Better Call Saul: Fulminantes Ende

Sechs Jahre vor den Ereignissen der Erfolgsserie „Breaking Bad“ situiert, trat „Better Call Saul“ an, um uns die Anfänge des Serienhelden Saul und seiner Anwaltskanzlei näherzubringen. Sechs Staffeln später wissen wir nun: geliefert wird noch viel mehr. Eine Eloge auf die drei Geniestreiche der Serienmacher.

Um zu erfahren, wie und weshalb die Schuhe dahin gelangten, muss man die entsprechende Folge zu Ende sehen. (Fotos: Sony Pictures Television/ AMC)

Die Leinwandpräsenz von Saul Goodman hätte eigentlich nur kurz sein sollen. Drei Folgen lang, um genau zu sein. Für mehr hatte „Breaking Bad“-Erfinder Vince Gilligan den schmierigen Anwalt ursprünglich nicht eingeplant. Es sollte eine kleine, unterhaltsame Anspielung an den im wahren Leben in Albuquerque praktizierenden Ron Bell sein, der Gilligan dort wegen seiner pompösen Werbeanzeigen und – spots („I sue drunk drivers!“) aufgefallen war.

Bei einem kurzen Auftritt blieb es jedoch nicht: Die Figur Saul wurde nicht nur zu einem wichtigen Bestandteil der Serie, ihm wurde anschließend sogar eine eigene Spin-off Serie gewidmet. Hatte Saul in „Breaking Bad“ als Comic-Relief gedient, so schien eine auf ihn zugeschnittene Serie auch einen Genrewechsel zu implizieren: Weg vom ernsten Drama, hin zu einer leichten Komödie über einen Anwalt mit einem weitaus engeren Verhältnis zu seinen kriminellen Kund*innen als zum Gesetz.

In der ersten Folge von „Better Call Saul“ lernen wir Jimmy McGill, wie Saul mit bürgerlichem Namen heißt (wie auch schon in „Breaking Bad“ von Bob Odenkirk gespielt), im Jahr 2002 als Strafverteidiger kennen. Sein Büro befindet sich im hinteren Teil eines Nagelstudios; an Geld mangelt es ihm ebenso wie an Kund*innen. Mit seinem Jura-Diplom der University of American Samoa ist er ein weitaus weniger respektabler Anwalt als sein großer Bruder Chuck (Michael McKean), der zusammen mit seinem Anwaltskollegen Howard Hamlin (Patrick Fabian) eine Großkanzlei betreibt. „Better Call Saul“ fängt an als Serie über einen Mann, der es satt hat, im Schatten anderer Männer zu stehen.

Doch aus einer Geschichte, die kurz die Anfänge von Saul Goodman zeigen soll, um sich dann spätestens ab der zweiten Staffel auf dessen Arbeitsalltag vor und während der „Breaking Bad“-Zeitspanne zu konzentrieren, entwickelt sich schnell etwas ganz anderes: Jimmy bleibt weitaus länger die Hauptfigur. Saul, wie wir ihn aus „Breaking Bad“ kennen, tritt hingegen erst in der allerletzten Staffel der Serie hervor.

Diese Fokusverschiebung ist der erste Geniestreich der Macher von „Better Call Saul“ – zu denen neben Gilligan auch Peter Gould zählt, der schon an „Breaking Bad“ mitgeschrieben hatte. Die Verschiebung wirkte sich nicht nur auf die Struktur und Stimmung, sondern auch auf das Thema der Serie aus: Im Zentrum steht die Frage, welche Rückschläge den betrügerischen, aber gutherzigen Jimmy dazu bewegt haben, die Identität des zynischen Saul Goodman anzunehmen. Nicht seine Arbeit mit Kund*innen, sondern seine Psyche und zwischenmenschlichen Beziehungen werden also ins Rampenlicht gerückt.

Wie es den Figuren geht, wird in „Better Call Saul“ immer auch durch die Filmart vermittelt.

