarze Humor in Armenien sehr zugesagt, und ich stellte in diesem Kontext die These auf, dass das Niveau von Witzen nicht selten mit dem in einem Land vorhandenen Leid steigt. Das würde zumindest erklären, warum die Scherze der luxemburgischen „Déckkäpp“ so unendlich schlecht sind und konstant Fremdscham auslösen.
An den Hügeln, die Yerevan wie ein kaputter Heiligenschein umschließen, begann dann aber ein wahrer Hindernisparcours. Denn wo sich die Straße befindet, war ab hier reine Auslegungssache. Wir wurden kräftig durchgeschüttelt und lachten darüber, aber ich dachte zugleich an jene SUVs in Luxemburg, die täglich unbeschreibliche Langstrecken, zum Beispiel von Belair auf Kirchberg zurücklegen. Im Gegensatz zu vielen Luxemburgern könnte der Großvater eine solche Karre wirklich brauchen, aber er hätte sie nicht mal geschenkt haben wollen, versicherte meine Sitznachbarin. Solange das Ding noch fahre, komme kein neues Auto infrage. Kurz danach folgte auf unserer Strecke ein Anstieg, der die Passagiere auf der Rückbank zwang, das in die Jahre gekommene Gefährt vorübergehend zu verlassen, denn trotz des extra beschleunigten „Anlaufs“ war dem Lada vor Erreichen der Anhöhe die Puste ausgegangen.
No Team Armenia
Vor dem kleinen Anwesen stehend, fühlte ich mich wieder an jene zuvor erwähnte Hassliebe erinnert. Der Ausblick war herrlich, und doch zog sich der Verfall wie ein ungerader Strich durch das eigentlich schöne Bild. Man erklärte mir, das Erbeben von 1988 sowie der durch Erosion verursachte desolate Zustand der Erde dort hätten in den letzten Jahrzehnten viele Sommer- und Wohnhäuser zerstört. Als ich fragte, warum es immer wieder zu Erdrutschen komme, erwiderte der etwas nihilistisch veranlagte Cousin meiner Bekanntschaft trocken und doch grinsend: „Because life is shit.“ Großes Gelächter. Er ist Künstler und wollte wie viele andere nicht zur Armee. In Armenien besteht jedoch Wehrpflicht. Als es für ihn vor einigen Jahren losgehen sollte – die Koffer waren schon gepackt – musste er noch zu einer Art Vorbereitungsgespräch. Er wurde dann doch noch unerwartet ausgemustert, obwohl er gar keinen Täuschungsversuch unternommen, sondern sich lediglich so präsentiert hatte, wie er tatsächlich ist.
Ein solches Glück haben längst nicht alle jungen armenischen Männer. Sie müssen ihrem Land als Soldaten dienen, obwohl ein nicht unwesentlicher Teil meiner männlichen Gesprächspartner keinen Sinn darin sieht. Es fehle die Verbindung und eine akzeptable Gegenleistung. Neben der harten Kost, die einen in der Armee auf digestiver wie auf psychischer Ebene erwartet, stehen dort auch Türen auf, durch die niemand schreiten will. Viele Familien haben Angst, dass der männliche Nachwuchs nach Bergkarabach an die Grenze zu Aserbaidschan geschickt wird. Ein Ort, der für einen uralten Konflikt steht, mit dem die neue Generation nichts mehr zu tun haben will. Sie wird trotzdem zum Kanonenfutter in diesem „silent war“, der eigentlich nur Erwähnung in den Medien findet, wenn die Zahl der Toten das „gewohnte Maß“ überschreitet.
Wenn der Ehemann zweimal zuschlägt
Wir gingen weiter auf dem Hügel herum. Kamen an Ruinen vorbei, einem in die Landschaft eingebrannten Durcheinander, das niemand mehr aufräumen wird. Denn viele wollen dieses Chaos hinter sich lassen, denn auf Hilfe, vielleicht sogar von der Regierung, zu hoffen, haben sie längst aufgegeben. Auch das Sommerhaus der Familie hat ein ganzes Stockwerk eingebüßt. Der prächtige Garten ist von Steinbrocken gesäumt. Der Großvater hat sie sorgfältig aufgeschichtet und fegt regelmäßig den Boden um sie herum. Gerade die jüngere Generation in der Familie, erklärt meine Begleiterin, komme gar nicht mehr her, da es ihr das Herz breche, zu sehen, wie wenig von den schönen Kindheitserinnerungen geblieben sei. Der Großvater aber wolle kommen, bis er stirbt, auch wenn die Familie befürchtet, das Haus könnte ihm irgendwann über dem Kopf zusammenfallen. Ich dachte unwillkürlich an Hemingways „Der alte Mann und das Meer“ und stellte in Bezug auf Liebe und Sturheit eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den beiden älteren Herren fest.
