Deutsche Buchbranche in der Krise: Die abnehmende Sichtbarkeit unabhängiger Verlage

Wie Verlage angesichts steigender Produktionskosten und einer sinkenden Zahl von Buchläden über die Runden kommen.

Höhere Kosten, weniger Umsatz: Seit der Coronapandemie ist die Lage für die Buchbranche noch schwieriger geworden. (Foto: Pexels)

Gestiegene Produktionskosten in den Druckereien bei Papier, Energie und Druck machen nicht nur linken Zeitungen zu schaffen. Durch Digitalisierung, Inflation und zunehmende Marktkonzentration gehen auch die Absatzzahlen von Büchern zurück. In der beginnenden Coronapandemie erschien im März 2021 eine Studie im Auftrag der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien zur Lage der Verlage und des Buchhandels, erstellt von der Consultingfirma DIW Econ GmbH: „Aktuelle Bestandsaufnahme und Bedarfsanalyse im Bereich der Förderung verlegerischer Vielfalt auf dem Buchmarkt in Deutschland“.

Weil es während der Coronapandemie staatliche Förderprogramme auch für die Buchbranche gab und mehr Leute Zeit zum Lesen hatten, stiegen Einnahmen und Umsätze rund um das Buch. Dadurch wurde die Studie und die in ihr festgestellte tiefgehende strukturelle Krise kaum zur Kenntnis genommen: Von 2010 bis 2018 ist die Gesamtzahl der umsatzsteuerpflichtigen Verlage um ca. 14 Prozent gesunken, von 2.220 auf 1.918 Verlage. Die Zahl der Verlage ist somit jährlich durchschnittlich um 1,5 Prozent geschrumpft. Die Zahl kleiner Verlage mit einem Jahresumsatz bis zu 100.000 Euro ist besonders stark gesunken. Der Rückgang zwischen 2010 und 2018 beträgt ca. 22 Prozent. Und die Krise geht weiter. Wie gehen kleine linke Verlage damit um? Das fragte Gaston Kirsche Franziska Otto von der Edition Nautilus und Theo Bruns vom Verlag Assoziation A.

„Es braucht doch eine Vielfalt an Themen und literarischen Ausdrucksformen“

Interview mit Franziska Otto, bei der Hamburger Edition Nautilus zuständig für Presse und Veranstaltungen im Bereich Belletristik und Krimi.

„Wir arbeiten ja als Kollektiv und sind fast alle Gesellschafter des Verlags.“ sagt Franziska Otto, die bei der Hamburger Edition Nautilus auch Mitverlegerin ist. (Foto: Ulrike Schacht)

Gaston Kirsche: In welchen Bereichen haben sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für euch in den letzten Jahren verändert?

Franziska Otto: In der Coronapandemie waren die Papierpreise enorm gestiegen, was die Druckkosten stark in die Höhe getrieben hat. Und infolge des Krieges in der Ukraine sind dann die Energiepreise in die Höhe gegangen, und diese Kostensteigerung wurde zum Teil an die Verlage weitergegeben, in Form höherer Druckkosten, aber auch Transport- und Logistikkosten. In dieser Zeit gab es aber sowohl tolle Kampagnen für Bücher, etwa den Slogan „Bücher sind Lebensmittel“, als auch Förderprogramme vom Bund wie „Neustart Kultur“, wodurch etwa die Übersetzung eines Romans übernommen wurde, da waren unsere Umsätze noch nicht so eingebrochen. Das beobachten wir erst seit letztem Jahr, besonders aber in diesem Jahr. Dafür ist sicherlich die Inflation und allgemein die schwache Konjunktur mitverantwortlich, die natürlich auch den Buchmarkt trifft. Die Menschen sparen mehr als zuvor.

Sind die Bücherkäufe spürbar zurückgegangen?

Allerdings, und nicht nur bei uns, die Zahl der Buchkäufer*innen geht insgesamt zurück. Nur mal zwei Zahlen aus aktuellen Studien: Im Vergleich zu 2019 haben im vergangenen Jahr 3,6 Millionen weniger Menschen Bücher gekauft. Und einer ganz neuen Studie des Börsenvereins zufolge haben Verlage unserer Größenordnung im vergangenen Jahr einen Umsatzrückgang von 17,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen. Um ein Beispiel aus unserem Verlag zu nennen: Zum Zeitpunkt unseres Aufrufs „Die Edition Nautilus braucht eure Unterstützung“ Ende Juli standen wir bei der Hälfte unseres Umsatzes des Vorjahreszeitpunktes. Das ist enorm und äußerst besorgniserregend, zumal es offenbar nicht an den jeweiligen Titeln liegt – Umsatzschwankungen hat man ja immer –, sondern die ganze Branche betrifft.

Und gleichzeitig sind die Produktionskosten gestiegen?

Wir haben zur Zeit der Pandemie schon mal den Druck eines Titels verschoben, weil die Kosten so extrem in die Höhe gegangen waren. Aber das hat sich wieder etwas beruhigt; der wichtigste Punkt ist eher die immer stärker abnehmende Sichtbarkeit der Bücher aus unabhängigen Verlagen in den Medien und im Buchhandel. Wir sparen aber auch in der Produktion und drucken beispielsweise momentan auf günstigerem Papier als bisher.

