Die EU-Kommission schlägt die Stärkung von Militärs in Krisenregionen als entwicklungs- politische Maßnahme vor. Luxemburg hat sich für diese Maßnahme eingesetzt. Anders als die Rechtsabteilungen von EU-Rat und Kommission sieht der zuständige Minister Romain Schneider in den Plänen keinen elementaren Widerspruch.
Thorsten Fuchshuber und Danièle Weber
Dass Entwicklungshilfe auch Schaden anrichten kann, ist ein alter Hut. Ein besonders schlimmes Beispiel lieferte Ruanda: Dort bereitete die Hutu-Regierung 1994 den Genozid an den Tutsi über den Radiosender RTLM mit vor. Der Sender war unter anderem durch deutsche und schweizerische Entwicklungshilfe finanziert. So etwas zu vermeiden ist natürlich im Sinne jeder Entwicklungspolitik. Als ihre Ziele werden in erster Linie „Armutsbekämpfung“, „humanitäre Unterstützung“ und „Nachhaltigkeit“ genannt. Militärhilfe wurde bisher allerdings kaum als entwicklungspolitische Hilfe deklariert.
Das scheint sich nun zu ändern. Ein Vorschlag der EU-Kommission vom Dienstag vergangener Woche definiert nachhaltige Entwicklung so, dass mit ihr auch die „effektive Unterstützung in allen Sicherheitsbereichen“ nicht näher präzisierter „Partnerländer“ zu fördern sei. Die EU schließt sich offenkundig einem entwicklungspolitischen Trend an, wie ihn die OSZE bereits im Februar vorgegeben hat. Deren neue Regelungen sehen vor, dass Entwicklungshilfe auch zur Unterstützung von Militär in Krisenregionen verwendet werden kann, sofern es sich dabei um als entwicklungspolitisch deklarierte Ziele wie die Aufklärung über Menschenrechte und die Prävention von sexueller Gewalt handle.
Der mit einer Gesetzesinitiative verbundene Vorschlag der EU-Kommission schließt nun ebenfalls die Förderung von Militär ausdrücklich in die Entwicklungshilfe ein. „Entwicklung und Sicherheit gehen Hand in Hand“, so Neven Mimica, der als EU-Kommissar für die Internationale Kooperation und Entwicklung zuständig ist: „Nachhaltige Entwicklung und Armutsbekämpfung erfordern Frieden und Sicherheit“.
Zur direkten Unterstützung der Militärs in sogenannten Krisenstaaten verfügt die EU jedoch momentan über kein Instrument. Das Budget der „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (GSVP) etwa darf nur für eigene Missionen, nicht jedoch für die „Akteure des Sicherheitssektors“ von „Partnerstaaten“ verwendet werden. Die Gesetzesinitiative der Kommission sieht daher vor, das sogenannte „Instrument für Stabilität und Frieden“ (IcSP) entsprechend umzudefinieren. Das mit 2,4 Milliarden dotierte IcSP ist im weiteren Sinne der Entwicklungshilfe zuzuordnen, bislang wurde daraus beispielweise die Gesundheitsfürsorge von Schwangeren und jungen Müttern in Syrien finanziert. Das IcSP dient laut der Statuten dem Zusammenhang von Sicherheit und Entwicklung und sieht die Arbeit in den Bereichen Krisenintervention, Konfliktprävention und die Reaktion auf verschiedene Bedrohungen vor. Es ist jedoch bislang ausdrücklich ein Mittel der zivilen Konfliktprävention und nicht der Förderung von militärischen Maßnahmen.
Der Vorstoß für eine entsprechende Erweiterung des Instruments kommt unter anderem aus Luxemburg. Gemeinsam mit neun anderen Ländern hatte das Großherzogtum in einer schriftlichen Intervention vom 15. April 2016 gefordert, die Effizienz des außenpolitischen Engagements der EU zu maximieren. Dazu sei es zentral, entwicklungs- und sicherheitspolitische Maßnahmen zusammenzuführen. „Um effiziente Entwicklungshilfe betreiben zu können, braucht man in den Gebieten, in denen man das tut, eine gewisse Sicherheit, die garantiert sein muss“, bekräftigt Entwicklungshilfeminister Romain Schneider Luxemburgs Haltung und lässt dabei offen, ob die Initiative von seinem oder dem Verteidigungsministerium ausging. „Wir haben das mit unterstützt, weil auch kurzfristig Notwendigkeiten entstehen könnten“, so Schneider gegenüber der woxx.
„Das Ganze steht in einem Kontext, in dem die Abschottung vor Flüchtlingen in immer mehr Politikfeldern eine zentrale Rolle spielt.“
„Kurzfristig“ halten die für das Papier verantwortlich zeichnenden Länder, zu denen neben Luxemburg noch Belgien, die Tschechische Republik, Finnland, Deutschland, Italien, Frankreich, die Niederlande, Portugal und Spanien zählen, eben jenes IcSP als für am besten geeignet, um die Unterstützung von auf Militär gerichtete Maßnahmen zu finanzieren, zu denen neben Ausbildung und Beratung auch Infrastrukturhilfe, Kriegswaffenbeseitigung sowie die Lieferung von Ausrüstung bis hin zu nicht-tödlichen Waffen zählen soll. Mittelfristig schlagen die Länder die Einrichtung eines neuen und flexiblen Instruments vor, das durch eine Umschichtung aus anderen Budgets finanziert werden soll.
