Seit Ende vergangener Woche wird der durch Umweltaktivisten besetzte Hambacher Forst bei Aachen von der Polizei und dem Sicherheitsdienst des Energieriesen REW geräumt. Auch das letzte Stückchen eines einst stattlichen Waldes soll dem Braunkohle-Tagebau weichen.
Er wusste genau, å die Räumung ablaufen würde. Sechseinhalb Jahre hat Clumsy im Hambacher Forst gelebt. Auf einer Stileiche am oberen Ende von „Oaktown“, wie die Baumhaus-Siedlung in diesem Teil des Waldes genannt wird, hat der großgewachsene athletische Mann mit den beiden Piercings in der Unterlippe und einem dritten durch die Nasenscheidewand vor mehr als vier Jahren sein Baumhaus gebaut. „Mona“ hat er seine geräumige Bleibe auf rund 16 Meter Höhe getauft. Einen Ofen gab es, isoliert war sie und ganz gemütlich, so der Umweltaktivist mit einem Lächeln. „Die Versorgungsplattform darunter habe ich erst vor ein paar Wochen ergänzt, um dort Lebensmittel zu deponieren und vielleicht noch jemanden unterzubringen“, so der 30-Jährige.
Clumsy, zu Deutsch tollpatschig oder plump, ist sein Spitzname hier im Wald, denn seine Identität will er wie die anderen Baumbesetzer im Hambacher Forst nicht preisgeben. Clumsy ist jedoch ganz das Gegenteil von plump. Fix seilt er sich ab und auch der Aufstieg geht zügig vonstatten. Geschickt, ruhig und überlegt agiert der Umweltaktivist aus Österreich, der als einer der ersten in den Hambacher Forst gekommen ist.
2012 war er mit dem Fahrrad auf dem Weg nach Frankreich zu einer Waldbesetzung, machte im Hambacher Forst Station und blieb. Um ein Zeichen zu setzen – gegen den Klimawandel und gegen die Verstromung von Braunkohle. „Hier ist ein Kristallisationspunkt. Hier wird der Klimawandel gemacht, hier muss man aktiv werden“, sagt er und deutet in Richtung des Hambacher Tagebaus, der sich nur wenige hundert Meter entfernt vom knapp 300 Hektar großen Wald entfernt befindet.
Von dem Erdwall aus, der den Wald in die eine Richtung begrenzt, kann man die gigantischen Schaufelradbagger beinahe schon sehen, die jeden Tag 240.000 Tonnen Kohle aus der sich über 85.000 Hektar erstreckenden gigantischen Grube fördern können. Leicht auszumachen sind auch die Kraftwerke. Nur ein paar Kilometer vom Wald entfernt steigen mächtige Wolken Wasserdampf in den Himmel empor. Nicht sehen kann man hingegen die Treibhausgase, die durch die Schornsteine entweichen. Sie sind der Grund, weshalb Clumsy und rund zweihundert weitere Mitstreiter im Hambacher Forst sitzen und gegen eine Energiepolitik protestieren, die den Klimawandel verursacht.
Goldenberg, Frimmersdorf, Niederaußem und Neurath heißen die vier RWE-Braunkohle-Kraftwerke der Region. Allein das Kraftwerk Neurath mit einer Leistung von 4.400 Megawatt stieß 2016 31,3 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus und ist mit einer solchen jährlichen Bilanz Deutschlands Klimakiller Nummer eins. Nirgendwo sonst in Europa steigt so viel Treibhausgas auf wie aus den Kraftwerken im rheinischen Revier zwischen Köln und Aachen.
Bis mindestens 2040 soll Braunkohle hier weiterhin in großen Mengen verstromt werden. „Ein Irrsinn angesichts der spürbaren Folgen des Klimawandels. Der Hurrikan Florence, der gerade in USA wütet, ist dafür doch das aktuellste Beispiel“, argumentiert Clumsy mit leiser Stimme.
