Karolina Markiewicz und Pascal Piron: „Die Poesie liegt in den Menschen selbst“

Das Künstler*innen-Duo Karolina Markiewicz und Pascal Piron blickt bereits auf einen beachtlichen, gemeinsam beschrittenen Weg zurück. Dieser führt sie nun nach Dubai, wo die beiden 2020 an der Weltausstellung teilnehmen werden. Eine Diskussion über noch nicht betretene Pfade, bewusst ignorierte Abkürzungen sowie längere Exkursionen in die Welt der Kunst.

Karolina Markiewicz und Pascal Piron sind seit 2013 als kreatives Duo in der Kunstszene unterwegs. (Foto: Joshua Thil)

Wer Karolina Markiewicz und Pascal Piron schon etwas länger beobachtet, weiß, dass die beiden Kunstschaffenden auch in Momenten der Ruhe stets in Bewegung sind. Zu weit sind die künstlerischen Felder, die darauf warten ergründet zu werden. Zu spannend die Menschen die den Weg, der noch vor ihnen liegt, säumen. Fast könnte man von einer Art intellektueller Migrationsbewegung sprechen, die nicht nur zum Überschreiten physischer nationaler Grenzen führt, sondern sich ebenfalls auf die inneren Lebenswelten ihrer Mitmenschen ausweiten lässt. Immer wieder besteht Markiewicz‘ und Pirons künstlerische Arbeit aus der Auseinandersetzung mit Menschen, die, wie sie selbst, nicht stehen bleiben.

Unter ihnen befinden sich Personen, die weitergehen wollten, es oft sogar mussten; die all ihren Mut zusammennahmen und an fremden Orten ankamen, die nichts Vertrautes, dafür aber eine Überlebensmöglichkeit bereithielten. Mit dem 2015 erschienen Dokumentarfilm „Mos Stellarium“, mit dem Untertitel „Gagner les papiers, c‘est gagner la vie“, zollen die zwei luxemburgischen Künstler*innen jungen Geflüchteten Respekt, statt sie mit Mitleid zu überhäufen.

Keine Macht dem Mitleid

„Mos Stellarium“ wird im Klappentext der DVD als „poetic documentary“ bezeichnet. Dabei könnte die Frage aufkommen, inwiefern man dramatische Erlebnisse als quasi „unschönen“ Inhalt überhaupt ästhetisieren darf und ob dies nicht einer Zweckentfremdung gleichkommt. Karolina Markiewicz verweist hier auf die Protagonist*innen des Films und nicht auf dessen Form: „Die Jugendlichen sind schön.“ Sie spricht dabei aber keineswegs von äußerlichen Charakteristiken. Im Film werden die geflüchteten Jugendlichen nie ganz gezeigt, weil sich zahlreiche unter ihnen zum damaligen Zeitpunkt noch im Asylverfahren befanden. Dem Publikum werden demnach nur Close-ups präsentiert, von zum Beispiel den Augen, in denen laut Markiewicz eine außerordentlich beeindruckende Ruhe liegt.

Im Bezug auf die angesprochene Schönheit ginge es also vielmehr um dem Umgang der Jugendlichen mit der eigenen Situation. Teilweise stoße man bei der künstlerischen Arbeit tatsächlich auf menschliche Tragödien, aber es sei diesen jungen Menschen extrem wichtig nicht als Opfer gesehen zu werden. „Dieser Eindruck kommt ohnehin gar nicht erst auf, wenn man ihnen zuhört“, so Markiewicz. „Man glaubt, wirkliche Helden und Heldinnen vor sich zu haben. Das hat eine Schönheit, die bleibt. Die Poesie liegt in den Menschen selbst.“

Im Gespräch mit dem Künstler*innen-Duo fällt immer wieder auf, dass es auf Augenhöhe mit den Jugendlichen kommunizieren möchte und sie ernst nimmt. Das zeigen die beiden sowohl in ihrer Position als Lehrkräfte an luxemburgischen Schulen auch durch ihre künstlerische Arbeit. Karolina Markiewicz gesteht, dass sie großen Respekt vor jungen Menschen hegt, sie gerne beobachtet und daher auch die filmische Umsetzung derer Lebenswelt schätzt. „Es gibt so viele unter ihnen, die letztlich viel mehr Bewusstsein für das Geschehen um sich herum haben, als wir“, sagt sie, „und sie wissen sich besser zu positionieren, sodass ich mich zeitweilig fast schäme, eine Erwachsene zu sein.“

Auch bei einem ihrer aktuellen Projekte (Les témoins – The Living Witnesses) trauen Pascal Piron und Karolina Markiewicz den heranwachsenden Protagonist*innen weit mehr zu als bloß dem Frontalunterricht „à la luxembourgeoise“ in Geschichte aufmerksam zu folgen. In dem Dokumentarfilm begegnen drei Jugendliche aus Luxemburg, Syrien und der Elfenbeinküste Überlebende des Zweiten Weltkriegs und besuchen unter anderem das Konzentrationslager in Auschwitz. Sie setzen sich mit Themen auseinander, die eigentlich eher unter die Kategorie Vergangenheitsbewältigung fallen sollten, aber leider aufgrund der politischen Situation in Europa wieder Teil der Lebensrealität jüngerer Generationen werden: Antisemitismus und Rassismus. Es wird schnell klar, dass dieser intergenerationelle Ansatz für das Künstler*innen-Duo kein trendiges Stilmittel, sondern ein dringend notwendiger Schritt ist, da die Lösungsfindung für die angesprochenen Probleme weit über das künstlerische Produkt hinausgehen soll.