Doch genau das ist für die politischen Kritiker des Kommissionsvorschlags bereits mit Blick auf das IcSP das Problem. Zwar weiß bislang niemand genau, woher die „kurzfristige“ Aufstockung des Instruments um 100 Millionen kommen soll. Innerhalb wie außerhalb des EU-Parlaments wird jedoch geargwöhnt, dass bereits dieses Geld aus Entwicklungshilfetöpfen fließen wird.
Serge Kollwelter, Koordinator der Arbeitsgruppe „Migration und Entwicklungshilfe“ beim „Cercle de coopération des ONG de développement de Luxembourg“ spart nicht mit Kritik, insbesondere an der Haltung Luxemburgs, das in seiner nationalen Politik Militär- und Entwicklungshilfe bisher klar auseinanderzuhalten weiß. „Man kann nicht einerseits stolz sein, dass in Luxemburg diese beiden Bereiche getrennt sind, um dann andererseits eine Vermischung auf EU-Ebene einzufordern.“ Die Trennung der Hilfen sei weiterhin gewährleistet sagt dazu Romain Schneider, bei den vorgeschlagenen Änderungen handle sich bloß um eine „kleine Öffnung“.
Kollwelter indes vermutet, dass diese Bestrebungen in Wirklichkeit auf die Eindämmung von Flüchtlings- und Migrationsbewegungen zielt. Tatsächlich heißt es in der Erläuterung zum Vorschlag der Kommission, die anvisierte Militärhilfe umfasse auch „Aktivitäten des Grenz- und Migrationsmanagements, sofern es sich bei der verantwortlichen Behörde um eine militärische“ handle – denn Polizeikräfte werden bereits jetzt in bestimmtem Maße unterstützt. „Das ist nicht im Begriff der Migrationskontrolle zu sehen“, sagt dagegen Romain Schneider.
Doch nicht nur von politischer Seite stößt das Vorhaben auf Kritik. Ernsthafte Bedenken formulierten auch die Rechtsabteilungen des Rats der Europäischen Union sowie der Kommission. In einer internen Mitteilung des Kommissions-Dienstes heißt es, eine Unterstützung militärischer Kapazitäten in Drittstaaten sei zwar nicht „per se“ ausgeschlossen. Möglich sei indes nur, was vorwiegend auf Entwicklungshilfe, nicht jedoch auf politische Einflussnahme abziele. Die Förderung militärischer Kapazitäten aus entwicklungs- sowie sicherheitspolitischen Motiven zugleich sei rechtlich nicht gedeckt, weshalb die angedachte Erweiterung des IcSP für die angestrebten Zwecke als nicht ausreichend bewertet wird.
Während sich die Kommission daher umso beharrlicher auf entwicklungspolitische Ziele beruft, ist die Stellungnahme der Rechtsabteilung des Rats noch nachdrücklicher formuliert: Auch dieser Dienst warnt vor einer zu großzügigen Auslegung der Rechtsvorschriften eines Instruments wie etwa des IcSP, die zu einem Rechtsbruch führen könne, weist jedoch zugleich auf den Vertrag von Lissabon hin, wonach Entwicklungspolitik „als Primärziel die Reduzierung und langfristig die Beseitigung von Armut“ habe. Hingegen erkenne der Vertrag an, dass „andere Maßnahmen Entwicklungshilfeziele zur Kenntnis nehmen sollten, ohne dabei jedoch selbst zur Entwicklungspolitik zu werden“. Nicht die Verwendung entwicklungspolitischer (Finanz-)Mittel für Militärpolitik, sondern umgekehrt die Nutzung militärischer Finanz- und sonstiger Mittel für entwicklungspolitische Ziele ist gemäß dieser Logik also anzustreben.
Zumindest Entwicklungshilfe- minister Schneider zeigt sich von den juristischen Gutachten nicht unbeeindruckt: „Es gibt einige Argumente, die Überzeugungskraft haben.“ Ungeachtet dessen hat die Kommission vergangene Woche zu erkennen gegeben, dass sie den bestehenden Interpretationsspielraum in ihrem Sinne nutzen wird. „Die Abschottung vor Flüchtlingen spielt in immer mehr Politikfeldern eine zentrale Rolle“, sagt Serge Kollwelter: „Es wird zwar die Stabilität und Sicherheit der Länder im Süden auch angeführt, hauptsächlich jedoch geht es darum, die EU vor Flüchtlingen zu schützen.“
Entwicklungshilfegelder werden europaweit auch zunehmend aufgewandt, um Flüchtlinge zu betreuen, wenn sie einmal da sind. Die Niederlande etwa haben im vergangenen Jahr 27 Prozent der geleisteten Entwicklungshilfe für die Flüchtlingsversorgung im eigenen Land verwendet, Schweden gar 30 Prozent, der anteilsmäßig größte Betrag an Entwicklungshilfe blieb daher im eigenen Land.
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