Der letzte linke Kleingärtner, Teil 37: Die Sache mit dem ‚W‘

Der letzte linke Kleingärtner lässt das sich zu Ende neigende Jahr Revue passieren. Und er schlendert mit Thomas Bernhard über den Luxemburger Weihnachtsmarkt.

Der Zug des Lebens steuert wieder Mal auf ein Jahresende zu. Während ich im Hühnerschlag sitze und dem einträchtigen Gackern und Scharren meiner vier Stallgenossinnen zusehe und -höre, erfasst mich ein Anflug von Sentimentalität. Selbst die härtesten Kleingärtner ihrer Zunft gehören im Grunde ihres Herzens zu den warmherzigsten Lebewesen auf Erden und finden fast nie genügend Worte, um ihre Gefühle der Menschheit mitzuteilen. Oftmals bleibt es bei einem engagierten Versuch und man verheddert sich in den unvollständigen Chroniken der Weltgeschichte. Auch in dieser Kolumne dreht sich mal wieder alles um die großen ‚W’s‘; um meine persönliche Weltgeschichte.

‚W‘ Nr. 1 – Wegebau

Davon war in der letzten woxx ausführlich die Rede, als ich ein Loblied auf den Betonweg in meinem Garten schmetterte (siehe woxx 1658 „Beton pur – Ekel Natur“). Der Betonweg hat Bestand, wird ewig währen und führt mich daher geradewegs in mein gärtnerisches Himmelreich.

‚W‘ Nr. 2 – Wühlmausfamilie

Nein, mit denen werde ich definitiv nie meinen Frieden schließen. Für die Wühlmäuse und mich gibt es keine gemeinsame Perspektive. Ende Herbst, während der Erntezeit, ließ ich vier Reihen Kartoffeln in der Erde. Nicht aus Großzügigkeit, sondern aufgrund mangelnder Arbeitsorganisation. Entweder verließen mich beim Ausbuddeln der Kartoffeln die Kräfte oder ich ging kurzfristig angenehmeren Vergnügungen nach und zog mir ein paar Bier rein, statt meinen Rücken weiter zu quälen. Oder ich hatte mir meine Zeit falsch eingeteilt, weil ich mich mal wieder von meinen Mitmenschen ablenken ließ.

Als ich die Kartoffeln letzte Woche endlich ausbuddelte, erlebte ich eine böse Überraschung. Der Bestand hatte sich nahezu halbiert, weil eine weitverzweigte Wühlmausfamilie sich ebenfalls mit Vorratshaltung beschäftigte und mir einiges an Kartoffeln weggefuttert hatte. Kleingärtnerpech eben. Kann passieren. Sollte es zwar nicht, aber …. Beschämend daran ist die äußerst bittere Tatsache, dass mich die kleinen Viecher intellektuell ausgetrickst haben. Diese Schmach wird lange nicht vergehen, wird mir monatelang nachhängen und meine Gedanken nach Rache befeuern. Dann muss ich in der nächsten Saison wohl wieder einige Fallen aufstellen. Und bevor hier jetzt jemand weinerlich wird: Nein, keine Lebendfallen, sondern richtige Fallen. Zack und weg. Entweder fressen die kleinen Nager meine Kartoffeln und Möhren oder ich selbst. Und ich bevorzuge die zweite Option.

‚W‘ Nr. 3 – Weihnachtsmärkte

Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich bei der „Weihnachtsmarkt“ genannten Ansammlung musikalisch-breiiger Gefühlsduselei irgendwann einmal nicht mehr innerlich die Decke hoch gehe und auch keinen Blick kleingärtnerischer Verachtung mehr aufsetze. Ich mag sie zwar noch immer nicht, komme aber langsam dahin, meinen Frieden mit Weihnachtsmärkten zu schließen. Und das hat rein gar nichts mit meinem Alter zu tun. Was würde ich dafür gegeben, wenn es wieder ein normales Weihnachten ohne Corona-Restriktionen gäbe. Und eigentlich war genau dies greifbar nahe. Wenn, ja wenn fast alle die Segnungen der Wissenschaft – in dem Fall das Impfen – angenommen hätten.

Stattdessen – in Deutschland wie in Luxemburg – jede Menge Skepsis, Kritik, Ablehnung, pseudogesellschaftskritisches Grundsatzgeraune. Dafür greifen manche sogar auf die Kritische Theorie zurück. Andere halten sich wieder mal an die Juden, denen sie alles in die Schuhe schieben. Eine Ansammlung von Realitätsverweigerern, so wie es Brauch und Sitte bei allen Verschwörungstheorien ist.

Ich rieb mir verwundert die Augen, als ich vom Rambazamba der Demonstranten gegen die Coronapolitik auf dem Luxemburger Weihnachtsmarkt erfuhr. Der Einsatz von Wasserwerfern in Luxemburg hat ja eher Seltenheitswert – in Deutschland ist dies anders, zumindest bei der Räumung besetzter Häuser und bei staatlichen Attacken gegen Fußballfans. In diesem Fall jedoch kann ich mir eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen, auch wenn das an der fortschrittsfeindlichen Einstellung der Betreffenden nichts ändern wird.

Was soll man denen entgegnen, die die Existenz des Virus abstreiten oder doch zumindest dessen Gefährlichkeit? Mit welchen Worten würde etwa der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard sich an sie richten? In seiner legendären Österreich-Sammlung der Charaktere würde Bernhard diese Spezies dort einsortieren, wo er die Mehrheit seiner Landsleute stets einquartiert hat. Ab und an griffe er dann einen – heute natürlich gegendert auch „eine“ – von ihnen hervor und ließe dieser Person seine verbale Zuwendung zuteilwerden, um sie dann wieder sorgfältig eingewickelt zurück in seinen Österreich-Schrank aus massivem Eichenholz zu legen. Halt dort, wo die guten alten Traditionen aufbewahrt werden. Schließlich hat er es immer nur gut mit seinen Mitmenschen gemeint, so wie ich. Schade, dass Bernhard nicht mehr unter uns weilt. Jetzt müssen wir selbst sein Geschäft übernehmen. Wir sollten keine Zeit verlieren.


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