Chronik: Virun 100 Joer (5)
: Die Stunde des Pazifismus

Eine der Ursachen der Russischen Revolution im Jahre 1917 war die Kriegsmüdigkeit der russischen 
Bevölkerung. Zugleich war die 
Revolution ein Ruf nach einem europäischen Friedensschluss ohne 
jegliche Bedingungen. Auch in Luxemburg war damit die Frage gestellt, wie sich die Sozialdemokratie zum Krieg positionieren sollte.

Endlich Frieden: Russische und deutsche Soldaten tanzten miteinander, um das Ende des Krieges an der Ostfront 1918 zu feiern.
(Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-S10394 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de)

„Gleich nach dem Gelingen der russischen Revolution am 28. März richtete der Petrograder Arbeiter- und Soldatenrat einen Aufruf an die Völker der Welt, in dem er die europäischen Völker zu gemeinsamem entscheidenden Vorgehen zu Gunsten des Friedens aufforderte, ‚Friede ohne Annexionen und Entschädigungen auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker‘ war in seiner kürzesten Fassung das russische Programm.“ So hieß es im Sommer 1917 in der Gewerkschaftszeitung „Die Schmiede“. [1] Die Revolution in Russland war ein Ausdruck des Pazifismus und, vielleicht noch mehr, der Kriegsmüdigkeit. Die kleinen Leute wollten nicht mehr als Kanonenfutter für einen sinnlosen Krieg herhalten.

Als Reaktion auf den Aufruf von Petrograd, so der Artikel in der „Schmiede“, sei eine internationale Konferenz in Stockholm mit Beteiligung sämtlicher sozialdemokratischen Parteien einberufen worden. Ihr Zweck sei die Erörterung der internationalen Lage: „Diese Einladung, datiert vom 29. April, war, wie später bestätigt wurde, auch an unsere Sektion abgesandt worden, ist aber bis heute noch nicht eingetroffen. Ging sie verloren, oder wurde sie verloren gegangen, war unsere eventuelle Mitarbeit an dem Friedenswerk an maßgebender Stelle nicht gern gesehen? Das sind Fragen, die wir, propter iniquitatem temporum, nicht diskutieren können.“ Der lateinische Ausdruck heißt übersetzt „wegen der Härte der Zeit“ und ist möglicherweise eine Anspielung darauf, dass unter der deutschen Besatzung Luxemburgs bestimmte Themen in den Zeitungen aus Angst vor der Zensur lieber nicht angesprochen wurden, vielleicht aber auch ein Hinweis auf die Zerstrittenheit der sozialdemokratischen Bewegung selbst.

Stockholmer Friedenskonferenz

Tatsächlich fand zu dieser Zeit im neutralen Schweden eine internationale Friedenskonferenz der Zweiten Internationale, des Zusammenschlusses aller sozialdemokratischen Parteien, statt. Doch weil eine ganze Reihe von Regierungen ihre Abgeordneten an der Teilnahme gehindert hatte, erbrachte die Konferenz keine wichtigen Resultate. Der Krieg machte es also auch schwer, überhaupt eine Diskussion zwischen den sozialistischen Kräften aus den verschiedenen Ländern zu organisieren. Auch von Luxemburg aus versuchten offenbar einige Personen, nach Stockholm zu reisen, jedenfalls konnte man in der linken Zeitung „Der arme Teufel“ lesen: „Droben in Stockholm arbeiten gegenwärtig die Friedensapostel des Sozialismus eifrigst am Herbeiführen eines imperialismusfreien Friedens, den die Menschheit hochnötig braucht und der glücklicherweise nun auch sehnlichst herbeigewünscht wird von der russischen Demokratie, der es gelungen ist, den Drachen des brutalen Zarismus zu besiegen. Hoffen wir, dass die paar Vertreter, die von hier aus zu ihren sozialistischen Gesinnungsgenossen nach Stockholm ziehen, mehr Tatkraft und Mut an den Tag legen und dem Friedenskongresse allda über unsere Lage zu mehr Bescheid stecken werden, als solches bislang unsere Staatsmänner gegenüber Europa taten.” [2]

