Der letzte linke Kleingärtner, Teil 44: Elender Urlaub!

Der letzte linke Kleingärtner steckt mal wieder in der Klemme: Der Garten braucht Pflege, aber in die Ferien will man auch. Wie gut, dass es neoliberalen Unfug wie Wellness und inneres Wachstum gibt.

Achtsamkeit kann man auch bei unserem Kleingärtner erlernen: Entsprechende Anfragen zur Mitarbeit in seinem Rucola-Retreat nimmt unser Experte für inneres Gleichgewicht 
gerne entgegen. (Foto: Pixnio)

Was macht man eigentlich mit dem tollen Gemüsegarten, wenn die Urlaubszeit naht? Das ist nicht einfach. Die Abläufe im Garten sehen keinen Sommerurlaub vor. Genau in dieser Zeit wachsen die Pflanzen stärker und produzieren allerhand wohlschmeckende Früchte. Eine Variante wäre, seinen Urlaub im Gemüsegarten zu verbringen und sich dort von den Niederungen des Alltags zu erholen. Das ergibt Sinn, denn in einem Garten ist so viel los, dass man Schwierigkeiten hat, alles in epischer Breite zu erfassen. Zudem hätte es den unschätzbaren Vorteil, dass man die Pflanzen zur Produktion bis zum Anschlag motivieren könnte. Dann hätte man eine üppige Ernte vorzuweisen und könnte all denen, die in den Urlaub fahren, um „etwas zu erleben“, nach deren Rückkehr eine lange Nase drehen.

Ja, auch ein Kleingärtner ist ehrgeizig und will zeigen, was er hat. Er ist der perfekte Kleingeist, der ständig nach Höherem strebt und nie mit einer Platzierung unterhalb der Medaillenränge zufrieden ist. Und wenn er erst auf dem Treppchen ist, will er da auch bleiben. Das führt zu Argwohn: Die Konkurrenz schläft nicht, hat vielleicht neue Pflanzen oder gar Erfolge im Nachbau von Saatgut und macht einem damit womöglich den angestammten Platz wieder streitig. All das macht einen gleich wieder urlaubsreif.

Kommen wir also zu Urlaubsvariante zwei: Die besteht darin, im Sommer doch ein oder zwei Wochen wegzufahren und so zu tun, als könne man den Gemüsegarten auf Pause stellen. Das ist selbstverständlich nicht möglich. Also bleiben bei dieser Variante nur zwei Optionen. Man lässt alles wachsen und ausreifen und verzichtet auf die Ernte. Da blutet das Kleingärtnerherz und der Kleingärtnergeist neigt zu abgrundtiefer Traurigkeit. All die verlorenen Früchte, denen ja schließlich viel Arbeit und Schweiß geopfert wurde. Wer arbeitet und sich plagt, will auch ernten.

Die andere Möglichkeit wäre, das Einspannen von Nachbarn oder Familienmitgliedern. Entweder im Sinne eines klassischen Tauschgeschäftes, indem man den auserkorenen Mitmenschen den einen oder anderen geldwerten Gefallen tut, vielleicht auf deren Kinder aufpasst oder ihnen im Haus etwas repariert. Dann bliebe noch die Frage des Vertrauens in die gärtnerischen Fähigkeiten dieser Mitmenschen. Denn so locker und leicht zu pflegen ein Gemüsegarten auf den ersten Blick auch scheinen mag – es handelt sich um ein hochkomplexes und filigranes Ordnungssystem, in dem der Kleingärtner eine eigentlich unersetzliche Rolle hat. Man muss ständig alles im Blick haben, in der Zeit des intensiven Wachstums im Sommer allemal.

Verrückte, die scharf auf sowas sind, gibt es genügend, sonst wären diese sündhaft teuren Befindlichkeits-veranstaltungen nicht 
so gut besucht.

Aber nur im Blick haben reicht nicht aus. Man muss wissen, wann man einzugreifen hat. Das ist wie bei eigenen Kindern. Die wachsen zwar scheinbar auch von selbst, aber ein elterlicher Rahmen muss gegeben sein und ab und an muss man auch mal – pädagogisch sanft natürlich – ordentlich dazwischengehen, damit einem der Alltag nicht entgleitet. So ist das auch bei Pflanzen. Eine ordnende Hand und eine klare Ansage vom Chef ergeben erst die üppigen Ernten und entlocken dem Kleingärtner sein selbstgefälliges wie zufriedenes Grinsen.

Wenn man sich also notgedrungen dazu durchringt, sein Allerheiligstes für ein oder zwei Wochen Menschen zu überlassen, die man zwar schätzt, weil man glaubt, sie zu kennen, bleibt dennoch allerhand Misstrauen zurück. Denn im Grunde kann ein Kleingärtner halt niemandem trauen – ganz prinzipiell und auch aus Erfahrung nicht. Daran schließt sich auch schon die Frage an: Was gibt man diesen Leuten für Stümperei und Gegurke im ihnen fremden Garten? Ein lapidares Dankeschön, verbunden mit dem Hinweis, dass man ihnen ja so eine sinnstiftende Erfahrung verschafft hat, die sie ansonsten in Form von persönlichkeitsstärkenden Wohlfühlseminaren in ländlicher Idylle teuer bezahlen müssten, reicht wahrscheinlich nicht aus. Obwohl – es könnte funktionieren, wenn man es nur in den entsprechenden Jargon verpackt. Verrückte, die scharf auf sowas sind, gibt es genügend, sonst wären diese sündhaft teuren Befindlichkeitsveranstaltungen nicht so gut besucht.

Dieses ganze Abwägen kostet viel Zeit. Der Gemüsegarten ist nur das Spiegelbild der gesellschaftlichen Zustände. Wenn der Chef da ist, wachsen die Pflanzen besser – das ist wie mit den Mitarbeitern im Betrieb. Homeoffice ist nur ein weiteres Bonbon aus der Denkfabrik des Neoliberalismus, das eine digitale Lösung für ein analoges Problem suggeriert. Die Zunahme von Homeoffice geht global mit der Zunahme von prekären analogen Arbeitsbedingungen einher. Letztlich ist das Leben – trotz aller Zwischentöne – immer noch analog. Und die heilige Arbeit allemal.

Praxistipps:

Überlasse deinen Garten im Sommer nur im Notfall Fremden. Höchstens einmal im Leben.
Der Garten und die sonstige Rettung der Welt sind Chefsache.
Apropos Urlaub: Schreddere die heilige Arbeit und der Urlaub wird ein Kumpel deines Alltags.


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