Der letzte linke Kleingärtner, Teil 18
: Böser Habicht, blanke Knochen

In dieser Folge seiner Kolumne entdeckt unser letzter linker Kleingärtner, dass man Windräder nicht nur zur nachhaltigen Energieerzeugung gut gebrauchen kann.

Moderner Sensenmann? Unter anderem mit Kadaver-Ablenkfütterung wird versucht, die Zahl der Greifvögel, die in Windparks getötet werden, zu minimieren. Der letzte linke Kleingärtner hat allerdings eher Gegenteiliges im Sinn. (Bild: Wikimedia/CC-BY-SA-4.0/Josef Moser)

Kaum zurück aus dem Berliner Metropolenzoo der Wichtigkeiten und der politisch etwas monotonen Öko-Demo für eine nachhaltigere Landwirtschaft, landete ich unsanft im richtigen Leben. Einem Habicht gelang der Zutritt zu meinem Hühnergehege. Wobei „Zutritt“ nicht ganz stimmt, Sturzflug wäre treffender. Zweimal glückte ihm im letzten und vorletzten Jahr ein solcher Angriff und zwei Hühner wurden von ihm gerissen. Aber so einfach war es dieses Mal nicht. Es gab großes Geschrei, heftige Gegenwehr und am Ende sorgte unsereiner aus der Riege der Zweibeiner für das sprichwörtliche „Glück im Unglück“. Ein Huhn wurde zwar etwas gerupft und musste ordentlich Federn lassen, aber es überlebte.

Dabei erzählen die recht gut alimentierten Gegner der Windenergie doch seit Jahren, dass die bösen Windräder nicht nur die schöne deutsche Natur zerstören und dabei allerhand Greifvögel schreddern. Gerade in Deutschland, historisch mit viel innerer Verträumtheit und romantischem Bezug zur vermeintlich unberührten Natur ausgestattet, ist dies eines ihrer besten, weil emotionalsten Argumente gegen die monströsen Windräder. Angesichts dieser alleszermalmenden Mühlen sind Straßen, Flughäfen, Eisenbahngleise, Häuser, Hotels und Touristenburgen geradezu Refugien der Naturbelassenheit, und sowieso werden sie von unsereinem ja nie benutzt.

Da lobe ich mir dann doch die Ökos mit ihrem stets monotonen Gemurmel von Nachhaltigkeit und Klimaschutz, auf die ist wenigstens Verlass. Im Vergleich dazu kann man die Windradgegner mit ihren Fake News glatt in der Pfeife rauchen. Mit diesen verbalen Windbeuteln ist kein Staat und ist kein Wald zu machen.

Eigentlich wollte ich mich bis Mitte Februar erholen. Jetzt muss ich mir wieder Schutz für meine Hühner und Knalleinrichtungen zur Abschreckung von deren Feinden überlegen. Ich bin selbst überrascht, welche Gewaltfantasien ich gegen hühnermordende Greifvögel entwickele. Vollkommen reflexhaft läuft dies vor meinem inneren Auge ab, von meinen eigenen Fantasien gefesselt wie von einem Kinofilm zerlege und rupfe ich stundenlang Feder für Feder des flügelschlagenden Raubtiers.

Und wenn ich damit fertig bin, fange ich gleich wieder von vorne an. Immer und immer wieder, damit nichts übrig bleibt und meine Hühner endlich Ruhe haben. Und ja, vielleicht sollte man die Windräder zukünftig mit Hühnerköpfen und Hühnerfedern teeren, damit sie wirklich viele Greifvögel anlocken. Das gäbe ein Schredderfest. Um die Windräder herum würde ich ein Gehege für Hühner anlegen. Als kannibalistisch orientierte Zweibeiner, die sie nun mal sind, würden sie die geschredderten Greifvögel triumphierend weiter bearbeiten, bis deren Knochen blitzblank geputzt sind.

Ich bin selbst überrascht, 
welche Gewaltphantasien 
ich gegen hühner-
mordende Greifvögel entwickle.

Das wäre doch irgendwie ökologisch und zugleich Teil einer gut perfektionierten Kreislaufwirtschaft. Nichts geht verloren und nichts geht über wohlschmeckende Frühstückseier von den Hühnern aus meinem Garten. Da erschrecke ich dann selbst ob dieser Bilder voller Blut und zertrümmerter Knochen. Früher wollte ich die Welt mal voll pazifistisch retten. Das hat nicht funktioniert, also musste ich ganz pragmatisch umsatteln. Als Kleingärtner bin ich ebenfalls nicht der Dümmste und schmeiße Pflanzen aus dem Programm, die bei mir nicht gut wachsen. An meinem Pragmatismus soll die Welt genesen.

Jedenfalls kommt ein Ärgernis selten allein. Während ich meinen Kampf gegen die Greifvögel mit opulenten und kraftstrotzenden inneren Bildern illustriere, fällt mir noch ein Übeltäter ein: Die Raiffeisen. So nennt man hierzulande umgangssprachlich manche lokalen Märkte für landwirtschaftsnahe Produkte. Hinter diesem nach Kooperative klingenden Namen verbirgt sich ein weltweites Imperium von 330.000 Unternehmen inklusive Banken, die allesamt recht marktbeherrschend in der Landwirtschaft und im Agrarhandel tätig sind. Was habe ich in den vergangenen Jahren über diesen Monopolisten geflucht und gelästert und doch dort eingekauft, weil es so bequem war, da es in meiner direkten Nachbarschaft zwei dieser Märkte gab.

Die sind nun Vergangenheit. Die obligatorisch ordnende Hand des Marktes – also das, was ich bei mir im Garten bin – hat im letzten Jahr jede Menge lokale Raiffeisenmärkte in den Sand gesetzt und von heute auf morgen geschlossen. Die Mitarbeiter waren so überrascht wie die ungläubig drein blickenden Kunden. Vielleicht habe ich doch zu viel geflucht, wenn sie wieder nur bestimmte Kartoffelsorten hatten – die legendäre Sorte Linda habe ich dort nie kaufen können – oder meist nur genverändertes Hühnerfutter. Jetzt könnte ich die Unsymphaten von der Raiffeisen mal gebrauchen und schon gibt es sie nicht mehr. Aus und vorbei. Restrukturierung, Marktbereinigung, zu unwirtschaftlich und welche Wortbildungen das neoliberale Geschwurbel sonst noch produziert. Ist ja gut. Wenigstens einen der beiden Läden hätten sie offen halten können. An mein Fluchen hatte ich mich so gewöhnt. Ohne Fluchen gibt es nun mal keinen linken Kleingärtner. Neben Wasser ist Fluchen eine der großen Quellen des Wachstums.


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