Der letzte linke Kleingärtner, Teil 15: Hanomag und Grünkohl

Mal wieder radikal wie ein Radieschen, sagt der letzte linke Kleingärtner dem System den Kampf an. Und belehrt uns über die subversive Kraft der Nostalgie.

Übersteht selbst den kalten Winter, sieht im Schneekleid bezaubernd aus und ist als Speise köstlich und wärmend: der Grünkohl. (Foto: Aktion 3.Welt Saar e.V.)

Sie haben vieles gemeinsam. Man sieht sie nur noch selten, beide haben was mit Landwirtschaft und Gartenbau zu tun und beide sind irgendwie Opfer des Kapitalismus: Hanomag und der Grünkohl. Aber who the fuck ist Hanomag? Es war einmal …, so könnte man das Märchen der „Hannoversche Maschinenbau AG“ beginnen, aus deren Anfangsbuchstaben das Akronym „Hanomag“ entstand.

Unter diesem Firmennamen wurden einst Autos, Kleintransporter, Lokomotiven, Baumaschinen und Traktoren gebaut sowie in der Nazizeit Kriegsgerät. Und zwar solange bis der uns alle umgebende Kapitalismus entschied, dass jetzt Schluss damit ist, dass jede Popelfirma ihre eigenen Traktoren baut. Flugs wurde aufgekauft, das Kapital so weiter konzentriert und nach und nach verschwand die Marke vom Markt. Heute erzählen nur noch Museen, Liebhabervereine, Sammler sowie von der Entwicklung vergessene Traditionalisten unter Tränen der Rührung die große Geschichte vom Ende der großen Hanomag.

Dem Grünkohl geht es da nicht anders. Locker 200 Sorten existieren prinzipiell. Auch dies war dem uns alle umgebenden Kapitalismus zu viel der Vielfalt. Also musste ähnlich wie bei der Hanomag ordentlich konzentriert werden. Im Zuge der Marktbereinigung blieben auch beim Saatgut nur noch eine Handvoll Sorten zum Erwerbsanbau übrig. Was für ein großer Verlust an inspirierenden Geschmacksvariationen. Aber – und da sieht man wieder die subversive Kraft mancher Pflanzen – „das System“ konnte den faszinierenden Grünkohlgeschmack nicht vollends vernichten.

Als ich Anfang November auf einer Lesung meiner Kolumnen im ostfriesischen Aurich weilte, nahmen mich Bruder Hanomag und Schwester Grünkohl unter ihre subversiven Fittiche und gaben mir ein sehnsuchtsvoll erwartetes, wärmendes und nostalgisches Gefühl in der zunehmend kälteren und feuchten Jahresendzeit. Für frisch geernteten und zubereiteten Grünkohl mit Fleisch und Bratkartoffeln würde ich meilenweit gehen. Eigentlich ist der Grünkohl nicht nur im Norden Deutschlands so was wie ein Grundnahrungsmittel. Aber wie so viele andere Leckereien verschwindet er peu à peu aus den Gärten und aus dem Anbau. Sein Image ist nicht das allerbeste. Wobei, das stimmt nicht ganz. Reiche Menschen und die von ihnen bevorzugten Nobel-Restaurants wissen längst, welcher geschmackliche Schatz hier geborgen liegt und servieren mit allerhand Drumherum den eigentlich sehr billigen Grünkohl zu nicht ganz günstigen Preisen. Was aber dem Geschmack keinen Abbruch tut und unsereins zum Zulangen motiviert.

Reiche Menschen und die von ihnen bevorzugten Nobel-Restaurants wissen längst, welcher geschmackliche Schatz hier geborgen liegt.

Dabei lässt er sich leicht anbauen und ist in der Wuchsphase sehr pflegeleicht. Problematisch kann bestenfalls die Aufzucht nach dem Keimen werden. Wenn es in dieser Phase lange trocken und heiß bleibt, muss entweder täglich gegossen werden oder man nimmt in Kauf, dass er etwas Rückstand in puncto Größe und Blattdichte hat, wenn er sein Wachstum im Herbst einstellt. Sobald der erste Frost in den Morgennebel grüßt, kann er verspeist werden. Hat man mal zu viel oder geriet das Wachstum außer Kontrolle, kann man den Überfluss kurz blanchieren und der Gefriertruhe übergeben. Oder man lässt ihn, da er winterfest ist, einfach bis Februar stehen und erntet ihn nach Bedarf.

Abgerundet wurde mein Ostfriesland-Aufenthalt durch einen ungeplanten, aber umso angenehmeren Aufenthalt in einem nicht ganz offiziellen Hanomag-Museum, irgendwo auf dem Land, irgendwo in einer Scheune. Dort dürfen nur Menschen ihre Nase rein stecken, die Ahnung haben und die sehr speziell sind. Also zum Beispiel der letzte linke Kleingärtner. Obwohl ich bei meiner Gartenarbeit weder alte noch neue Traktoren einsetze, sondern voll und ganz auf Handarbeit gepolt bin, schmelze ich beim Anblick von über einem Dutzend Hanomagtraktoren, deren letzter Bautyp auch schon 50 Jahre auf dem Buckel hat – die Produktion wurde 1971 eingestellt – trotz nasskalter Umgebung dahin.

Sogar eine Sondervorführung durch den Besitzer gab es – nur für mich. Er ließ einen Hanomag R19 an und fuhr damit eine Runde: 19 PS, deshalb auch R 19, Zweizylinder, 1.399 ccm, Baujahr 1956. Was für ein Sound. Kann irgendeiner der Leser und Leserinnen damit aufwarten? Jammerschade, dass meine sechs Hühner dies nicht live erleben durften. Meine Freude und meine tief vor sich hin gluckernden Gefühle hätte ich gerne mit ihnen, von Mensch zu Tier, geteilt. Das ist Leben, das ist Musik, das ist Sound, das ist Rhythmus – möglicherweise auch nur männliche Unbeholfenheit im Umgang mit den täglichen Dingen. Aber allemal schön.

Als radikale Maßnahme habe ich mich als Kleingärtner nun endlich dazu entschlossen, das System, das uns Hanomag genommen hat und uns unseren Grünkohl ebenfalls zu stehlen droht, zu bekämpfen und natürlich auch zu besiegen: Ich werde also dem Kapitalismus den Garaus machen. Ihr könnt mich beim Wort nehmen. Ich bleibe dran und melde mich zurück, wenn ganz Deutschland eine blühende Grünkohlfläche geworden ist, und Luxemburg gleich mit. Erinnert mich an mein Versprechen, bevor ich es vor traditionstriefender Gefühlsduselei gar noch vergesse. Nix Fridays for Future, der Kampf geht weiter, la lotta continua.


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