Eine zuvor in Gang gebrachte und, weil Lenin an ihr teilnahm, bekanntere Friedensinitiative war die Konferenz von Zimmerwald in der Schweiz im September 1915. Die Resolution, mit der sie schloss, wurde im „Armen Teufel“ in extenso abgedruckt. Schon bei diesem Zusammentreffen war man sich einig geworden, dass militärische Annexionen abzulehnen seien, weil sie den Völkerhass nur noch weiter antreiben würden. Andererseits müssten jedoch auch „utopische Forderungen des bürgerlichen oder sozialistischen Pazifismus“ zurückgewiesen werden; sie seien genauso unrealistisch wie die Idee von internationalen Schiedsgerichten, die zwischen den Staaten vermitteln könnten. „Die Pazifisten wecken an Stelle alter Illusionen neue und versuchen, das Proletariat in den Dienst dieser Illusionen zu stellen, die letzten Endes nur der Irreführung der Massen, der Ablenkung vom revolutionären Klassenkampf dienen und das Spiel der Durchhaltepolitik im Kriege begünstigen.“ Ein dauerhafter Frieden sei nicht auf dem Boden der kapitalistischen Gesellschaft zu erreichen, sondern nur durch die Verwirklichung des Sozialismus. [3]

Solche kriegskritischen Töne hatten in Luxemburg vor 1917 jedoch noch keinen Erfolg. So erklärte der Präsident der Differdinger Sektion des „Luxemburger Bergwerks- und Hüttenarbeiterverein“ und spätere sozialdemokratische Abgeordnete Adolphe Krieps in einer Arbeiterversammlung im Dezember 1916: „Wenn es nicht möglich ist, Kartoffeln aus Deutschland zu erhalten, dann geht es bei uns zum Teufel. Meiner Ansicht nach ist Deutschland hierzu verpflichtet und gewissermaßen dazu gezwungen, eben wegen unserer Eisenproduktion.“ [4] Aus dem kleinen Satz geht hervor, dass der Kampf gegen den Hunger, unter dem die Arbeiterschaft infolge der mangelhaften Lebensmittelversorgung im Ersten Weltkrieg zu leiden hatte, jegliche Reflexion über die Problematik der Kriegsproduktion verhinderte. Die Luxemburger Eisenindustrie funktionierte ja während des Krieges weiter und unterstützte auf diese Weise die deutsche Kriegswirtschaft. Die ArbeiterInnen in Luxemburg trugen also gezwungenermaßen mit dazu bei, dass der Krieg von deutscher Seite aus fortgeführt werden konnte.

Das stand aber eigentlich im Widerspruch zu den Prinzipien der internationalen Arbeiterbewegung, die sich nicht nur die Solidarität aller ArbeiterInnen, sondern auch die Ablehnung des Krieges auf die Fahne geschrieben hatte.

War die Luxemburger Sozialdemokratie zur Friedenskonferenz von Stockholm eingeladen worden? Diese Frage wurde 1917 von der Zeitung „Die Schmiede“ aufgeworfen.
(Quelle: E-luxemburgensia)

Burgfrieden-Politik

Schon 1910 hatte es bei einem Kongress der 2. Internationale eine gemeinsame Resolution gegeben, in der für den Fall eines Krieges in Europa ein Generalstreik ins Auge gefasst worden war. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, war das auch aus diesem Grunde ein Desaster für die sozialdemokratische Arbeiterbewegung. Die allermeisten ihrer Volksvertreter in den europäischen Parlamenten stimmten für die Kriegskredite und zeigten so, dass sie die jeweilige nationale „Burgfrieden“-Politik unterstützten. Das heißt, sie stellten die nationale vor die sozialdemokratische Betrachtungsweise.

