Backcover
: Christopher Morse


Zum Jahresende präsentiert Christopher Morse Scherenschnitte auf der Rückseite der woxx. Im Interview erklärt er, was es mit schwulen Rittern und seinen vielseitigen Interessen auf sich hat.

So schaut der Ritter in echt aus: Christopher Morse präsentiert „pansy“. (COPYRIGHT: Christopher Morse)

woxx: Christopher, was hat Sie dazu bewegt, eine Backcover-Serie für die woxx zu gestalten?


Christopher Morse: Auf diese Frage war ich nicht vorbereitet, aber es ist schön, dass Sie sie stellen! Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Medien richtet sich die woxx an Menschen mit viel Herz und macht sich für marginalisierte Personengruppen stark. Das stimmt mit meinen persönlichen Werten überein. In diesen krisengeschüttelten Zeiten können uns nur noch Herz und Mitgefühl retten.

Was erwartet die Leser*innen auf den Rückseiten?


In der Kurzfassung: Humor sowie eine Mischung verschiedener, künstlerischer Techniken, vereint auf einem einzigen Blatt Papier – und vielleicht auch ein Hauch Transzendenz, also eine Erfahrung, die außerhalb des Gegenständlichen liegt.

Neben den Techniken variieren auch Ihre Motive stark.


Ja, ich wurde im Laufe meines Lebens von den unterschiedlichsten Kulturen beeinflusst, was sich allgemein in meiner Kunst niederschlägt: Ich bin luxemburgisch-amerikanisch, habe europäische sowie mexikanische Wurzeln, lebte einige Jahre in Japan und noch dazu bin ich queer.

Warum spielen mystische und religiöse Motive eine zentrale Rolle in Ihrem Werk?


Ich liebe es, traditionelle Kunstformen und Symbole in einem zeitgenössischen Kontext anzuwenden. Ich fühlte mich schon als Kind zu Mystik hingezogen und habe mich immer zwischen Imagination und Realität bewegt. Das mag widersprüchlich wirken, da ich Universitätsabschlüsse in japanischer Literatur und IT habe sowie einen Doktor in Psychologie – beruflich befinde ich mich also außerhalb mystischer Welten, doch ziehen sie sich durch mein Leben wie ein Fluss.

Inzwischen arbeiten Sie im Bereich der Künstlichen Intelligenz, doch wie passt das zu Kunst und Kreativität?


Es besteht eindeutig ein Zusammenhang zwischen den Bereichen. In meiner Doktorarbeit habe ich mich unter anderem mit der Frage beschäftigt: Wie können Museen Technik bedeutungsvoll nutzen? Im Zuge meiner Recherche war die größte Erkenntnis für mich: Technik ist dann am nützlichsten, wenn sich durch ihren Einsatz Gemeinschaften bilden und bedeutungsvolle Inhalte vermittelt werden. Museen experimentieren derzeit viel mit Technik. Ihr Einsatz ist hilfreich, um die eigene Sammlung darzustellen und eine Interaktion mit den Besucher*innen zu ermöglichen. Doch die Technologien sollten auch so gestaltet sein, dass sie dazu beitragen, dass um das Museum herum eine Gemeinschaft entsteht. Warum ich das sage? Museen entfernen sich immer mehr von ihrer traditionellen Rolle als edukatives Lagerhaus für Objekte – heute sind sie auch Orte, an denen sich Gemeinschaften bilden, Orte der sozialen Gerechtigkeit und des öffentlichen Diskurses. Am Ende ist die Technik nur ein Werkzeug, es kommt darauf an, was der Mensch damit anstellt. Genau das fasziniert mich: Wie Menschen es schaffen, in dieser verrückten Welt Sinn zu stiften.

„Ein Ritter kann durchaus ein furchtloser Held und queer lesbar sein!“

Das haben Menschen auch in der Vergangenheit.


Ja, dementsprechend interessiere ich mich auch für Kultur, das Kulturerbe und Kunstschaffen im Allgemeinen. Ich fühle mich sowohl zur fernen Vergangenheit als auch zur fernen Zukunft hingezogen, weil ich sie als zusammenhängende Perioden verstehe, auch wenn das, oberflächlich betrachtet, widersprüchlich scheinen mag. Für mich liefern beide Weisheiten für die Gegenwart.