Verkaufen sich Belletristikbände denn besser als Sachbücher, gibt es da messbare Veränderungen?

Einige der größeren Erfolge in den letzten Jahren waren schon Belletristiktitel, wie „Erschlagt die Armen!“ von Shumona Sinha oder der Politthriller „Der Block“ von Jérôme Leroy. Bei der Belletristik beobachten wir aber mehr das Phänomen, dass die einzelnen Titel schneller wieder aus der Wahrnehmung verschwinden, wohingegen Sachbücher zu bestimmten Themen sich über längere Zeit gut verkaufen, zum Beispiel „Vergewaltigung“ von Mithu Sanyal oder das Buch „Boys don’t cry“ über toxische Männlichkeit von Jack Urwin, oder die pointierten feministischen und gesellschaftskritischen Essays von Laurie Penny.

War Tannöd, der von euch verlegte Krimi der bis dahin unbekannten Autorin Andrea Maria Schenkel, mit einer Million verkauften Exemplaren ein Ausnahmefall, den es heute so nicht mehr gibt für euch?

Vielleicht war der Krimi ein Once-in-a-lifetime-Erfolg, aber wer weiß. Wir begeistern uns für jeden Titel, den wir ins Programm nehmen, und tun alles, was in unserer Macht steht, um damit möglichst viele Leser*innen zu erreichen. Wenn wir nur ein Hundertstel der Verkäufe von Tannöd erreichen würden, wäre das schon ein Erfolg. Also, wir lassen uns gern überraschen!

Wenn die Überraschung erst einmal nicht kommt – lassen sich aufwändige, teure Bücher besser oder schlechter verkaufen als Flugschriften?

Bei Nautilus erscheinen ja keine teuren Bildbände. Unsere Romane sind immer gebundene Bücher und damit in der Herstellung und dann im Ladenpreis schon teurer, aber die Preise gleichen sich immer mehr an. Mir scheint es wichtig zu vermitteln, den Wert des Buchs zu schätzen, auch der Ausstattung, aber vor allem des Inhalts. Vielen Lesenden ist auch nicht klar, wie viele Beteiligte am Ende ihren Anteil am verkauften Buch bekommen, und wie gering dann dieser Anteil ist: nur zirka 10 Prozent erhalten etwa jeweils Autor*in und Verlag …

Gibt es Bücher, die ihr deswegen nicht herausbringen könnt?

Leider haben wir uns in den letzten Jahren aus Kostengründen gegen einige Titel entscheiden müssen. Vor allem bei Übersetzungen, denn da haben wir ja im Prinzip die doppelten Kosten, da das Übersetzerhonorar natürlich gezahlt wird, unabhängig davon, wie viele Bücher man verkauft. Ohne Fördergelder lässt sich das gar nicht mehr vernünftig kalkulieren, zumal bei kleineren Auflagen. Besonders Übersetzungen aus dem Englischen sind schwer zu finanzieren, da gibt es kaum Übersetzungsförderung und viele Menschen lesen ein Buch dann vielleicht lieber im Original.

Ihr schreibt in einer Erklärung von einem abnehmenden Interesse an herausfordernden Büchern?

Wir bekommen schon mal aus dem Buchhandel zu hören: Unsere Kundschaft sucht gerade eher etwas Leichtes, Unterhaltsames. Aktuell sind ja im Buchhandel auch „New Adult“- und „Romance“-Titel total im Trend. Aber das ist für uns natürlich kein Grund, auf diesen Zug aufzuspringen. Gerade in diesen politisch herausfordernden Zeiten braucht es doch eine Vielfalt an Themen und literarischen Ausdrucksformen, kämpferische Gegenstimmen, Bücher, die Debatten anstoßen und zum Denken und Handeln anregen. Und da haben wir, zum Beispiel bei den Linken Buchtagen in Berlin, gesehen, dass es auf jeden Fall ein interessiertes, junges Publikum gibt für anspruchsvolle Literatur.

Aber trotzdem gibt es im größeren Rahmen eine schwindende Medienaufmerksamkeit für Literatur?

Definitiv: In den letzten Jahren wurden etliche Literatursendungen in Radio und Fernsehen gestrichen, begonnen hat es vielleicht mit dem Bücherjournal beim NDR, das es seit 2020 nicht mehr gibt, dann hat es Kürzungen im HR gegeben, im letzten Jahr im BR, und vor zwei Monaten wurde angekündigt, dass es die Sendung „Lesenswert“ im SWR-Fernsehen 2025 nicht mehr geben wird. Da frage ich mich schon: Was ist mit dem Bildungsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen? Die Zeitungen und Zeitschriften stecken schon lange in der Krise, da gibt es auch immer weniger Platz für Kultur. Und dieser wenige Platz geht dann auch zulasten der Vielfalt, da findet eine immer größere Konzentration auf immer weniger Titel statt.

