Ehe (1/2)
: Bis dass das Patriarchat 
uns scheidet

Es heiraten wieder mehr Menschen in Luxemburg. Zu den Gründen zählen neben Liebe auch gesellschaftlicher Druck und finanzielle Probleme. Von letzteren sind hauptsächlich Frauen betroffen.

(Foto: Pixabay)

Welche jahrtausendealte Tradition wird auch heute in Luxemburg noch immer gerne praktiziert, und zwar nicht etwa nur von tief religiösen, traditionsorientierten oder älteren Menschen? Noch ein Tipp: Sie wird, auf Wunsch von Paaren fortgesetzt, seit dem ersten Januar 2015 auch von gleichgeschlechtlichen. Die Rede ist natürlich von der Ehe. Zwar entscheiden sich laut Eurostat hierzulande nur noch halb so viele Menschen für eine Eheschließung als noch vor 55 Jahren, doch waren 2011 ganze 88,1 Prozent aller luxemburgischen Paare verheiratet. Bei den über 65-Jährigen Paaren waren es 97,9 Prozent, bei den 20- bis 24-Jährigen 45 Prozent.

Auch wenn der Heiratsmarkt nicht mehr ganz so boomt wie noch 1960, steigt die Zahl seit 2014 wieder. So heirateten laut einer Statec-Umfrage 400 Menschen mehr in 2015 als noch in dem Jahr davor. Von den 2.052 Eheschließungen erfolgten 139 zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren. Heiraten ist auch bei jungen Menschen immer noch beliebt. Aus einer Eurostat Statistik von 2013 geht hervor, dass Männer im Durchschnitt mit 32,7 und Frauen mit 29,7 Jahren zum ersten Mal heiraten.

Die Ehe im Wandel

Die Institution der Ehe selbst hat sich seit ihrer Entstehung stark verändert. Die Motive, sie einzugehen waren vor 400 Jahren andere als vor 150 Jahren, und damals wiederum andere als 1960 oder heute. Aufgrund steigender Scheidungsraten wird ihre Existenzberechtigung heutzutage stark in Frage gestellt.

Die hohe Zahl der Trennungen liegt wohl nicht zuletzt daran, dass sich viele in heutigen Zeiten bloß eine Freiheit, nämlich die, sich scheiden zu lassen, nehmen, die bis vor wenigen Jahrzehnten eine Mehrheit noch nicht hatte. Besonders Frauen gingen als Alleinstehende ein großes finanzielles Risiko ein. Im 21. Jahrhundert entscheiden sich in Westeuropa zwar wahrscheinlich nur die Allerwenigsten, allein aus ökonomischem Druck zu heiraten oder verheiratet zu bleiben. Dennoch spielen wirtschaftliche Gründe noch immer eine große Rolle: Als das deutsche Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung 2007 377 Ehepaare nach dem Grund ihres Heiratswunschs befragte, stellte sich heraus, dass Liebe selten das ausschlaggebende Motiv ist. Jedes dritte Paar nannte finanzielle Vorteile, für ein weiteres Drittel gehört die Heirat zum „normalen“ Partnerschaftsverlauf. Ein Kinderwunsch wurde nur von jedem zehnten Paar als Heiratsgrund angegeben.

Anders als heute hatte die Eheschließung ursprünglich wenig mit romantischer Liebe zu tun, sondern war ein rein ökonomisches und politisches Abkommen zwischen zwei Familien. Seit der Antike wurde sie beschlossen, um Wohlstand und Besitz sowie familiäre Arbeitskraft zu akkumulieren. Das galt für gesellschaftliche Eliten ebenso sehr wie in der Arbeiterklasse. Wenn auch bei letzteren in kleineren Dimensionen. Verheiratete Paare führten ihren Betrieb – wenn sie einen hatten – gemeinsam. Bei der Partnerwahl war es deshalb wichtig, nicht nur auf die Persönlichkeit zu achten, sondern auch auf Können, Ressourcen und Arbeitsgeräte. Die Eheschließung war Hauptquelle für die soziale, medizinische und finanzielle Absicherung. Auch wenn dies für beide Ehepartner galt, so waren Arbeit und Macht stets auch nach Geschlecht aufgeteilt. Die Autorität des Mannes über die Frau war vorweg gegeben. Diese musste für materielle Sicherheit auf jegliche Freiheiten verzichten – wozu auch das Recht auf Eigentum und die Verfügung über den eigenen Körper zählte.

Noch bis ins späte 18. Jahrhundert hinein wurde die Eheschließung in den meisten Kulturen als ökonomisch und politisch zu bedeutsam angesehen, um die Entscheidung zwei Individuen zu überlassen. Stattdessen hatten sowohl Verwandte und Nachbarn als auch Richter und Priester mitzureden. Heiraten aus Liebe galt als unvernünftig und wenig zuverlässig.

Erst im späten 18. Jahrhundert wurde in Nordamerika und Westeuropa die auf Liebe basierte Ehe aufgewertet. Gleichzeitig gewann die Vorstellung eines männlichen Alleinverdieners und einer sich um den Haushalt kümmernden Frau an Popularität. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte diese Entwicklung in den 1950er-Jahren, als es Familien erstmals möglich war, mit diesem Modell, das fortan zur Norm wurde, finanziell zu überleben. In dieser Zeit kam es noch zu einer zweiten großen Veränderung: es wurde nämlich nicht nur häufiger, sondern auch jünger geheiratet, als es zuvor üblich war.