Unsichtbare Sichtbarkeit

Obwohl stets persönliche Fragestellungen beide Künstler*innen zu ihrer Arbeit bewegen, sind sie nur sehr selten in ihren eigenen Werken zu sehen und agieren lieber im Hintergrund. So auch in der „routwäissgro“-Folge (Solidaritéit ass e grousst Wuert) von RTL Telé Lëtzebuerg aus dem vergangenen Jahr: Dort begleiteten sie den Bürgermeister von Bettemburg, Laurent Zeimet, über zwei Jahre hinweg bei den Vorbereitungen zum Bau eines Asylbewerber*innenheims in seiner Gemeinde. Das Format „routwäissgro“ zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass es ohne Voice-over und Kommentare seitens der Filmemacher*innen auskommt. Diese Vorgabe entspricht laut Piron ihrer „natürlichen Vorgehensweise“. Dem schließt sich seine Partnerin an: „Im Grunde genommen ist es viel besser, wenn man sich heraushält. Es geht hier viel mehr um die Transposition unserer Gedanken auf einem künstlerischen Weg. Ich empfinde es als sehr befreiend, dabei nicht zwingend sichtbar sein zu müssen.“

Auch wenn das persönliche Interesse am Anfang stünde, so verändere sich dies im Laufe des Entstehungsprozesses, erläutert Pascal Piron: „In einem weiteren Schritt sollte man nicht sein eigener und einziger Zuschauer sein.“ Dabei sei es sehr hilfreich, sich untereinander austauschen zu können und sich auch bewusst die Verantwortung und Entscheidungskraft mit den Menschen, mit denen man zusammenarbeitet, zu teilen. Bei „Les témoins vivants“ würden die Jugendlichen beispielsweise mitfilmen. Auch bei „Fever“ – einer VR-Installation, die noch bis zum 15. September im Casino – forum d’art contemporain zu sehen ist –betrachte man die technischen Experten Fabrizio Palmas, Antoine Thiry und Stefan Laimer als eine Art Co-Künstler. Obwohl beide einen starken persönlichen Bezug zu ihren Werken haben, fürchten sie sich nicht ihre Kunst aus der Hand zu geben. „Ich mag den Entstehungsprozess, aber sobald es (Anm.d.R.: das Werk) fertig ist, gehört es mir auf eine gewisse Art nicht mehr“, so Markiewicz. Und auch mit Kritik könne man umgehen, ergänzt Pascal Piron: „Eine viel schlimmere Reaktionen wäre, wenn es die Menschen gleichgültig zurückließe. Wenn man das Risiko nicht eingeht, sich ein Stück weit zu öffnen und nur jedem gefallen möchte, schafft man nur sehr mittelmäßige Kunst.“

Macht konstruktiv umsetzen

Mit den Werken „Fever“ und „Sublimation“, das derzeit im Rahmen der Vorbereitungen für die Mostra in Venedig weiterentwickelt wird, wagt das Duo erste Schritte in Richtung Virtual Reality. Damit muss es den eingeschlagenen Weg der solidarischen Auseinandersetzung aber keineswegs verlassen. Vielmehr entstehen ganz neue Möglichkeiten sich selbst und das Publikum in die Erlebnisse und die Gefühle anderer hineinzuversetzen. Während man bei „Fever“ Fieberzustände „nacherlebt“ und mit dem Blick durch die VR-Brille je nach Kopfposition Hände auf sich zukommen lassen kann, steuert man beim „Sublimation“ bestimmte Abläufe anhand von Tanzbewegungen. Piron gibt jedoch zu bedenken, dass viele der möglichen Handlungsabläufe von den Künstler*innen angedacht und somit vorprogrammiert sind. Die User*innen verfügen demnach nur bedingt über freien Spielraum.

Natürlich könne man in diesem Kontext von einer gewissen Machtposition sprechen, die die Künstler*innen innehaben, gesteht Piron, aber diese könne zum Vorteil aller genutzt werden. „Einen gewissen Grad der Vereinnahmung erwarte ich mir ja auch selbst, wenn ich mich mit Kunst auseinandersetze. Wenn ich ins Kino gehe, will ich, dass der Film mich verführt. Ich begebe mich da nicht hin, um nichts zu spüren und um keinen Dialog mit dem Werk zu haben.“

Bald steht ein künstlerischer Dialog in Dubai an, dem nicht alle aus der Szene wohlgesinnt sind. „Es gibt immer wieder Menschen, die uns darauf ansprechen“, verrät Piron mit etwas ironischem Unterton, „dass die Weltausstellung hauptsächlich dazu diene, dass sich Dubai in ein gutes Licht stellen und Luxemburg sich profilieren könne.“ Als er den Satz fast zu Ende gesprochen hat, schmunzeln beide und sagen fast einstimmig: „Thank you Sherlock.“

Pascal Pirons Auffassung zufolge darf das allein einen nicht davon abhalten, zu handeln: „Natürlich kann man sagen, dass man nichts damit zu tun haben möchte. Aber wenn du dich nicht einmischen willst, dann überlässt du den Status quo sich selbst. Man kann sich jedoch auch engagieren und das Verstellen der Nationen hinterfragen.“ Karolina Markiewicz, die bereits bei der Weltausstellung in Shanghai im Jahr 2010 Erfahrungen sammeln konnte, fügt dem hinzu: „Es bringt einen auch immer wieder zu der Frage, wo Kunst eigentlich hingehört. Darf sie nur in Museen ausgestellt werden oder kann sie sich gewissermaßen selbst zu einer derartigen ‚Fiesta‘ einladen und diese ein bisschen aufrütteln?“


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