An einem anderen Tag unternahm ich einen Ausflug mit dem Bus zu mehreren Sehenswürdigkeiten im Norden Armeniens. Eine ebenfalls teilnehmende armenische Kleinfamilie schien zu Beginn der Tour noch recht gutgelaunt und ansatzweise glücklich. Mit fortschreitender Zeit stieg aber der Alkoholpegel des Vaters, weshalb die Mutter und die zwei kleinen Töchter zunehmend auf Abstand zu ihm gingen. Das ärgerte ihn, und er fing an, die Mutter und die jüngere, vielleicht gerade mal sechs Jahre alte Tochter zu piesacken. Die junge Frau versuchte, ihren Mann zu ignorieren. Kurze Zeit später versetzte er ihr aber einen Schlag auf den Kopf. Niemand reagierte.
Mehr von der Hoffnung auf Glück als von Verstand gleitet, packte ich ihn am Arm. Er verstand kein Englisch. Aber „please“ und „stop“ schienen irgendwie anzukommen. Doch kurz danach schlug er wieder auf seine Frau ein, und nun wehrte sie sich, drohte ihm, mit einer Flasche zurückzuschlagen. Der Freund des Mannes schaltete sich ein und versuchte ihn zu beruhigen. Die Frau telefonierte kurz und forderte dann den Busfahrer auf, mitten im Nichts in der Dunkelheit anzuhalten. Sie stieg mit ihren Kindern aus dem Bus, der Mann stolperte hinterher. Man vernahm einen lauten Knall an der Seitenwand des Busses. Einige lachten, die Gruppe wollte weiterfahren.
An Hilfe, geschweige denn Deeskalation war offenbar nicht zu denken. Während ich mich noch bemühte, zumindest die Touranbieter davon zu überzeugen, dass wir die nicht mehr allzu traute Familie auf keinen Fall alleine lassen dürften, stieg die Mutter schon samt Kindern in ein anderes Auto, das daraufhin in der Dunkelheit verschwand. Der Vater torkelte schnaufend in den Bus zurück. Wir fuhren weiter. Alle schwiegen. Nur das Radio unterbrach die unangenehme Stille. Es erklang „Like a Virgin“ von Madonna – etwas Unpassenderes ließ sich kaum denken. Das eben dargebotene Trauerspiel hatte nichts von Unberührt- oder Unbescholtenheit. In jenem Moment, als die Frau die Flasche gehoben und schon zum Schlag angesetzt hatte, konnte ich mich des traurigen Gedankens nicht erwehren, dass dies nicht der erste Zwischenfall dieser Art gewesen war.
Das Fenster zum Hinterhof
Armenische Mädchen sollen vor der Hochzeit keinen Sex haben. In Gesprächen über die pflichtmäßige Keuschheit fiel immer der Vergleich mit einem Apfel, der nicht angebissen werden darf. Dass aber nicht nur in dieser altertümlichen Symbolik, sondern auch im Konzept der Wurm drin ist, haben längst nicht alle begriffen. Von vielen Betroffenen wird die Idee zwar durchaus in Frage gestellt, aber der Druck von außen ist hoch. Direkt nach der Hochzeitsnacht telefoniere beispielsweise die männliche Verwandtschaft mit dem frischgebackenen Ehemann, um über die gerade durchgeführte Entjungferung zu fachsimpeln. Dass Männer schon vor der Ehe Erfahrungen sammeln, wird nicht nur toleriert, sondern gehört gemäß dem vorgezeichneten Geschlechterbild zum Heranwachsen dazu. Hier beißt der Kater dann aber nicht in den Apfel, sondern in den eigenen Schwanz, denn aufgrund der hochgehaltenen Tradition gestaltet sich die Suche nach einer Spielwiese und einer willigen Dame eher schwierig. Wer am Apfel knabbern will, zahlt.
Auch junge Frauen zahlen einen hohen Preis, wenn sie versuchen, die Tradition zu umgehen. Denn um zu tricksen, entscheiden sich viele junge Paare für Analsex. Eine Praktik, die zwar ebenso ihre Daseinsberechtigung hat wie alle anderen Formen der nackten einvernehmlichen Zusammenkunft, aber in Ermangelung von „Fachkenntnis“ ganz schön weh tun kann. Aber leider hält die liebe Tradition oder auch die häufig das Sexualleben mitbestimmende Familie keinen kundigen Ansprechpartner bereit. Weder vor noch nach derartigen verunglückten sexuellen Notmaßnahmen. Wer im Falle eines „Unfalls“ überhaupt den Mut aufbringt und einen Arzt aufsucht, stößt nicht selten eher auf Wertungen als auf Hilfe. Einen kleinen Lichtblick gab es bei dieser Thematik dennoch: Ich hatte während meines Aufenthalts häufiger mit einem jungen, sympathischen Pärchen zu tun. Wir sprachen über Politik, Drogen, manchmal über Gott, aber definitiv mehr über Sex. Irgendwann traute ich mich dann, zu fragen, wie sie es denn mit dieser aufgezwungenen Einschränkung hielten. Sie schauten sich beide kurz um und flüsterten dann: „We don’t follow the tradition“. Es war wahrscheinlich der erste Euphemismus in meinem Leben, der mich beruhigte.