Von den Beispielen hierfür ist das deutsche das am besten bekannte. In Deutschland hatte zu Beginn des Krieges der Kaiser mit seiner Aussage „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche” auch die Mehrheit der sozialdemokratischen Abgeordneten dazu gebracht, im Reichstag für die Kriegskredite zustimmen. Weniger bekannt ist, dass die Sozialdemokratie auch in den alliierten Ländern auf eine ähnliche Probe gestellt wurde. In Frankreich etwa nahm die sozialistische Partei schon am 2. August 1914 eine Resolution an, in der es hieß: „[À] l‘agression contre la France républicaine et pacifique menaçant la civilisation et l‘humanité, nous répondrons de toutes nos forces et de toutes nos énergies”. [5] Und der Gewerkschaftsführer Léon Jouhaux sagte beim Begräbnis des sozialistischen Politikers Jean Jaurès, der ein paar Tage vor Beginn des Krieges einem Attentat zum Opfer gefallen war: „Avant d‘aller vers le grand massacre, au nom des travailleurs qui sont partis, au nom de ceux qui vont partir, dont je suis, je crie devant ce cercueil toute notre haine de l‘impérialisme et du militarisme sauvage qui déchaînent l‘horrible crime. Cette guerre, nous ne l‘avons pas voulue, ceux qui l‘ont déchaînée, despotes aux visées sanguinaires, aux rêves d‘hégémonie criminelle, devront en payer le châtiment.” [6] Im Dezember 1914 nahmen die sozialistischen Abgeordneten Frankreichs ein Manifest an, in dem sie ihre weitere Zustimmung zu den Kriegskrediten bekanntgaben. Auch in Belgien verhielt sich die sozialistische Partei ähnlich. Wenn das besetzte Luxemburg auch den Status der Neutralität hatte, so gab es doch auch dort eine „Burgfrieden“-Politik in dem Sinn, dass die Frage der Unterstützung der deutschen Kriegswirtschaft auch von sozialdemokratischer Seite nicht öffentlich thematisiert wurde.

1917 kann aber auch als Jahr des Umschwungs interpretiert werden, eines Umschwungs, der sicherlich auch durch das Erlebnis der Russischen Revolution motiviert wurde. So verabschiedete zum Beispiel in Deutschland der Reichstag mit den Stimmen der SPD eine Friedensresolution, die zumindest als Versuch einer Umorientierung der Kriegspolitik gewertet werden kann, obwohl die linke Abspaltung von der SPD, die „Unabhängige Sozialdemokratische Partei” (USPD), sie ablehnte und eine eigene, pazifistische, Resolution formulierte.

Auch in Luxemburg machte man sich nun offenbar Gedanken über die Kriegslogik, auch wenn die pragmatische Haltung der Luxemburger Arbeiterschaft durch die sozialdemokratische Partei nicht wirklich in Frage gestellt wurde. Im Oktober 1917, bei einer Versammlung des „Allgemeinen Luxemburger Metallarbeiterverbands“ in Eich, sprach der junge Maschinist Pierre Krier das Problem zumindest an: „Momentan dient unsere Arbeit vielleicht dazu, unsere Brüder zu töten.“ [7]

Quellen: 

[1] Stockholm, in: Die Schmiede, 07.07.1917, 1.
[2] M., H: Naht der Friede?, in: 
Der arme Teufel, 22.07.1917, 2.
[3] Die Stellung des Proletariats zu den Friedensfragen, in: Der arme Teufel, 18.06.1916, 1.
[4] ANLUX, J-076-135, Polizeibericht zur Versammlung des LBHV in Differdingen vom 16.12.1916.
[5] Blaszkiewicz-Maison, Adeline: L’expérience Albert Thomas. Le socialisme en guerre 1914-1918, Master 2, ENS de Lyon 2012-13, S. 43.
[6] Zit. nach ebda., S. 44.
[7] ANLUX, J-076-135, Gendarmeriebericht zur Versammlung des ALMV in Dommeldingen vom 28.10.1917.

 


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