Der letzte linke Kleingärtner, Teil 27: Der Eiersegen

Ein „Recht auf Faulheit“, wie es der Marx-Schwiegersohn Paul Lafargue einst propagierte, lässt unser Kleingärtner nicht gelten. Erst recht nicht im Hühnergehege.

Wer nicht arbeiten will (ergo: keine Eier legt), wird gegessen: Beim letzten linken Kleingärtner geht’s drakonischer zu als in 
der Bibel … (Foto: Aktion 3.Welt Saar e.V.)

Tagsüber ist der Hühnerstall verwaist. Nein, keine Sorge, es ist nichts Schlimmes passiert. Im Gegenteil, das hat einen erfreulichen Grund. Weil das Wetter besser geworden ist, zumindest weniger frostig, tummeln sich meine fünf Hühner tagsüber im Garten und bevölkern dort das mobile Hühnergehege. Da hüpft das Kleingärtnerherz, denn die Hühner entpuppen sich als sehr motivierte Mitarbeiterinnen. Wenn ich die Damen schon den ganzen Winter über mit Fressen versorge, dann sollen sie schließlich auch arbeiten und nicht nur Körner picken. Wir sind schließlich in Deutschland, und hierzulande ist Faulenzen bekanntlich so etwas wie Hochverrat.

Einfach nur Fressen und nix tun? Das akzeptiert weder die bürgerliche noch die sozialistisch geprägte Arbeitsmoral. Zum Glück haben meine fünf Hühner noch nie etwas von Paul Lafargue und seiner legendären Schrift „Das Recht auf Faulheit“ aus dem Jahr 1883 gehört. Damals hat der Schwiegersohn von Karl Marx der sozialistischen Bewegung und ihrem „Schaffe-schaffe-Häusle-bauen-und-Blaumann-Kult“ ordentlich eine vor den Latz geknallt. Zu seiner Beliebtheit im anarchistischen Lager hat das nicht unerheblich beigetragen.

Meine Hühner wissen von all dem natürlich nichts. Statt dessen arbeiten sie gleich auf fünffache Weise: Erstens legen sie Eier, zweitens scharren sie den Boden im Garten frei, drittens fressen sie Ungeziefer wie Schnecken & Co – das zwar die Ökos nicht so nennen, aber nun mal beim Anbau von Salat und Gemüse stört – viertens düngen sie den Boden mit ihren flüssigen und weniger flüssigen Ausscheidungen. Bei all dem vertilgen sie zudem die Speisereste aus dem Haushalt und verarbeiten diese zu frischen Eiern: Der fünfte Grund, weshalb die Hühnerhaltung eine feine Sache ist.

Sie hängen immer noch an der Bezeichnung Ungeziefer? Nun, wer auch nur einmal als Kleingärtner erleben musste, wie alle Salatpflänzchen, die auch jetzt in wenigen Wochen wieder in den Garten kommen, von Schnecken aufgefressen wurden, der weiß es zu schätzen, wenn keine dieser Bauchfüßer in der Nähe sind. Wunderbar. Für den Salat ist das wie Weihnachten: Der blüht dann richtig auf; allerdings nur, um wenig später von der Kreatur Mensch gefressen zu werden. Ob der Salat aus dem eigenen Garten eine Persönlichkeit hat und also solche gar sensibel ist, interessiert mich nicht. Mir läuft jetzt schon das Wasser im Mund zusammen.

Einfach nur Fressen und nix tun? Das akzeptiert weder die bürgerliche noch die sozialistisch geprägte Arbeitsmoral.

In früheren Jahren haben meine Hühner das Eierlegen im Winter etwas reduziert, zweitweise sogar ganz auf null. Da wurde es mir zu bunt und ich habe ihnen ordentlich Legemehl gegeben. Das ist in etwa das gleiche Futter wie die übliche Körnermischung, aber eben stark geschrotet. So können die Hühner es schneller aufnehmen und im Ergebnis legen sie dann mehr Eier. Mehr als meine Familie essen kann. Daher kann ich weitere Mitmenschen mit meinem Eiersegen glücklich machen. Viele stehen da drauf: Frische Eier, nicht aus der Fabrik, quasi selbst von mir gelegt. Voll öko, voll bio, voll gesund, voll fitmachend, voll die leichte Kost. Vor allem aber: voll das gute Essen.

Natürlich ist es ein angenehmer Nebeneffekt, dass ich durch diese Geschenke meinen sozialen Status sowie mein Kompetenzimage erheblich steigern kann. Apropos Futter: Ich habe vor rund zwei Jahren den Futterhändler gewechselt. Bis dahin hatte ich meine Nährstoffe immer bei Raiffeisen gekauft, bis mir auffiel, dass das Zeug nicht GVO-frei, also mit gentechnisch angebauten Bestandteilen durchmischt ist. Das war dem Beipackzettel vermutlich schon die ganze Zeit zu entnehmen, nur ist es mir nie aufgefallen. Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Meine Hühner hätten mich ja darauf aufmerksam machen können, anstatt still und leise in den Eierlege-Streik zu treten. Jetzt habe ich verstanden, den Anbieter gewechselt und die Produktion läuft wieder auf vollen Touren.

Noch ein Wort zur Produktion: Ja stimmt, im Winter wachsen Pflanzen nicht, was aber nicht heißt, dass wir Kleingärtner keine Arbeit haben. Zum einen muss man jetzt tun, was man im Herbst nicht erledigt hat – ein bisschen umgraben, Pflanzenreste entfernen, Boden mit Mist düngen. Und zum anderen hecke ich seit Weihnachten die imperialen kleingärtnerischen Pläne für die Aussaat im nahenden Frühjahr aus. Da braucht es viel Überlegung, enorme Rechenkapazitäten in meinem Kopf und natürlich den strategischen Weitblick eines Kleingärtners. Ich arbeite unentwegt, auch wenn das von außen nicht zu erkennen ist. Ein Kleingärtner rastet nie, deshalb setzt er auch keinen Rost an. Das hat schon Neil Young erkannt, als er auf seiner legendären Scheibe „Rust never sleeps“ der Menschheit den grandiosen Song „Hey Hey My My“ schenkte, wo er sehr richtig feststellt: „Rock’n‘roll will never die“. Wir Kleingärtner sind wie Rock’n’Roller. Unsereins arbeitet immer, für uns und für die Menschheit. Ohne uns hätte die nichts zu essen und keinen Rhythmus in ihrem Leben.


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