Regenmassen, die Erdrutsche auslösen, Überflutungen, die die Häuser der Ärmsten wegspülen, häufen sich auch in Mittelamerika und der Karibik. In Peru und Bolivien schmelzen hingegen die Gletscher ab und stellen die Menschen vor vollkommen neue Probleme, während in Afrika die Zahl der Dürren zunimmt. „Dafür trägt RWE eine Mitverantwortung. Doch hier dreht sich fast alles um die Zahl der Arbeitsplätze, die der Kohleaussteig kosten könnte, obwohl der Klimaschutz ganz oben auf der Agenda stehen sollte“, kritisiert Clumsy die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Land der einst so stolz deklarierten Energiewende.
Vor sechs Jahren war „Clumsy“ mit dem Fahrrad auf dem Weg nach Frankreich zu einer Waldbesetzung, machte im Hambacher Forst Station und blieb.
Denn Deutschland hinkt den eigenen Zielen weit hinterher, wie eine Studie der „International Renewable Energy Agency“ vom Mai dieses Jahres zeigt. Statt der geplanten 2,5 Gigawatt Leistung aus regenerativen Energieträgern, die alljährlich ins Stromnetz eingespeist werden sollen, sind es 2016 gerade 1,53 und 2017 nur 1,75 Gigawatt gewesen. Wasser auf die Mühlen der Kohlelobby, die der Behauptung nicht müde wird, es sei unmöglich, auf die Kohleverstromung zu verzichten.
RWE ist nicht nur der größte deutsche Energiekonzern, sondern auch ein besonders eifriger Propagandist, der den anvisierten Ausstieg aus der Kohle so weit wie möglich nach hinten schieben will. „RWE-Vorstandschef Rolf Martin Schmitz beharrt öffentlich darauf, dass der Wald in jedem Falle gerodet werden muss. Mehr als einen Aufschub hat er nie in Aussicht gestellt“, so Clumsy.
Da die Richter am Oberlandesgericht in Münster bis zum 14. Oktober entscheiden müssen, ob der Hambacher Forst aufgrund der dort lebenden seltenen Fledermausarten nicht ein potenzielles Schutzgebiet sei und deshalb die Rodungen nicht stattfinden dürften, wird diese Haltung von RWE als an Ignoranz kaum zu überbieten kritisiert. RWE versuche Tatsachen zu schaffen, sagen Umweltverbände wie der BUND, Greenpeace und der Deutsche Naturschutz Ring (DNR), aber auch die Aktivisten aus dem Hambacher Forst. Die werden von der Regierung in Nordrhein-Westfalen sowie der Polizei immer wieder als gewaltbereite Chaoten dargestellt.
Ganz innerhalb dieser Logik, wurde das Gebiet um den Hambacher Forst Ende August zum Gefahrengebiet erklärt. Am 5. September drang der RWE-Sicherheitsdienst unter dem Schutz der Polizei in den Wald ein, um „Müll zu entsorgen“, so die offizielle Begründung. „Doch dabei wurden de facto Küchen, Zelte und unsere Infrastruktur am Boden abgeräumt und zerstört“, kritisiert Clumsy. Das bestätigt auch Stefan Schlang von „Buirer für Buir“.
Die Bürgerinitiative wurde vor zwölf Jahren in dem benachbarten Dorf Buir gegründet, engagiert sich für den Erhalt des symbolträchtigen Waldes, unterstützt die Umweltaktivisten und hat im Vorfeld der am 13. September erfolgten Räumungsanordnung zu deeskalieren versucht. „Erfolglos, denn RWE blockiert und nutzt als ehemaliger öffentlicher Betrieb die guten Kontakte in die politischen Strukturen“, so Schlang. Im Bauministerium, das die Baumhäuser über Nacht zu baulichen Anlagen deklarierte, hatte man die Räumung unter Verweis auf fehlende Brandschutzmaßnahmen, Geländer und Fluchtwege begründet. Dann wurden 4.000 Polizisten in Marsch gesetzt.
Die räumen nun Baumhaus für Baumhaus und kommen dabei nur langsam voran. Genau das hatte Clumsy prognostiziert, der am vergangenen Freitag als einer der ersten seiner Bleibe beraubt worden war. Erst zerstörten die Einsatzkräfte unter Mitwirkung des RWE-Sicherheitsunternehmens Mundt sein Baumhaus. Dann wurde das am Baum befestigte Rohr, in dem er seinen Arm fixiert hatte, aufgeschnitten. Clumsy wurde abgeführt.
