Auf Netflix: La vita bugiarda degli adulti

Antifaschismus, Sex und Religion: Der italienische Regisseur Edoardo De Angelis verknüpft dies in „La vita bugiarda degli adulti“ zu einer Miniserie über eine bewegte Jugend und starke Frauen.

Was haben diese zwei Menschen gemeinsam? In „La vita bugiarda degli adulti“ will Giovanna (links) herausfinden, was sie mit ihrer Tante Vittoria (rechts) verbindet. (Quelle: ilnapolista.it/Screenshot Netflix)

Giovanna (Giordana Marengo) ist hässlich, genauso wie ihre Tante Vittoria (Valeria Golino), die verhasste Schwester ihres Vaters Andrea (Alessandro Preziosi). Die Jugendliche Giovanna schnappt den Satz auf, als sie ein Gespräch zwischen ihrem Vater und ihrer Mutter Nella (Pina Turco) belauscht. Doch was genau meint er damit? Und wie sieht Vittoria überhaupt aus? Diese Fragen treiben Giovanna fortan um. Mit ihnen beginnt für sie eine Reise durch ihre eigene Familiengeschichte, ihre Heimat Neapel und Gefühlswelten, die ihr bis dahin unbekannt waren.

Die sechsteilige Miniserie „La vita bugiarda degli adulti“ (Das lügenhafte Leben der Erwachsenen), produziert von Edoardo De Angelis, basiert auf einem Roman der neapolitanischen Erfolgsautorin Elena Ferrante und spielt in den 1990er-Jahren. Das Buch erschien 2019 bei Edizioni e/o, 2023 folgte nun die Adaption für Netflix. Die Schriftstellerin, die seit den 1990er-Jahren unter diesem Pseudonym schreibt, ist besonders bekannt für ihren Romanzyklus „Lʼamica geniale“: Die vierteilige Buchreihe wurde in 42 Sprachen übersetzt; 2018 wurde die gleichnamige Fernsehserie des Regisseurs Saverio Costanzo auf dem amerikanischen Sender HBO erstausgestrahlt. Sowohl in „Lʼamica geniale“ als auch in „La vita bugiarda degli adulti“ beschäftigt sich Ferrante mit Familiengeflechten, Freundschaft, Klassenkämpfen in Neapel und nicht zuletzt mit Frauenfiguren.

Auch bei De Angelis stehen die weiblichen Charaktere im Mittelpunkt, allen voran Giovanna und ihre Tante Vittoria. Nachdem Giovanna von der Ähnlichkeit mit Vittoria erfährt, will sie diese treffen. Nach kurzem Gezeter fährt ihr Vater sie zu seiner Schwester, in der Hoffnung ein Besuch schrecke Giovanna ab. Das Gegenteil tritt ein: Sie fühlt sich ihrer ordinären Tante, die allein in einem verarmten Stadtteil haust, auf Anhieb näher als ihren Eltern. Während letztere atheistische Akademiker*innen sind, die sich als intellektuelles und offenes Pärchen geben, ist Vittoria gläubig und spricht nur neapolitanischen Dialekt. Anders als Giovannas Eltern trägt sie das Herz auf der Zunge, klärt Giovanna ohne Umschweif über den Familienstreit auf.

Giovanna ist zu dem Zeitpunkt noch keine sechzehn Jahre alt, hat einen androgynen Look, schlägt sich mittelmäßig in der Schule durch und verbringt viel Zeit mit ihrer Freundin Angela (Rossella Gamba). Ihre Eltern sind eng miteinander befreundet, vielleicht etwas zu sehr, wie sich im Laufe der Erzählung herausstellt. Giovanna und Angela halten sich, wie auch ihre Eltern, in antifaschistischen und kommunistischen Kreisen auf, selbst wenn sie dort gleich zu Beginn der Serie auf Widerstand treffen. Immerhin stammen sie aus wohlhabenden Haushalten, besuchen Dinnerpartys im schicken Stadtteil Posillipo.

Auf dem Konzert einer antifaschistischen Musikgruppe wird Angela von zwei jungen Frauen angegriffen, weil sie hinter ihrer Kleidung teure Markenware vermuten. „Weißt du, dass deine Klamotten dem Jahresgehalt eines Arbeiters entsprechen?“, fährt eine von beiden sie an. „Und du meinst Arbeiter dürfen nur in Lappen herumlaufen?“, kontert Angela. Auf den Vorwurf, sie sei eine Faschistin, reagiert Angela mit „Du nennst mich Faschistin? Ich habe das kommunistische Manifest gelesen“.

