Fotoausstellung über Armut: Stille Leben

Die Realität der Armut entzieht sich weitgehend der öffentlichen Wahrnehmung. Die Fotografieausstellung „Les exclus du festin“ stellt sie in den Mittelpunkt und sensibilisiert über die steigende Prekarität im Land.

Die Ausstellung beleuchtet das Leben einiger von Armut und Prekarität betroffenen Personen in Luxemburg. (Copyright: María Elorza Saralegui/woxx)

In einem reichen Land wie Luxemburg arm zu sein, sei keine echte Armut. Dieses Vorurteil findet sich immer wieder in Alltagsgesprächen und politischen Aussagen wieder: Den Armen in Luxemburg könne es gar nicht so schlecht gehen. Denn das Großherzogtum sei reich, auch gebe es genügend soziale Strukturen, um bedürftige Personen zu unterstützen. Wie die Fotografieausstellung „Les exclus du festin“ (auf Deutsch: „Die vom Festmahl Ausgeschlossenen“) seit Mitte Oktober im Musée vun der Aarbecht in Tetingen zeigt, ist die Misere für Betroffene jedoch genauso real wie in anderen Ländern. „Wäre Armut erträglicher in der Nähe von Luxusgeschäften?“, heißt es rhetorisch in dem zur Ausstellung erschienenen Buch.

Für die von Prekarität bedrohten oder von Armut betroffenen Personen ist das sicherlich nicht der Fall. Laut Daten des Statec bestand bei mindestens 16,6 Prozent der Haushalte im Jahr 2021 ein Armutsrisiko. 115.980 Personen lebten im gleichen Jahr unterhalb der Schwelle der finanziellen Armut, also mit weniger als 2.177 Euro im Monat. Das Jahr davor war die Anzahl noch um 1,1 Prozent niedriger. 2023 stieg die Anzahl weiter: Mittlerweile lebt laut dem jüngsten Bericht des Statec rund jede fünfte Person in Luxemburg in Armut – so viele wie noch nie. 22,4 Prozent aller Haushalte haben mit finanziellen Problemen zu kämpfen.

Woran liegt die steigende Armut? Wer fällt in das breite Spektrum? Diesen Fragen gehen Fotograf Raymond Reuter und Autor Claude Frisoni in drei Werken nach. Anhand einer Fotoserie, eines Films und eines Buchs präsentieren die beiden die verschiedenen Facetten der Armut in Luxemburg. Die Werke spiegeln die Vielfalt der porträtierten Personen wider, die das Herzstück der Ausstellung bilden. Die Bilder wechseln zwischen Schwarz-Weiß- und Farbdarstellungen, die menschliche Präsenz ist oft nur angedeutet. Im Film geben die Betroffenen dann Einblicke in ihr Leben.

Gleich im Eingang der von der Chambre des salariés organisierten Ausstellung treffen Besucher*innen auf ein Bild von Jacques. Er steht allein auf einer Landstraße, deren Seiten von Bäumen gesäumt sind. In seiner Hand hält er eine Tüte, als wollte er verreisen, sein Blick richtet sich ruhig nach vorne. Ein würdevolles Porträt, dem mehr als ein Dutzend weitere Bilder folgen. Die Namen der Abgebildeten werden den Betrachter*innen jeweils im Buch verraten, dafür wird in einer Broschüre jedes Bild mit einem Satz ergänzt: Rhetorische Fragen („Können Sie sich vorstellen, was die tägliche Qual für eine Frau in ihrem Alter ausmacht?“), Zitate („Wenn man nichts als Liebe zu teilen hat“, von Jacques Brel), und empörte Deklarationen („Unsichtbarkeit ist kein Mythos!“) wechseln sich ab.

Versteckte Armut

Familien, Einzelgänger*innen, Mieter*innen, Eltern, Arbeitende und Arbeitslose, Prostituierte, Obdachlose und Menschen, die seit Jahrzehnten auf einem Campingplatz, in einem Park oder Container leben – den Besucher*innen werden Schicksale von Menschen nähergebracht, denen sie auf der Straße wahrscheinlich wenig Beachtung schenken würden. Einen Einblick in die einzelnen Geschichten der Porträtierten schenkt ein Film im gegenüberliegenden Raum. Die Ausstellung nuanciert dadurch eine oft abstrakte und einseitige Vorstellung von Armut und zeigt ihre verschiedenen Etappen: den Einkauf in einem Sozialkaufhaus, eine steigende Schuldenlast, die mit Krediten nicht länger zu beheben ist, eine unerwartete Entlassung, eine Inhaftierung und das Leben nach dem Gefängnisaufenthalt, die Diagnose einer chronischen Krankheit, das schlussendliche Verlieren einer festen Adresse. Letztere ist „die unterste Stufe der sozialen Unsichtbarkeit“, erklärt Claude Frisoni im Ausstellungsbuch. Eine „Nicht-Existenz“, denn ohne Adresse ist Arbeitssuche, Arztbesuch, Bankkontoeröffnung, schwierig oder gar unmöglich. Einem „Todesurteil“ entsprechen die akutesten Formen der Armut nicht unbedingt, doch sie seien „ein Verbot zu leben“.