Liebenswürdig und komplex

Walter White, der Hauptprotagonist von „Breaking Bad“ und Saul haben eine offensichtliche Gemeinsamkeit: Das Gefühl, von ihren Mitmenschen unterschätzt zu werden. Während Walter aber blanke Gewalt anwendet, um seine Rival*innen aus dem Weg zu räumen, greift Jimmy auf weitaus harmlosere, wenn auch zunehmend kriminelle Methoden zurück, um sich zu beweisen. Er will von seinem Bruder und dessen Gleichgesinnten nicht als bester, sondern lediglich als der gute Anwalt, der er ist, anerkannt werden. Walter will Allmacht, Jimmy Respekt. Das macht letzteren nicht nur zu einer liebenswürdigeren, sondern auch einer weitaus komplexeren Figur als es Walter ist.

Immer wieder finden die Macher und ihr Autor*innenteam Wege, um die Erwartungen der Zuschauer*innen zu unterlaufen. Jimmy bleibt nicht nur sehr viel länger er selbst, auch seine Beziehung zu seiner Lebensgefährtin Kim Wexler ist sehr viel stabiler als irgendjemand es anfangs hätte ahnen können. Ursprünglich ist sie nur für ein paar wenige Folgen vorgesehen. Doch die Art und Weise, wie die Präsenz Kims sich auf den Protagonisten auswirkt, macht sie zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Serie. Kim ist die einzige, die durchgehend an Jimmy glaubt. Sie akzeptiert nicht nur die fragwürdigen Rechtfertigungen, die dieser für seine Machenschaften heranzieht: Sie rationalisiert ihr eigenes, zunehmend kriminelles Verhalten mehr und mehr, bis irgendwann nicht mehr klar ist, wer von beiden am korruptesten ist.

Die bedingungslose Zuneigung, die Kim und Jimmy füreinander haben, sowie ihr unschlagbares Händchen für elaborierte Betrügereien, regen derart zum Mitfühlen und Mitfiebern an, dass ab der zweiten Staffel wohl nur noch die wenigsten Fans die Verwandlung Jimmys herbeiwünschen. Saul in Erscheinung treten zu sehen, hieße, Abschied von Jimmy und somit auch von dessen Beziehung zu Kim nehmen zu müssen.

Die Ansiedlung der Serie im „Breaking Bad“-Universum bescherte dem Autor*innenteam Freiheiten und Einschränkungen zugleich. Einerseits lässt der in „Breaking Bad“ nur oberflächlich gezeichnete Saul – man erfährt so gut wie nichts über seine Vorgeschichte und sein Privatleben – viel Raum für Entwicklungen. Andererseits ist von Anfang an klar, worauf die Erzählung hinauslaufen wird: Nämlich auf die Handlung von „Breaking Bad“.

Damit wären wir beim zweiten Geniestreich von Gilligan und Gould: Neben Saul Goodman erhalten auch Restaurantbetreiber und Drogenboss Gus Fring (Giancarlo Esposito) sowie dessen Zuarbeiter Mike Ehrmentraut (Jonathan Banks) und Erzfeind Hector Salamanca (Mark Margolis) eine Vorgeschichte. Bei diesen in „Better Call Saul“ vorkommenden Figuren, ist stets klar, dass sie das Prequel überleben werden. Anders verhält es sich mit den neuen Figuren: Neben Chuck, Howard und Kim sind das zudem die Drogenkartellmitglieder Ignacio „Nacho“ Varga (Michael Mando) und Lalo Salamanca (Tony Dalton). Keine*r von ihnen kommt in „Breaking Bad“ vor, was bedeutet, dass sie entweder sterben oder aus anderen Gründen aus dem „Breaking Bad“-Universum verschwinden müssen. Fragt sich nur, wie.

Das herauszufinden ist vor allem deshalb so spannend, weil die Serie sich durch eine Vielfalt an überdurchschnittlich intelligenten, perfektionistischen und vorausschauenden Figuren auszeichnet. Nicht nur die Rivalität zwischen Jimmy und seinem Bruder, sondern auch die Drogenkartell-Sequenzen erinnern deswegen oftmals an ein auf höchstem Niveau geführtes Schachspiel. Den Figuren bei der minutiösen Vorbereitung ihres nächsten Zugs zuzusehen, ist dabei oftmals nicht weniger spannend als die eigentliche Umsetzung.

Laufen der Anwalts- und der Kartell-Erzählstrang anfangs noch größtenteils nebeneinander, so gehen sie im Laufe der Staffeln zunehmend ineinander über. Und doch ist „Better Call Saul“ weit davon entfernt, in einem blutigen Massaker zu enden wie „Breaking Bad“ es tut. Bis zuletzt dominiert im Spin-off das Zwischenmenschliche.

