Der letzte linke Kleingärtner, Teil 19: Mit Kanonen auf Corona

Wie sieht die Welt zehn Jahre nach Corona aus? Der letzte linke Kleingärtner hat eine recht genaue Vorstellung davon.

Heraus zur Gartenarbeit? Der letzte linke Kleingärtner sinniert auch über 
deutsche Primärtugenden in Zeiten der Krise. (Foto: Joshua Willson/Pixabay)

Ein Glück, wer sich jetzt Kleingärtner nennen kann und seinen Garten direkt neben der eigenen Wohnstätte hat. Dort in meinem „safe space“ ist Platz für Gedanken der Milde und Güte, aber keiner für eine Ausgangssperre. Während draußen Krieg gegen Corona geführt wird, habe ich gerade mehrere Reihen dicke Bohnen und Zuckererbsen gelegt und zu Hause auf der Fensterbank in Blumentöpfen Samen von verschiedenen Salatsorten, Gurken und Zucchini zum Vorziehen ausgebracht. Das gibt zwar immer innerhäuslichen Stress, weil ein paar Krümel Erde weder im Blumentopf noch auf der Fensterbank landen, sondern sich ins Haus verirren. Währenddessen sehe ich auf meinem inneren Bildschirm, der weder digital noch analog ist, bereits die künftige blühende Landschaft meines kleingärtnerischen Kosmos vor mir. Vorbildlich und makellos wird dann alles sein, einfach perfekt.

Draußen ist derweil allerhand los. Der neoliberale Wicht im französischen Präsidentenamt redet von Krieg gegen Corona; die deutsche Militärministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, deren häufig benutztes Kürzel AKK so unangenehm an das Sturmgewehr AK47 erinnert, lässt gar schon die Bundeswehr aufmarschieren.

Fragt sich nur: Warum lässt man bislang meine Freunde, die Jäger, außen vor? Statt auf Rehe, Hirsche, Wildschweine, Füchse und Hasen zu ballern, könnten sie doch mit ihren Laser-Hochpräzisionswaffen das Coronadings aufs Korn nehmen. Jeder Schuss ein Treffer. Und wenn es nicht mit Präzision gelingt, dann eben mit brachialer Gewalt, wie damals vor Verdun. Wenn man alles kaputtmacht, hat sich irgendwann auch Corona erledigt. Ein logischer, wenn auch schmerzhafter Befund.

Als linker Kleingärtner schaue ich mir die erdrückende Gegenwart nun einfach mal von einem Standpunkt aus an, den ich zehn Jahre in die Zukunft vorverlegt habe. Und ich sehe Erstaunliches: Sowohl das Gesundheitssystem inklusive der Forschung als auch die Züchtung von Saatgut sind allesamt entprivatisiert und in verschiedene Formen von Gemein-
eigentum überführt worden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO – nein, das ist nicht die Musikkapelle „The Who“ – wird von allen Staaten mit ausreichend Mitteln ausgestattet. Das Gesundheitswesen ist weltweit in jedem Land auf einem nie dagewesenen Stand. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ist das technisch Machbare für alle zugänglich. Rund um den Globus und in jedem Land.

An Universitäten sind dann anthropologische und soziologische Studien en masse unterwegs, die akribisch und in monotoner Aneinanderreihung von Fakten die Frage beantworten, wie es sein konnte, dass der Kapitalismus jahrzehntelang wie eine Religion das Leben unserer Vorfahren mit ideologischem Starrsinn prägen konnte.

Foto: Bundesarchiv, Bild 102-11535 / CC-BY-SA 3.0

Längst wird man sich dann auch von der Politik der Grenzschließungen gelöst haben, wie man sie während der Corona-Krise und 40 Jahre davor auch schon bei der Durchsetzung der Atomenergie in Frankreich praktizierte. Damals taten deutsche Politiker von SPD, CDU und FDP so, als machte die Radioaktivität von den AKWs in Fessenheim am Rhein und den vier Reaktoren in Cattenom gegebenenfalls an der französischen Grenze Halt. Und der französische Staat ließ an seinen Grenzen geladene Maschinenpistolen auf Atomkraftgegner richten. Heute im Jahre 2030 wird es zunehmend schwieriger den Kindern und Heranwachsenden diese gruseligen Geschichten aus der jüngeren Vergangenheit glaubhaft zu vermitteln.

In den digitalen Medien macht dann eine Petition die Runde, in der die Freilassung des ehemaligen deutschen Gesundheitsministers Jens Spahn gefordert wird.

In den digitalen Medien macht dann eine Petition die Runde, in der die Freilassung von Jens Spahn gefordert wird. Der war in dieser düsteren Vorgeschichte während Corona deutscher Gesundheitsminister. Die Zeit heile alle Wunden, steht in der Petition zu lesen, daher sei mit Verweis auf die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn Vergebung angesagt. Spahn hatte damals trotz der aus China und Italien bekannten Fakten erst arg spät gegen das Virus gehandelt. Zugleich lässt sich eine Delegation aus ergrauten Würdenträgern von CDU und SPD auf die Audienzliste des amtierenden grünen Bundeskanzlers Robert Habeck setzen. Auch ihr Anliegen: Gnade für Spahn.

Meinetwegen. Er kann dann auf Bewährung in meinem Garten arbeiten. Als Kleingärtner werde ich mich mit Herzblut um seine Resozialisierung kümmern, schließlich bin ich auch bei Obst und Gemüse dafür, krumme Möhren und Äpfel mit Flecken nicht einfach auf den Kompost zu schmeißen. In diesem Sinne: Freies Geleit für Jens Spahn, direkt in meinen Garten.


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