Und heute?

Heute sind in Nordamerika und Westeuropa die meisten Frauen nicht mehr auf eine Eheschließung angewiesen, um finanziell überleben zu können. An Stelle der ökonomischen Absicherung ist stattdessen eine andere gerückt: die emotionale. Immer wieder wurde festgestellt, dass Heiraten für Frauen eine wesentliche Möglichkeit zur Stärkung des Selbstwertgefühls darstellt.

Für die Autorin bell hooks hängt das Bedürfnis, die Liebe für’s Leben zu finden, mit dem Aufwachsen in einer patriarchalen Gesellschaft zusammen. Frauen lernten von klein auf, ihr Selbstwertgefühl an den Bewertungen anderer festzumachen. „To know love we must be loved by others… our value, our worth… are always determined by someone else“, schreibt sie in ihrem Buch „Communion: the Female Search for Love“. Wenn manche Befragten in oben erwähnter Umfrage vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung also angaben, zu heiraten, weil es für sie dazugehöre, dann ist das auch in dem Sinne zu verstehen, dass Ehen das Selbstverständnis der jeweiligen Menschen wiederspiegelt: Die Trauung fühlt sich „normal“ an, weil sich die betroffenen Personen selbst dadurch „normaler“ fühlen.

Dass viele Frauen ihr Selbstwertgefühl an der Meinung anderer beziehungsweise der Erfüllung bestimmter Normen festmachen, ist zwar bedenklich, doch am Ende scheint es ein passabler Austausch zu sein. Frauen gehen eine Paarbeziehung ein, heiraten, und dafür fühlen sie sich dann wiederum geliebt und sind glücklich. Studien weisen allerdings auf das genaue Gegenteil hin. So sind verheiratete Männer im Schnitt glücklicher, gesünder und finanziell besser gestellt als unverheiratete. Bei Frauen konnte bisher kein Unterschied zwischen beiden Gruppen festgestellt werden. Zahlreiche Studien haben beispielsweise gezeigt, dass Frauen stärker unter ehelichen Konflikten leiden als Männer. Eine Begründung, die dafür angegeben wird, ist dass erstere sich unterlegener und abhängiger in Paarbeziehungen fühlen. Männer würden von ihren Ehefrauen zudem größere emotionale Unterstützung erhalten als umgekehrt.

Das hängt einerseits mit dem Ungleichgewicht zusammen, das von vorneherein in zweigeschlechtlichen Beziehungen vorherrscht: Ein Mann ist qua Geburt der dominantere. Die stärkere Belastung von Frauen manifestiert sich aber auch im gelebten Alltag. Laut Angaben vom Statec aus dem Jahr 2014 widmen Frauen vier Stunden am Tag der Hausarbeit und der Kindererziehung. Bei Männern ist es nur halb so viel Zeit. Frauen leisten selbst dann mehr Hausarbeit, wenn sie genauso viele Stunden einer Lohnarbeit nachgehen wie ihr Ehemann. Die Arbeit, die Frauen in einer Ehe leisten, geht allerdings weit über Hausarbeit und Kindererziehung hinaus. Meist sind sie es, die Familienurlaube oder Geburtstagspartys planen, sich um Verhütungsmittel kümmern, oder Kontakte mit Freund*innen und Verwandten managen.

Das hat weitreichende Folgen, sind doch gerade familiäre Verpflichtungen laut Eurostat der Hauptgrund, weshalb viele Frauen in Teilzeit arbeiten. Wer es tut, ist einem größeren Armutsrisiko ausgesetzt und somit stärker auf einen (Ehe-)Partner angewiesen. Laut einer Studie vom Psell aus dem Jahre 2013 ist in Luxemburg neben dem Jobverlust eine Trennung die Hauptursache für einen Abstieg in die Armut.

Besonders schwer haben es deshalb Alleinerziehende, in den meisten Fällen Frauen: Rund 45 Prozent von ihnen befinden sich in Luxemburg laut EU-SILC (The European Union Statistics on Income and Living Conditions) unter der Armutsgrenze. Zusätzlich verstärkt wird dies dadurch, dass sie hierzulande der ersten Steuerklasse angehören. Eine alleinerziehende Mutter, die 45.000 Euro im Jahr verdient, zahlt 7.143 Euro Steuern. Ein Paar mit dem gleichen Jahresgehalt, muss dagegen nur 2.899 Euro, also 2,5 mal weniger Steuern zahlen. Dies wurde von der Confédération Générale de la Fonction Publique (CGFP) ausgerechnet.

Die Ehe ist mittlerweile in Westeuropa kein rein ökonomisches und politisches Abkommen mehr. Auch der Mann als alleiniger Ernäher stellt längst kein kulturelles Ideal mehr dar. Doch selbst in Haushalten, in denen beide Ehepartner*innen einer Lohnarbeit nachgehen, hält die geschlechtliche Aufteilung häuslicher Arbeit an. Nicht zufällig ist bei Analysen von Institutionen, die Geschlechterverhältnisse maßgeblich strukturieren, neben Pornographie und Prostitution auch immer wieder von der Ehe die Rede. Auch in heutigen Zeiten werden Frauen stärker dem privaten, Männer dagegen dem öffentlichen Raum zugewiesen. Dass sich dies besonders in Paarbeziehungen beziehungsweise Ehen wiederspiegelt, liegt am Grundkonzept ersterer. Ob bewusst oder unbewusst, dient die Eheschließung der Sicherung damit einhergehender Privilegien.


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