Haben Sie sich aufgrund Ihres Interesses für die Vergangenheit für Scherenschnitte als Kunstform entschieden?


Der Scherenschnitt ist ein traditionelles Genre, wobei ich meine Interpretation als zeitgenössisch bezeichnen würde. In Japan bin ich zum ersten Mal damit in Berührung gekommen, durch meine Professorin in Kalligrafie. Sie hat mich an den japanischen Scherenschnitt herangeführt, der viele Besonderheiten hat. Ich habe dieser Professorin meine Doktorarbeit gewidmet, weil unser Austausch mein Leben nachhaltig geprägt hat.

Zeitgenössisch ist vor allem Ihre Interpretation symbolischer Figuren, etwa des Ritters: Eine Ihrer Arbeiten für die woxx heißt „pansy“ und zeigt einen Ritter in frecher Pose statt als furchtlosen Helden. Warum dieser Gegensatz?


Es freut mich, dass Sie diese Arbeit ansprechen. Ich war unsicher, ob der Begriff „pansy“ auch in Luxemburg genutzt wird, um einen feminisierten, schwulen Mann zu beschreiben …

(COPYRIGHT: Christopher Morse)

Ein Begriff, der eher abwertend gemeint ist.


Bei dieser Arbeit geht es ganz klar um Wiederaneignung: Die queere Gemeinschaft wurde jahrhundertelang beschimpft und ausgeschlossen, jetzt ist es an der Zeit, diese Orte und negativ besetzten Begriffe zurückzuerobern – „pansy“ ist einer davon. Ich empfinde es als Empowerment, diese Wörter umzudeuten, sie als Selbstbezeichnung zu verwenden. Zumindest queere Menschen, die das Glück haben in toleranteren Teilen der Welt zu leben, können sich so gegen die Gewalt wehren, die sie erfahren haben. In dem Sinne: Ein Ritter kann durchaus ein furchtloser Held und queer lesbar sein!

Sie haben 2022 beim „Luxembourg Queer Arts Festival“ ausgestellt, einzelne Ihrer Werke auf Social Media stellen gleichgeschlechtlichen Sex dar: Warum ist es Ihnen wichtig, queere Inhalte zu vermitteln?


Meiner Erfahrung nach ist die luxemburgische Gesellschaft im Vergleich zu anderen recht tolerant. Queere Kunst sorgt trotzdem für Kontroversen, besonders wenn sie sexuelle Intimität darstellt. Allgemein stehe ich jeglicher Weltsicht kritisch gegenüber, die Sexualität pathologisiert, denn dies ist das Fundament rigider politischer und religiöser Strukturen. Ich möchte verdeutlichen, dass Sexualität menschlich ist.

Wurden Sie dafür bereits angegriffen?


Es gab durchaus schon negative Kommentare, doch die meisten Reaktionen sind positiv. Ich möchte aber an dieser Stelle betonen, dass ich beim „Luxembourg Queer Arts Festival“ ausgestellt habe – andernorts wäre das Publikum vielleicht schockierter gewesen. Außerdem folge ich unterschiedlichen queeren Künstler*innen, deren Kunst explizit ist – im Kontrast dazu ist meine Arbeit zahm. Queerness ist eines von vielen Themen, die ich behandele. Ich kann mir also vorstellen, dass diese Künstler*innen öfter negative Reaktionen erhalten als ich.

Was sind Ihre nächsten Ziele als Künstler?


Es ist mein Traum, eines Tages an einem öffentlichen Kunstprojekt mitzuwirken, bei dem Scherenschnitte an städtischen oder öffentlichen Gebäuden angebracht werden! Es wäre eine Herausforderung, denn es bräuchte ein Material, das umweltfreundlich und wetterbeständig zugleich ist. Ich denke, die wenigsten Menschen haben bisher einen Scherenschnitt in der Größenordnung gesehen. Es wäre ein äußerst interessantes Projekt.

So schaut der Ritter in echt aus: Christopher Morse präsentiert „pansy“. COPYRIGHT: Christopher Morse


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