Während der Orange Week Ende November bis Anfang Dezember geht es darum, sich für die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen einzusetzen. Vier Ausstellungen in Luxemburg brechen ein gesellschaftliches Tabu, das Millionen von Frauen betrifft.
Das im Comicstil gezeichnete Bild zeigt eine lächelnde Frau zwischen Kirschblüten, die Kamera in der Hand und bereit den nächsten Schnappschuss einzufangen. Beschreibende Sätze wie „Sie liebte ihre beiden Kinder sehr und stand ihnen sehr nahe“, „Sie liebte das Fotografieren und hat phänomenale Fotos geschossen. Porträts, Landschaften, Stillleben und Schnappschüsse“ und „Sie träumte davon, die Nordlichter zu sehen … Das wäre ihre nächste Reise gewesen“ rahmen die Frau ein. Auf dem linken oberen Bildrand steht ihr Name: Françoise. In einem schwarzen Balken unten steht, worauf die Vergangenheitsform in den Beschreibungen hindeutet: Françoise lebt nicht mehr. „Getötet von ihrem Ehemann mit mehreren scharfen, stechenden und stumpfen Waffen am 18. Dezember 2016 im Alter von 57 Jahren.“
Die Ausstellung „Derrière les chiffres“ von Fanny Vella aus Lyon hatte bereits 2021 zum Internationalem Frauentag am 8. März in Luxemburg ihre Premiere gefeiert. Dieses Jahr wird sie zur Orange Week an vielen Orten des Landes in Auszügen gezeigt. Unter anderem im Ciné Scala in Diekirch, im Lycée Junglinster und in der Chambre des salarié·es. Die Künstlerin hat für jedes Bild mit Familie und Freund*innen der getöteten Frauen gesprochen, um die Opfer hinter den anonymen Zahlen zu Femiziden sichtbar zu machen. Mit der Mischung aus Zeichnung und Beschreibung will sie eine emotionale Beziehung zum Betrachtenden herstellen und leistet einen wichtigen Beitrag zur Sensibilisierung zum Thema (ex-)partnerschaftliche Gewalt, die eine Vielzahl von Frauen erleben.
Den Zahlen ein Gesicht verleihen
Die Zahlen geschlechtsspezifischer Gewalttaten steigen, auch die der Femizide. Vergangenen Montag präsentierte Deutschlands Innenministerin das erste Lagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“, mit einem verheerenden Ergebnis. Letztes Jahr starb fast jeden Tag eine Frau in Deutschland durch Femizid, und auch die Straftaten in den Bereichen digitaler, sexualisierter und häuslicher Gewalt nehmen zu. Während Femizide in Luxemburg nicht erfasst werden, verzeichnet beispielsweise die Anzahl polizeilicher Interventionen wegen häuslicher Gewalt auch hierzulande einen Anstieg.
Fanny Vella geht es darum, diesen Zahlen ein Gesicht zu verleihen. „Weil Opfer häuslicher Gewalt nicht nur Menschen sind, die sich in einer Ecke ihres Hauses verstecken, aus Angst vor Schlägen, oder den bösartigen Worten der Person, mit der sie zusammenleben. (…) Es sind Frauen, die lebendig sind. Oder, die es waren. Auf jeden Fall verdienen sie es, dass wir uns daran erinnern, dass hinter den Zahlen einzigartige Menschen stehen, mit Stärken und auch Schwächen, die ihren Angehörigen fehlen“, schreibt Vella, die selbst häusliche Gewalt erlebt hat, zu ihrer Ausstellung.
Den betroffenen Frauen ein Gesicht verleihen, darum geht es auch in der Fotoausstellung „Project Heartache“ der Künstlerin Cristina Nuñez. Die Ausstellung, die ihre Vernissage am 26. November im Trifolion Echternach feiert, ist aus dem partizipativen Workshop „The self-portrait experience“ (spex) mit Frauen aus dem Frauenhaus Sichem in Walferdingen entstanden. Die Gemeinde Echternach beteiligt sich mit dieser Ausstellung und einem begleitenden Screening des Films „Hors d’haleine“ (siehe Filmtipp) als Partnerin des Conseil national des femmes an der diesjährigen Orange Week und setzt sich damit für die Beendigung der Gewalt gegen Frauen ein.
Nuñez hat das spex-Verfahren 2005 entwickelt, um mittels Fotografie und Videoaufnahmen individuelle und gesellschaftliche Transformation zu fördern. In ihren Workshops vermittelt sie den beteiligten Menschen die Methode des Porträts und Selbstporträts, um damit einen reflektierenden Blick auf sich selbst, den aktuellen Zustand, aber auch auf den Prozess des Wandels zu richten. Die Methode gründet auf Nuñez’ langjähriger Praxis des Selbstporträts, die sie seit 1988 einsetzt, um das Selbststigma zu bewältigen, das aus ihrer Heroinsucht in der Jugendzeit hervorging.
Gesehen und gehört
„Brisons le silence“ (zu Deutsch: das Schweigen brechen) ist nicht nur der Name der Ausstellung auf der Place de la Résistance in Esch, es ist auch die Mission des Vereins La voix de survivant(e)s, der dahintersteht. Zwischen Grundschule und nationalem Museum des Widerstands und der Menschenrechte haben sie verschiedene Zitate, Bilder und Hinweise errichtet, die auf das Thema aufmerksam machen und eine Anlaufstelle für betroffene Frauen und Mädchen bieten. Mit QR-Codes auf den Schildern verknüpft der Verein jedes Bild und jedes Zitat mit Hintergrundinformationen und Möglichkeiten zum Austausch.
Auch die Ausstellung „Soft voices“, die im Biergercenter Luxemburg zu sehen sein wird, will den Betroffenen Gehör verschaffen. „Zu oft bleibt dieses Thema hinter verschlossenen Türen verborgen, unausgesprochen und unsichtbar. In meiner Arbeit spiele ich mit verschiedenen Texturen und Materialien, um darzustellen, wie sich häusliche Gewalt anfühlen kann – wie ein traumähnliches Gefühl, surreal und doch schmerzhaft real“, schreibt die luxemburgische Künstlerin Nadine Rocco in ihrer Ankündigung.
Einzigartig, vielfältig und farbenfroh – das sind die Adjektive, die in den Rezensionen ihrer Debüt-Ausstellung „Second Best“, die Anfang vergangenen Jahres im Kulturhaus Niederanven gezeigt wurde, am häufigsten verwendet wurden. Wie Rocco mit ihrer Fusion aus Medien und abstrakten Formen dieses Sujet angehen wird, ist ab kommenden Montag zu sehen.
Zwischen Grundschule und Widerstandsmuseum steht die Ausstellung „Brisons le silence“
Orange Week Ausstellungen
„Derrière les chiffres“, Fanny Vella
15. November bis 12. Dezember in der Mairie Wiltz
18. November bis 13. Dezember im Lycée Junglinster
18. November bis 10. Dezember im Ciné Utopia
20. November bis 10. Dezember im Ciné Scala
25. November bis 10. Dezember in der Chambre des salarié·es
„The self-portrait experience (spex)”/„Project heartache”, Cristina Nuñez
26. November bis 10. Dezember im Trifolion Echternach
„Brisons le silence“, la voix des survivant(e)s
15. November bis 15. Dezember, Place de la Résistance, Esch-sur-Alzette
„Soft Voices“, Nadine Rocco
25. November bis 31. Dezember im Biergercenter/Hôtel de Ville Luxembourg