Auf DVD: Memoria

In „Memoria“ werden die Zuschauer*innen dazu angehalten, genau hinzusehen und sich dabei auf verschwimmende Grenzen zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Leben und Tod einzulassen.

In Weerasthakuls Film steht vor allem das Hinhören und Hinsehen im Vordergrund. (Fotos: © Kick the Machine Films, Burning, Anna Sanders Films, Match Factory Productions, ZDF-Arte and Piano, 2021)

Dunkel und still beginnt die erste Szene von „Memoria“. Abgesehen von Vorhängen ist im Bildrahmen nicht viel zu erkennen. Als dann jedoch ein dumpfer Knall ertönt, kommt Bewegung auf. Der Standpunkt der Kamera bleibt unverändert, nun ist jedoch die Silhouette einer Person zu erkennen. Sie scheint von dem zuvor erwähnten Geräusch geweckt worden zu sein und sitzt nun aufrecht in ihrem Bett.

Genau so ruhig und mysteriös, wie der Film beginnt, geht es auch weiter. Wir erfahren, dass es sich bei der Person in der ersten Szene um Jessica (Tilda Swinton) handelt, einer Britin, die nach Kolumbien ausgewandert ist und dort als Botanikerin arbeitet. Ihre Schwester Karen liegt aus Gründen, die wir nicht erfahren, im Krankenhaus. In einer Szene, in der Jessica ihr einen Besuch abstattet, steht nämlich etwas anderes im Vordergrund: Karen erzählt von einem ihr zugelaufenen kranken Straßenhund, den sie anschließend selbst vernachlässigt hat. Dass sie nun im Krankenhaus liegt, empfindet sie als Karma. „Do you think the dog has put a curse on me?“, fragt sie ihre Schwester, bevor sie kurz darauf wieder einschläft.

Es ist das erste Mal, dass in „Memoria“ ein irrationaler Erklärungsansatz geliefert wird, doch es soll nicht der letzte bleiben. Denn nach und nach wird deutlich, dass der Film insgesamt zum Surrealistischen neigt. An einer Detektivgeschichte, in der Jessica sich auf die Suche nach der Ursache des oben genannten Knalls begibt, ist der thailändische Filmemacher Apichatpong Weerasethakul offensichtlich nicht interessiert. Auch der Eindruck, Jessica sei Ohrenzeugin eines Verbrechens oder Suizids geworden, entpuppt sich schnell als falsche Fährte. Den Knall hört sie im Laufe des Films nämlich immer wieder an unterschiedlichen Orten. Es ist, als käme er aus dem Inneren der Erde. Abgesehen von ihr reagiert allerdings niemand auf das Geräusch. Genau wie Jessica müssen auch die Zuschauer*innen rationale Logik hinter sich lassen.

Tilda Swinton in der Rolle der von einem Geräusch in Bewegung gesetzten Jessica.

Der hinter dem Projekt steckende Weerasethakul arbeitet hier erstmals mit nicht-thailändischen Schauspieler*innen zusammen. „Memoria“ als seinen ersten englischsprachigen Film zu bezeichnen, wie es in vielen Rezensionen getan wird, ist jedoch nicht richtig: Über weite Strecken wird sich im Film nämlich auf Spanisch unterhalten.

Dadurch, dass sich so wenig innerhalb der Bildrahmen tut, werden die Zuschauer*innen dazu verleitet, genau hinzusehen. Gebannt wartetet man auf die nächste Bewegung, das nächste Wort oder Geräusch. Damit steht der Film in starkem Kontrast zur heutzutage gängigen Methode, Filmzuschauer*innen mittels schneller Schnitte und Dialoge bei Laune halten zu wollen. Während manche dadurch im Laufe dieses mehr als zweistündigen Films an die Grenzen ihrer Geduld stoßen werden, werden andere sich über dessen meditativen Charakter freuen. Auch wenn sich das Surrealistische hier nicht so explizit manifestiert wie etwa in Weerasethakuls 2010 erschienenem „Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives“, so verschwimmen auch in „Memoria“ die Grenzen zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Leben und Tod.

Auf DVD.

Bewertung der woxx : XX


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