Dann schlägt die Krise des Buchhandels auf euch als kleineren Verlag auch durch?

Auf jeden Fall, denn der Buchhandel ist unser wichtigster Partner und Vertriebsweg, unser größtes Schaufenster. In den letzten Jahren haben diverse, für uns wichtige unabhängige Buchhandlungen schließen müssen, keinen Nachfolger gefunden oder sind unter das Dach von großen Buchhandelsketten geschlüpft. Die immer schwierigere Situation im Buchhandel bedeutet, dass weniger eingekauft wird, sich mehr auf verkaufsstarke Bestseller verlassen wird und die Bereitschaft sinkt, Büchern den Platz auf dem Verkaufstisch zu geben, die nicht von einer großen Medien- und Werbekampagne begleitet werden und sich daher nicht sicher in großer Zahl verkaufen lassen. Insbesondere bei den großen Ketten beobachten wir ein immer zurückhaltenderes Einkaufsverhalten. Da waren vor zehn Jahren noch ganz andere Stückzahlen üblich und eine ganz andere Risikobereitschaft vorhanden, auch für Titel aus kleinen, unabhängigen Verlagen. Der Buchhandel hat weniger Spielraum, kämpft selber um sein Überleben. Das alles geht zulasten der literarischen Vielfalt und bedeutet für uns unmittelbar: massiv weniger Buchverkäufe.

Können eure Vertreter in Buchhandlungen noch so gut Titel platzieren wie vor 20 Jahren?

Nein, definitiv nicht. Abgesehen davon, dass die Zahl der Buchhandlungen abnimmt, sind auch die Vorbestellungen der einzelnen Buchhandlungen deutlich zurückgegangen. Es wird mehr abgewartet, ob ein Titel medial Fahrt aufnimmt und von außen Nachfrage entsteht, und weniger riskiert – für uns ein Teufelskreis. Das kann man in dieser ökonomisch schwierigen Lage natürlich verstehen, andererseits denken wir, dass es für Buchhandlungen immer wichtiger werden wird, ein interessantes und vielfältiges Sortiment anzubieten, um ihre Kundschaft zu halten, denn die Bestseller findet und bekommt man auch online, das Besondere aber sucht man im Laden und im Beratungsgespräch.

„Verlegen ist eines der letzten Abenteuer unserer Zeit“

Ein Gesprächsprotokoll von Theo Bruns aus Hamburg vom Verlag Assoziation A, der auch in Berlin einen Verlagssitz hat.

Theo Bruns führt gemeinsam mit Rainer Wendling den Verlag Assoziation A in Berlin. (Foto: Assoziation A)

Was soll ich sagen oder klagen: Der linke und unabhängige Verlagskosmos basiert schon immer auf hohem Einsatz, prekärer Arbeit, Hungerlöhnen und in der Folge nur zu oft drohende Altersarmut. Wir sind alle Überzeugungstäter*innen und gehen unserer Arbeit mit Leidenschaft nach. Aber nein: Wir konnten uns noch nie angemessene Gehälter oder Honorare auszahlen, diese bewegten sich oft unter dem Niveau des Mindestlohns. Es ist immerhin zu begrüßen, dass es in den letzten Jahren – zum Teil ausgelöst durch Corona – erste Überlegungen und Initiativen zur finanziellen Förderung des (Klein-)Verlagswesens gibt, analog zur Förderung von Programmkinos, engagierten Buchhandlungen oder anderen Sparten der Kulturbranche. Das ist bislang nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber immerhin ein Schritt in die richtige Richtung.

Die verkauften Auflagen – vor allem im Sachbuchbereich – sind kontinuierlich zurückgegangen. Die durchschnittliche „Lebenszeit“ eines Buches ist deutlich kürzer geworden; häufig verschwinden Titel bereits nach einem halben Jahr vom Markt und werden von den Barsortimenten, also den Lager- und Auslieferungszentren, den Zwischenhändlern zwischen Verlagen und Buchhandlungen nicht mehr angeboten. In den Medien ist der Platz für Buchrezensionen geschrumpft. Engagierte Buchhandlungen finden oft keine Nachfolger*innen, weil auch sie nur klägliche Löhne zahlen können.

Die gestiegenen Produktionskosten machen Bücher für die End- kund*innen natürlich teurer, sind aber nicht das Hauptproblem. Aufwändig gestaltete Bücher haben einen Markt, weil dies vom Publikum durchaus positiv aufgenommen wird. Die Ansprüche an eine ansprechende Gestaltung sind gestiegen.

Wir publizieren trotzdem weiter die Bücher, die uns am Herzen liegen, sind aber öfter als früher gezwungen, uns um Druckkostenzuschüsse zu kümmern. Auswirkungen auf unser Programm hat die Krise des Buchmarkts nicht. Im Zweifelsfall sparen wir bei uns selbst …

Verlegen ist eines der letzten Abenteuer unserer Zeit und nach wie vor eine beglückende und hoffentlich bewegende Tätigkeit, die einen winzigen Beitrag zu einer besseren Welt leisten kann.

 


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