Neapels Zwischenräume

Der soziale Klassenkampf und ideologische, beziehungsweise politische Kontraste sind ein Leitmotiv der Miniserie, die dadurch an Komplexität gewinnt. An mehreren Stellen tauschen sich die Charaktere über ihren Glauben und ihre politische Gesinnung aus; gegen Ende der Serie besuchen die Familien der Mädchen sowie ihre Bekannten ein Volksfest der kommunistischen Partei. Leider geht De Angelis hier nicht ins Detail, verrät zum Beispiel wenig über die Geschichte des Kommunismus in Neapel oder über die dortigen antifaschistischen Bewegungen, beispielsweise während des Zweiten Weltkrieges. Dafür bedarf es eigener Recherchen und diese offenbaren: In den antifaschistischen Bewegungen Neapels formten sich unter anderem Bündnisse katholischer, demokratischer und liberaler Personen, in denen sich Militant*innen unterschiedlichster Couleur im Kampf gegen Faschismus und Nationalsozialismus vereinten. Dies spiegelt sich in der Miniserie insofern, als dass es in der zweitletzten Folge einen regen Austausch zwischen den Professoren Andrea und Mariano (Biagio Forestieri) sowie dem umschwärmten Theologen Roberto (Giovanni Buselli) gibt.

Das Publikum folgt Giovanna durch diese ambivalenten Welten, durch ein Neapel der Widersprüche. Zwar gerät ihr Alltag zunehmend aus den Fugen, doch Giovanna lässt sich nicht von Lügen, Intrigen oder dem intellektuellen Gerede junger und alter Männer beirren. In der Auseinandersetzung mit ihren hypokritischen Eltern tritt Giovanna entschlossen auf, verurteilt ihr Verhalten mit klaren Worten. Auch Roberto bietet sie trotz Interesse an seinen Überlegungen die Stirn, was ihn und seine Entourage beeindruckt.

Ihr Liebesleben hat Giovanna ebenfalls im Griff: Sie scheint genau zu wissen, von welchem Typen sie bekommt, was sie will, und von wem sie trotz anfänglicher Schwärmerei doch lieber die Finger lassen sollte. Generell ist die Darstellung der Beziehungen interessant: Einerseits gibt es Andeutungen, dass einzelne Figuren queer sein könnten; andererseits wird mit gängigen Stereotypen gebrochen, wie etwa dem der mangelnden weiblichen Lust oder gefühlskalten Männern. So ist es Angela, die ihren Freund kritisiert, weil er ihre Annäherungsversuche mit dem Argument ablehnt, er respektiere sie zu sehr, um mit ihr zu schlafen. Die Situation eskaliert, als der Junge den gesellschaftlichen Erwartungen an ihn als Mann nicht weiter nachgeben möchte. Zwischen Angela und Giovanna gibt es außerdem innige Momente, die ein romantisches Interesse erahnen lassen oder zumindest Raum für eine derartige Interpretation bieten. Weitere queer lesbare Charaktere gibt es in der Serie sonst nur am Rande: Im Hintergrund treten beispielsweise Personen auf, deren Aussehen gemeinhin als maskulin und feminin gelesene Attribute vereint.

Die Miniserie besticht jedoch nicht nur durch ihren Inhalt, sondern auch filmisch: Der Dekor, die künstlerischen Kameraeinstellungen und die regelmäßigen Perspektivwechsel – all das macht De Angelis Arbeit zu einem Genuss fürs Auge. Hinzu kommt ein starker Soundtrack: Eine Mischung aus neapolitanischen Volksliedern, Protestsongs und kultiger italienischer Popmusik, die dem Publikum die verschiedenen Gesichter Neapels näherbringt.

An dieser Stelle sollte aber auch die schauspielerische Leistung von Giordana Marengo hervorgehoben werden: Die Neunzehnjährige steht hier zum ersten Mal vor der Kamera und stiehlt ihren teilweise deutlich erfahreneren Kolleg*innen eindeutig die Show. Mit ihrer natürlichen Art und ihrer starken Mimik macht sie Giovanna zu einer überzeugenden Figur, deren Entwicklung vermutlich viele Zuschauer*innen gerne weiterverfolgen würden. Es bleibt also zu hoffen, dass Elena Ferrante auch aus diesem Roman eine Buchreihe macht und De Angelis so mit Stoff für eine Fortsetzung der Serie versorgt.

Auf Netflix.

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