No country for old mam
Einmal ging ich mit einer jungen Armenierin spazieren. An einer Straßenecke bat sie mich, kurz zu warten, und kaufte etwas Chicorée bei einer alten Frau, die täglich dort mit ihrem Gemüse, das in einem aufgeweichten Pappkarton lag, die Stellung hielt. Eigentlich hatte sie noch welchen zuhause, aber meiner – keineswegs wohlhabenden – Begleiterin hätte es zu weh getan, wie sie betrübt gestand, gleichgültig an der alten Frau vorbeizulaufen. Vor allem, weil man so wenig tun könne. Auch wenn die kleinen Säulen einander stützten, verhindere das nicht das Zusammenfallen des Hauses, wenn der, in diesem Fall politische, Überbau beschädigt sei.
Und eben deswegen werden diese Open Air- Ein-Mann- oder Ein-Frau- Betriebe mit ihrer zeitweiligen Kreativität und ihrer Beharrlichkeit noch lange nicht aus dem Landesbild verschwinden. Sie gehören auf eine traurige Weise dazu. Es wird verkauft, was verkauft werden kann. In den etwas ländlicheren Gegenden zieren neben regelmäßig auftauchenden Autowracks immer wieder kunstvoll zusammengestellte Pyramiden von Einmachgläsern den Straßenrand. In den Städten wird Essbares aller Varianten feilgeboten, und von vielen Bürgersteigen schreien einen selbsternannte Experten an, die die Unterhose oder das Sockenpaar des Jahrhunderts an den Mann bringen wollen.
Wer sich in diesen DIY Arbeitsmarkt nicht eingliedern kann, bettelt. Der Altersdurchschnitt der Bettelnden ist sehr hoch. Viele äußerst faltige Hände strecken sich einem entgegen. Diesen Hilferuf wissen nicht wenige Politiker in Armenien für sich zu nutzen. Ich hatte einen jungen Mann kennengelernt, dessen Handy bei einem unser kulturellen Streifzüge klingelte. Das Familienoberhaupt zitierte ihn für den kommenden Tag nach Hause. Ein Kandidat bei einer gerade bevorstehenden Wahl habe seinen Besuch angekündigt. Es gebe Geschenke. Mein Begleiter beschloss, diesen Termin wahrzunehmen, obwohl derart vergiftete Geschenke, wenn auch nicht sofort, so doch auf lange Sicht töten. Ein Tod auf Raten sozusagen.
Im armenischen Fernsehen laufen häufig Werbespots für Schawarma. Aufgrund des hohen Aufkommens an Imbissläden, die man in Luxemburg als Dönerbuden bezeichnet, müsse man sich der Konkurrenz eben auch im Fernsehen entgegenstellen, erklärte man mir. Nach den Lobpreisungen für den fleischigen Snack flimmern dann meist unglaublich schlecht synchronisierte indische Serien über den Bildschirm, die man vom Qualitätsgehalt her wohl als südostasiatisches „Gute Zeit schlechte Zeiten“ bezeichnen könnte. Als nächstes steht dann die gute-Hausfrauen-Koch-Show mit jener Moderatorin auf dem Programm, die mit ihrem gestriegelten Look und dem motzigen Gesicht an Christina Ricci als „Wednesday“ in „ The Addams Family“ erinnert. Das absurde Theater auf dem Bildschirm dreht sich endlos im Kreis und ist in Armenien vor allem durch eine Überdosis Kitsch gekennzeichnet. Alles soll ein Sehnen hervorrufen, nach etwas überzogen Schönem. Das man nicht hat und nicht haben wird. Das es eigentlich nicht gibt.
Weniger kitschig ging es bei meinem letzten Bus-Ausflug in Armenien zu. Kräftig durchgeschüttelt und doch etwas beunruhigt, merkte ich kurz an, der Fahrer habe schon einen ganz schönen Zahn drauf. Eine ebenfalls an der Tour teilnehmende rumänische Universitätsprofessorin erwiderte, sie sei von zu Hause Schlimmeres gewohnt, ihr komme das hier schon fast langsam vor. Unsere Fremdenführerin schaltete sich ein und erwiderte, ich empfände das nur deshalb so, weil ich aus einem Land käme, in dem Regeln befolgt werden. In Armenien gebe es wiederum keine Regeln. Zwar heiße es, dass die Straßen in Bälde ausgebessert würden, aber sie glaube den Worten der politischen Führungskräfte nicht so recht. Nicht wegen der Straßen, aber wegen der Gesamtsituation sei eigentlich eine Revolution nötig. Eine Äußerung, die ich im kleinen Binnenstaat im Kaukasus mehr als nur einmal gehört habe. Die junge Frau fügte dann hinzu, es gebe eine Erfahrungsregel des Inhalts, dass für das Gelingen einer Revolution 1.000 Menschenleben geopfert werden müssten. Aber die Bereitschaft hierzu sei, aller Notwendigkeit zum Trotz, leider (noch) nicht gegeben.