Nicht eingetreten sind bisher hingegen die Prognosen der Polizei. Die hatte in einer Flut von Pressemeldungen davor gewarnt, dass die Baumbesetzer zu Molotowcocktails und Steinen greifen würden – bislang ließen sich Berichten zufolge jedoch alle Aktivisten widerstandslos abführen. Die Kriminalisierungsstrategie der Polizeiführung scheint nicht aufzugehen, was sich auch in der überregionalen Berichterstattung der letzten beiden Wochen bemerkbar macht.
Für Clumsy ist wenigstens das eine positive Nachricht, denn ihm geht es darum, Klimawandel und das ressourcenverschwendende Konsummodell in Bezug zu setzen. „Im Wald haben wir ein alternatives Lebensmodell gelebt. Unser Essen geteilt, Entscheidungen im Konsens getroffen und voneinander gelernt. Hier bin ich viel selbständiger, viel reflektierter geworden“, blickt der Klimaaktivist auf seine Zeit im Hambacher Forst zurück.
Am Samstag vergangener Woche wurde Clumsy wieder auf freien Fuß gesetzt. Er weiß aber noch nicht, ob die Waldbesetzung ein juristisches Nachspiel haben wird. Der Fall der jungen Australierin Samantha, die ein Richter des Amtsgerichts Kerpen wegen Trommelns zu neun Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt hatte, weil er darin einen Akt der psychologischen Unterstützer für Gewalttäter sah, hat Clumsys Vertrauen in den Rechtsstaat nicht gerade gefördert.
Weitermachen will er aber trotzdem. Er wird in den Wald zurückkehren und wieder von neuem beginnen, sofern er eine Chance dazu bekommt. „Entweder vor dem Rodungstermin oder danach. Selbst wenn vom Wald wie von RWE geplant hundert Hektar gerodet werden, ist ja noch etwas da“, erklärt der Umweltaktivist. Genau das werden die Ordnungskräfte zu verhindern versuchen. Doch schon die Absperrung des Waldes bis zum für den 14. Oktober erwarteten Urteilsspruch der Richter in Münster, könnte die Polizei vor personelle und rechtliche Probleme stellen. Der Konflikt um den Hambacher Forst wird also weitergehen.
Knut Henkel berichtet für die woxx meist aus Lateinamerika, doch in der vergangenen Woche hat er sich für uns in den Hambacher Forst aufgemacht.
Anmerkung der Redaktion:
Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns die Nachricht, dass während einer Räumungsaktion ein Journalist, der die Aktivist*innen seit längerer Zeit begleitet hat, im Hambacher Forst tödlich gestürzt ist. Wann und wie die Räumungen weitergehen, ist bis dato unklar.
RWE – vernetzt in der Region
Die RWE AG ist die größte deutsche Energieversorgerin. Das Unternehmen betreibt Tagebau an drei Standorten in der Region zwischen Köln und Aachen. Garzweiler, Inden und Hambach heißen sie und dort werden pro Jahr bis zu 100 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert – davon rund 40 Millionen Tonnen im Gebiet am Hambacher Forst. In mehreren Kraftwerksparks wird die Braunkohle, aufgrund der hohen Emissionen als dreckigster Energieträger der Welt deklariert, verstromt. Seit 1978 entsteht zwischen Bergheim und Jülich das „größte Loch Europas“: Auf einer Fläche von 85 Quadratkilometern dringen die Bagger am Standort Hambach in Tiefen von über 450 Metern vor, um die Kohle zu fördern. Bis 2040 soll laut den Planungen gefördert werden. Doch in Berlin tagt derzeit eine Kommission, die Vorschläge für einen frühzeitigeren Ausstieg aus der Kohle erarbeiten soll. Auch Kritiker und Betroffene sitzen mit am Tisch, so eine Vertreterin der Bürgerinitiative „Buirer für Buir“.