Auf Apple TV: Severance

Teils Arbeitsplatz-Satire, teils Thriller- und Horrorserie ist „Severance“ das sowohl inhaltlich als auch visuell beeindruckende Erstlingswerk des Drehbuchautors Dan Erickson.

Anfangs ist Helly weitaus skeptischer als Mark. (Copyright: Apple TV)

Wie würde wohl eine möglichst erfolgreiche Trennung von privatem und professionellem Leben aussehen? Etwa: Sich bei der Arbeit ungeachtet der privaten Sorgen völlig auf die zu erledigenden Aufgaben konzentrieren und während des Feierabends den Arbeitstag gedanklich hinter sich lassen zu können? In „Severance“ (auf deutsch: Trennung) wird auf eine recht radikale Methode zurückgegriffen, um dieses Ziel zu erreichen: Ein Hirnimplantat verhindert, dass sich die Mitarbeiter*innen der Firma Lumen am Arbeitsplatz an ihr Privatleben erinnern können – und umgekehrt. Statt Work-Life-Balance gibt es also Work-Life-Severance.

Wer denkt, das bedeute, dass die Arbeit der Lumen-Angestellten hochsensibel sei, liegt allerdings daneben. Protagonist Mark (Adam Scott) muss tagein tagaus in einem fensterlosen, sterilen Büroraum Zahlen, die ihm „bedrohlich“ erscheinen, in einen PC-Ordner kopieren. Warum, wissen weder er noch seine Arbeitskolleg*innen Dylan (Zach Cherry) und Irving (John Turturro). Die einzige Richtlinie ist dabei die eigene Intuition. Von effizientem Arbeiten kann trotz Severance-Prozedur jedoch keine Rede sein. Die Angestellten unterhalten sich zwar nicht über ihre Hobbies und Familien – wie auch, wenn sie sich an nichts davon erinnern –, Ablenkungen gibt es dennoch genug. Mikroaggressionen, unangenehme Meetings, Teambuilding-Aktivitäten und Kollegentratsch in der Firmenküche gehören nämlich auch bei Lumen zum Arbeitsalltag.

Als reine Arbeitsplatz-Satire betrachtet, kann das Stilmittel des ortsabhängigen Gedächtnisverlusts vielfältig interpretiert werden. Als Kritik an der Weltfremdheit oder Unmenschlichkeit vieler Großkonzerne etwa. „Severance“ belässt es allerdings nicht hierbei. Zum einen kann unter den Figuren kein klarer Bösewicht ausgemacht werden. Die Angestellten haben freiwillig entschieden, sich der Severance-Prozedur zu unterziehen, sie, also ihre „private“ Version – in der Serie „Outie“ genannt – können jederzeit entscheiden zu kündigen. Nur, wie sollen die „Outies“ wissen, dass es den „Innies“ nicht gut geht? Nicht einmal eine Notiz dürfen die einen den anderen zukommen lassen. Zum anderen wird die Frage, wieso die Angestellten einer derart invasiven Prozedur zustimmen, nie auf befriedigende Weise beantwortet. Wie hoch muss das Gehalt sein, wie verlockend die Jobbeschreibung, wie grauenhaft das eigene Privatleben? Ebenso mysteriös sind die Interessen, die Lumen damit verfolgt. Kapitalistische Ziele, wie die möglichst effiziente Arbeit der Belegschaft, jedenfalls nicht. Sind diese Figuren vielleicht unwissentlich Teil eines großen Experiments?

Das wahre „ich“

„Severance“ ist aber auch deshalb mehr als eine Arbeitsplatz-Serie, weil sich ein beträchtlicher Teil in der Außenwelt abspielt. Während Mark, zumindest anfangs, die Lumen-Regeln unhinterfragt befolgt, so weist sein „Outie“ weitaus mehr Ecken und Kanten auf. Nachdem seine Ehefrau zwei Jahre zuvor starb, besteht sein soziales Umfeld aus seiner hochschwangeren Schwester Devon (Jen Tullock) und deren Partner Ricken (Michael Chernus). Wir erfahren, dass sich Mark für die Severance-Prozedur entschied, um wenigstens für 40 Stunden die Woche den Tod seiner Frau vergessen zu können. In seiner Freizeit versucht er einen ähnlichen Effekt mit Alkohol zu erreichen. Ohne die Szenen mit „Outie“-Mark, bliebe „Innie“-Mark eine leere Hülse. So wirft die Serie lebensphilosophische Fragen wie etwa die nach der menschlichen Identität oder der Existenz eines freien Willens auf.

Trotz vieler lustiger Momente, ist der Grundton dieser von Drehbuchautor Dan Erickson mit viel Liebe zum Detail geschaffenen Serie eher düster. Das nicht nur, wenn wir Mark trauern oder seinen pseudo-unbeschwerten „Innie“ bei der Arbeit sehen. Eine neue Arbeitskollegin, Helly (Britt Lower), verbringt jede Folge damit, entweder zu kündigen oder einen neuen Fluchtversuch auszuhecken – vergebens.

Parallel entwickelt sich die Serie zunehmend zu einem Corporate-Thriller. Denn im Laufe der Folgen fangen immer mehr Lumen-Angestellte an, Fragen zu stellen und diesen nachzugehen. Zum Teil sind wir den Figuren einen Schritt voraus. Im Gegensatz zu Mark wissen wir zum Beispiel ab der ersten Folge, dass seine unscheinbare Nachbarin (Patricia Arquette) zugleich auch seine Vorgesetzte bei Lumen ist. Die meiste Zeit tappen wir jedoch mit den Figuren im Dunkeln und hangeln uns an den wenigen Anhaltspunkten entlang.

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