Der Abstieg von einem „guten“ Leben in prekäre Verhältnisse und Armut kann erschreckend schnell erfolgen. Die Ausstellung beleuchtet die vielfältigen Ursachen dafür auf ganzheitliche Weise, wobei einige Aspekte nur implizit behandelt werden. Allen voran stehen die Wohnungskrise, die teure Gesundheitsversorgung und geschlechtsspezifische sowie rassistische Gewalt und Diskrimination. Sozialwohnungen etwa machen laut dem Ausstellungsbuch knapp zwei Prozent des Markts aus. Es trifft Personen wie Marie, die von ihrem gewalttätigen Partner auf die Straße gesetzt worden ist (seit drei Jahren wartet sie auf ein Urteil nach ihrer Klage), oder Nicole, der die Agence pour le développement de l’emploi (Adem) fälschlicherweise zu viel Geld auszahlte und die nun nicht bloß mit einer Krebserkrankung zu kämpfen hat, sondern jeden Monat 500 Euro an die Adem zurückzahlen muss. Andere erzählen, wie sie knapp 1.700 Euro im Monat verdienen, von denen 1.200 allein für die Miete ausgegeben werden. Auf dem Bild einer Familie, die in einem Park lebt, ragen im Hintergrund die Glasfassaden der Banque internationale à Luxembourg (Bil) in den Himmel.

„Provokationsgesellschaft“

(Copyright: María Elorza Saralegui/woxx)

Inwiefern Soziales, Finanzielles, Gesundheitliches und Rechtliches miteinander vernetzt sind, erläutern auch die Akteur*innen und Arbeiter*innen des sozialen Bereichs. Ihre Interviews wechseln sich mit jenen der Betroffenen ab. Nur einen Aspekt davon anzugehen, sei keine langfristige Lösung, erklärt die Direktorin der NGO „Stëmm vun der Strooss“, Alexandra Oxacelay. Beispielsweise sei es gut, einer Arbeit nachzugehen, doch wenn Nachtschichten dazugehörten und die Wohnung weit weg sei, bereite der Transport Probleme und die mentale und körperliche Gesundheit sei schnell gefährdet. Oder wenn das Problem Wohnungsnot gelöst werde, doch die betroffene Person nicht genug Geld habe, um die Kosten einer präventiven medizinischen Versorgung zu übernehmen. Dann steige erneut das Gesundheitsrisiko und damit auch die Wahrscheinlichkeit, sowohl die Wohnung als auch die Arbeit zu verlieren. Denn im Gegensatz zu den Nachbarländern sei das Recht auf Gesundheit hierzulande nicht unabhängig von Vermögen und Einkommen, wie der Präsident von Médecins du Monde, Bernard Thill, bemängelt. Viele der Personen, die die NGO pflegt, hätten mit extremen Gesundheitsschäden zu kämpfen, weil eine präventive Versorgung nicht stattgefunden habe. „Dies ist doch nicht normal in einem reichen Land“, so Thill im Interview. So fordern alle in der Ausstellung vorkommenden sozialen Akteur*innen und Mitarbeiter*innen bezahlbaren Wohnraum und die Fertigstellung von Wohnungen, deren Bau eingefroren wurde, ein barrierefreies Recht auf Gesundheit, die Vereinfachung der administrativen Verfahren sowie eine bessere Begleitung auf dem Weg zur Reintegration – alles Maßnahmen, die weit entfernt von der Strategie kurzfristiger Notlösungen, wie temporäre Unterkünfte, sind. „Was wir jetzt tun, ist das Elend verstecken. Wir verhindern, dass die Leute sterben, doch verhelfen nur zum bloßen Überleben“, zitiert Frisoni die Direktorin Oxacelay.

Während sich Luxemburgs Überflussgesellschaft ökonomisch weiter ausbreitet, wird Bedürftigen ein würdiges Leben verweigert. Dies, gekoppelt mit einem gleichzeitigen Fokus auf „einen exhibitionistischen Konsum“, bezeichnet Romain Gary im Ausstellungsbuch als „Provokationsgesellschaft“. Zu eben dieser provokativen und „frustrierenden“ Haltung bietet die bewegende Fotografieausstellung ein wirkungsvolles Gegengewicht, indem sie Fakten präsentiert und die harte Realität des Lebens auf der Straße sowie in gesundheitsgefährdenden Wohnungen eindrucksvoll dokumentiert. Dem stillen Leiden der Porträtierten geben die Bilder respektvoll Platz. „Les exclus du festin“ wirft einen kritischen und umfangreichen Blick auf die Armutssituation in Luxemburg und zeigt dabei auch: Ein Wiederaufbau des Lebens sowie gesellschaftliche Integration dank sozialer, politischer und finanziell struktureller Unterstützung sind möglich.

„Les exclus du festin : La pauvreté au Luxembourg‟, Musée vun der Aarbecht/Schungfabrik (14, rue Pierre Schiltz L-3786 Tétange). Bis zum 5. Januar 2025. Mehr Info auf: www.muar.lu/agenda

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