Mehr als ein Prequel

„Better Call Saul“ ist stets mehr als nur ein Prequel: Man kann der Handlung problemlos folgen, ohne „Breaking Bad“ gesehen zu haben. Wer das aber getan hat, kommt in den Genuss unzähliger mehr oder weniger subtiler Anspielungen. Die Serie ist aber auch deshalb keine reine Vorgeschichte, weil sich ein Teil der Handlung zeitlich nach den „Breaking Bad“-Ereignissen abspielt. Gleich in der ersten Szene der ersten Folge sehen wir Gene Takovic, wie Jimmy sich jetzt nennt, bei der Arbeit in einer Filiale der US-amerikanischen Zimtschneckenkette Cinnabon. Um einer Verhaftung zu entkommen, die auf seine Taten in „Breaking Bad“ zurückgeht, fristet er eine einsame Existenz; seine Abende verbringt er damit, auf seinem Sofa Long Drinks zu schlürfen und sich mit Tränen in den Augen seine alten Werbespots anzusehen. Stets lebt er in Angst, dass jemand ihm auf die Schliche kommen könnte.

Damit wären wir bei dem dritten Geniestreich des Macherduos: „Better Call Saul“ zeigt nicht nur das Ende von Jimmy McGill, die Serie klärt auch die Frage, was aus Saul wird, nachdem er in „Breaking Bad“ nach Nebraska geflüchtet ist. Es mag zwar irgendwann ein weiteres Spin-off geben – 2019 hatte bereits der Film „El Camino“ Jesse Pinkmans Geschichte einen würdigen Abschluss beschert – aber die Geschichte von Jimmy/Saul/Gene ist mit der letzten Folge von „Better Call Saul“ zu Ende erzählt.

In mancher Hinsicht übertrifft „Better Call Saul“ die Mutter-Produktion. Seit dem Drehbeginn vor rund sechs Jahren sind Gilligan und Gould noch selbstbewusster darin geworden, das bereits für „Breaking Bad“ so charakteristische langsame Erzähltempo noch weiter zu drosseln. Viele Szenen sind nicht nur länger als man es von Mainstream-Produktionen ge-
wöhnt ist: Auch solche, die zwar schön anzusehen, auf den ersten Blick aber nichts mit der eigentlichen Handlung zu tun haben, sind aus der Serie kaum wegzudenken. Das verlangt den Zuschauer*innen Geduld und höchste Konzentration ab; die Aufklärung darüber, wie sich eine bestimmte Sequenz, insbesondere am Anfang einer Episode, in die Handlung einordnet, erfolgt zum Teil erst ein, zwei Folgen später.

Was zur lästigen Nabelschau hätte werden können, ist bei „Better Call Saul“ sehr viel mehr: Inhalt samt Drehbuch und schauspielerischen Leistungen wird keine größere Bedeutung zugemessen als der Form. Vielmehr sind die zahlreichen ungewöhnlichen Kameraperspektiven, die Parallelmontagen, Split-Screens, das Spiel mit Licht, Farben, Toneffekten, Rhythmen und wechselnden Zeitebenen ein wesentlicher Teil der Erzählung. Mal visualisieren sie das Innenlebens der Figuren oder die verstreichende Zeit, mal werden sie eingesetzt, um kommende Entwicklungen anzudeuten, vergangene in Erinnerung zu rufen oder Zusammenhänge aufzuzeigen. Selten gab es bislang eine Serie, die das Mantra „Show, don‘t tell“ derart meisterhaft umgesetzt hat. Wer sich auf diese für Mainstream-Serien ungewöhnlich anspruchsvolle Produktion einließ, wurde im Laufe der Jahre immer wieder zum Lachen gebracht, überrascht, geschockt und berührt.

Nach sechs Staffeln ist klar: Mit ihrer komplexen Spannungsdramaturgie, intelligenten Dialogen, bestechenden visuellen Ästhetik und moralisch ambivalenten Hauptfiguren teilt „Better Call Saul“ nicht nur viele Attribute mit „Breaking Bad“, das Spin-off sucht selbst im sogenannten Goldenen Fernsehzeitalter der 2000er-Jahre ihresgleichen.

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