Unser letzter Kleingärtner lässt uns mal wieder mit gewohnter Lässigkeit an seinem Fachwissen partizipieren. Und erinnert an gesamtdeutsche Verschwörungstheorien.
„Die dümmsten Bauern haben die dicksten Kartoffeln.“ Wer kennt nicht diesen Spruch? Schließlich wird er auch in dieser Kolumne hin und wieder bemüht. Dann natürlich auf absolut kompetente Art und Weise – ich kenne schließlich mein Metier. Meist jedoch wird er von männlichen Bescheidwissern zum Besten gegeben, die damit ihre Umwelt auf ihre Kompetenz und ihr überbordendes Wissen über die Geheimnisse der Pflanzenwelt aufmerksam machen wollen.
Dass die meisten dieser Akteure mit Landwirtschaft rein gar nichts am Hut haben und schlichtweg ahnungslos sind: geschenkt. Es zeichnet nun mal Teile der Spezies Mann aus, sich mit Lässigkeit simulierender Miene bevorzugt zu Themen zu äußern, über die sie nichts weiß. Zugegeben, das ist ein schöner Move, der einem Selbstvertrauen gibt in einer Welt, die einen Sekunde um Sekunde eher ängstigt. Aber es ist ein brüchiges Selbstvertrauen, das nur deshalb einen Anflug von Stabilität bekommt, weil man sich unentwegt in die Aura des Experten hüllt. Wie gut, dass es da den letzten linken Kleingärtner gibt, der wieder Ordnung in das Chaos bringt und für die männliche Zunft rettet, was noch zu retten ist.
Zurück zu den Kartoffeln: Ihr Ruf ist nicht der beste. Viele denken, für deren Anbau bräuchte man nicht viel unter der Haube, die sich oberhalb des Halses befindet. Denkste. Der Anbau der Knollen ruft viele Fressfeinde auf den Plan. Vor allem sind es die in dieser Kolumne schon häufig besungenen Kartoffelkäfer, die bereits als Larven – die Käfer legen die Eier – die Blätter der Pflanze kahlfressen. Im Ergebnis stirbt die Pflanze ab, die Knollen bleiben recht klein und der Ertrag bescheiden.
Da hilft alles nichts, jedes der drei Entwicklungsstadien des Tierchens – Ei, Larve, Käfer – muss bekämpft werden, chemisch oder mechanisch. Jede getötete Larve und jeder getötete Kartoffelkäfer ist eine Wohltat für die Menschheit, weil dies den Ertrag an Kartoffeln sichert.
Ohne Globalisierung und mit mehr nationalem Protektionismus wäre der Siegeszug des Kartoffelkäfers bestimmt nicht geschehen.
Dabei heißt der Kartoffelkäfer eigentlich gar nicht so. Die korrekte Bezeichnung ist Colorado-Käfer, womit auch seine Herkunft beschrieben ist. Er kommt von drüben aus der „neuen Welt“ und ist also ein Migrant, der unser schönes Europa – zumindest was die Kartoffelfelder anbelangt – kahl frisst. Das macht das Biest schon recht lange, ungefähr seit den 1870er-Jahren, als die ersten Exemplare über den Hafen von Rotterdam illegal und ohne Papiere einreisten und die internationalen Handelswege zu diesem Zweck schändlich missbrauchten. Ohne Globalisierung und mit mehr nationalem Protektionismus wäre dieser Siegeszug des Kartoffelkäfers bestimmt nicht geschehen.
So aber verbreitete sich der Käfer mangels natürlicher Feinde mit rasender Geschwindigkeit in ganz Europa und frisst seitdem regelmäßig ganze Kartoffelfelder kahl; sowohl jene des Erwerbsanbaus als auch die in den schnuckeligen kleinen Gemüsegärten von uns Kleingärtnern. So weit, so schlecht.
Doch manchen war das noch nicht schlecht genug. Da die Menschen lieber wilde Geschichten aufgetischt bekommen – die Kommunikationsforschung spricht dabei von „Storytelling“ –, statt sich mit den schnöden Fakten zu beschäftigen, erfanden die Nazis die Legende, dass US-Bomber den Käfer im Zweiten Weltkrieg (auch danach wurde diese Mär noch verbreitet) über Deutschland abwarfen, um der Heimatfront die Nahrungsgrundlage zu entziehen. Das einzige, was daran stimmt, ist die Herkunft des Käfers aus den Vereinigten Staaten. Der Rest ist Legende und passt in die Rubrik „Verschwörungserzählung“. Diese Legende „Made in Nazi-Germany“ hielt sich selbst noch jahrzehntelang in der DDR, sozusagen als vorweggenommene Wiedervereinigung.
Der zweite Fressfeind ist weniger gut sichtbar: Wühlmäuse. Wer schon mal erlebt hat, wie die sprichwörtlich dicksten Kartoffeln selbst der intelligentesten Kleingärtner von ganzen Wühlmaus-Heerscharen weggefuttert wurden, ohne dass auch nur eines der Tierchen wenigstens alibimäßig in eine der aufgestellten Fallen geschlüpft wäre, kann schon den Glauben an das Schöne im Leben verlieren.
Der dritte Fressfeind ist noch unsichtbarer. Von den Wühlmäusen hat man zumindest eine ungefähre Vorstellung und kann alle Schaltjahre doch mal eine fangen. Wie jedoch soll man sich gegen den Regen wehren? Dabei standen die Kartoffeln dieses Jahr so gut im Kraut. Ich war stolz wie Oskar und freute mich auf eine überbordende Ernte im Herbst. Doch es kam anders als gedacht.
Prinzipiell ist Regen ja gut für landwirtschaftliche Belange. Aber wie in anderen Bereichen gilt auch hier, dass zu viel davon viele Probleme mit sich bringt. Dabei hatte ich die Reihen und die Kartoffeln extra weiter voneinander entfernt angelegt, damit das Kraut nach einem Regen schneller trocknet. Doch angesichts der andauernden Regenmassen bemächtigte sich die Krautfäule der Blätter und diese welkten dahin. Die Pilzkrankheit ist um 1840 ebenfalls aus den USA eingewandert und fand ihren Weg von Flandern aus in das restliche Europa. Der Effekt der Krautfäule ist ein ähnlicher wie beim Kartoffelkäfer. Ohne Blätter wachsen die Knollen nicht mehr. Es droht zwar kein totaler Ernteausfall, aber man muss mit der Hälfte der ansonsten möglichen Kartoffelmenge zufrieden sein.
Drei Praxistipps:
- Kartoffelanbau ist eine knifflige Sache. Es gibt viele Mitesser. Sei vorsichtig.
- Ziehe den Hut vor den Kartoffelbauern und -bäuerinnen. Die können was.
- Genieße den Anblick (d)einer Kartoffel und bereite sie behutsam zum Essen vor. Es steckt viel Arbeit darin.