Die Rapperin Rebeca Lane setzt sich in ihren Songs für ein Ende der Straflosigkeit und gegen die patriarchalen Strukturen in Guatemala ein. Als bekannteste Vertreterin des musikalischen Genres in Mittelamerika sorgt sie damit für einigen Wirbel.
Nur einen Steinwurf vom Wahlgerichtshof, wo derzeit die Vorbereitungen für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Juni laufen, wohnt Rebeca Lane. In ihrem Apartment in der „Zona Una“, dem historischen Stadtkern von Guatemala City, empfängt die Frau mit den frisch blondierten halblangen Locken ihre Besucher.
„Hier können wir in Ruhe sprechen. Nachher im Studio wird es zu laut“, erklärt sie und gibt den Weg in die Wohnung frei, die sie mit ihrem Freund bewohnt. Drei Zimmer teilen sich die beiden mit ihren zwei Katzen. Auf dem Esstisch vor dem Küchentresen steht ein Laptop. Rebeca Lane hat gerade ihren Facebook-Auftritt gefüttert. Werbung für das kleine Online-Konzert, welches heute Abend noch ansteht. Und sie hat sich informiert, was es Neues über den Marsch der Migranten gibt, der sich gerade durch Mexiko in Richtung USA bewegt.
Auswandern ist auch für die 33-jährige Musikerin und Soziologin eine Option. „Die Regierung von Jimmy Morales ist die schlimmste der vergangenen 50 Jahre“, sagt Lane über die Politik des seit Januar 2016 im Amt befindlichen rechtskonservativen ex-Komikers und Evangelikalen. „Hier werde alle Fortschritte der letzten Jahre zunichte gemacht, von einem Bündnis aus Militärs, Kirche und erzkonservativen Unternehmern, die den Präsidenten nach ihrer Pfeife tanzen lassen“.
Für Frauen ist das Leben in dem mittelamerikanischen Land in den letzten zwei, drei Jahren immer riskanter geworden. Es gibt immer mehr brutale Morde, „feminicidos“ genannt, auch die Zahl an Vergewaltigungen nimmt zu. Hinzu kommt die jüngste Gesetzesinitiative der Regierung. „Die wird von der katholischen Kirche und den evangelikalen Freikirchen unterstützt, die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften verbieten wollen und die traditionelle Familie zum einzig legitimen Modell erklären. Der Gesetzestext hat bereits zwei von drei Lesungen durchlaufen, obwohl er der Verfassung widerspricht“, kritisiert Rebeca Lane.
Dazu passt die Tatsache, dass sich Präsident Morales über ein Urteil des Verfassungsgerichts hinweggesetzt hat und sich standhaft weigert, den Vorsitzenden der UN-Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG), Iván Velásquez, nach Guatemala einreisen zu lassen. Die Kommission, die aus rund 170 Ermittler*innen, Kriminalexpert*innen und Jurist*innen besteht, ist seit 2007 im Einsatz und hat den Auftrag, das Justizsystem zu stärken sowie gegen organisierte Kriminalität und Korruption vorzugehen.
Das machen die UN-Ermitt- ler*innen aber so gut, dass auch gegen den Präsidenten und seine Partei, die Front zur nationalen Versöhnung (FCN) wegen illegaler Wahlkampffinanzierung ein Verfahren läuft. Auch aus diesem Grund muss Kommissionschef Iván Velásquez daher seit Anfang September seine Arbeit von New York aus verrichten.
„Última Dosis“ heißt das Rap-Netzwerk, dessen Logo eine gefüllte Spritze zeigt, das Lane bei ihren ersten Gehversuchen in der Rap-Szene unter die Arme griff. Im Studio dazugehörigen Studio wurden 2012 ihre ersten Gedichte vertont und in einer Radiosendung präsentiert. Ein Karrieresprungbrett für Rebeca Eunice Vargas Tamayac, wie Lane mit bürgerlichem Namen heißt, die Soziologie studiert und mit Jugendlichen Theater, Hip-Hop- und Graffiti-Projekte gemacht hat, bevor der musikalische Erfolg begann.
Im Jahr 2013 präsentierte sie mit „Cumbia de la Memoria“ eine scheppernde Hip-Hop-Hymne gegen das Vergessen und die Straflosigkeit in Bezug auf den von 1960 bis 1996 währenden Bürgerkrieg. Dass der Song den Völkermord an der indigenen Ethnie der Maya-Ixil genauso anprangert wie die Militärdiktatur unter Efraín Ríos Montt und die Machtstrukturen dahinter, war der Sängerin ein persönliches Bedürfnis. „Dieses Stück hat viel mit meiner persönlichen Geschichte zu tun, denn meine Tante Rebeca wurde von den Militärs verschleppt und ist bis heute nicht wieder aufgetaucht“, erzählt die aus einer Mittelklassefamilie stammende Querdenkerin.
„In Guatemala ist sie eine Ikone der Frauenbewegung.“
Zwölf Jahr alt war sie, als am 29. Dezember 1996 das Friedensabkommen in Guatemala unterzeichnet wurde und ihre Oma zu weinen begann. Allmählich hat Rebeca dann die Wahrheit über die vorausgegangenen Ereignisse erfahren. Davor war in ihrer Familie nie über das Verschwinden ihrer Tante gesprochen worden. „So war es in vielen Familien.“ Für sich ist es ihr gelungen, dieses Schweigen aufzubrechen, in ihrer Familie und mit ihren Songs.
Doch auch anderen gelingt dies, wie Dokumentarfilme, Bücher und die steigenden Zahlen von Familien zeigen, die nach Antworten suchen. Die Regierung jedoch hat an solcher Neugier kein Interesse, denn im Hintergrund agiert eine Riege alter Militärs, die persönlich für die damaligen Ereignisse mitverantwortlich sind. „Sie drehen die Uhr zurück, setzen Urteile nicht um, torpedieren die Arbeit der Justiz und agitieren gegen Andersdenkende“, kritisiert Lane, die von einer Remilitarisierung des Landes spricht. Darunter hat auch die unbequeme Kulturszene des Landes zu leiden. Morde auf offener Straße hat es in den letzten Monaten gegeben, auch mitten im Zentrum der Hauptstadt, wo die Rapper*innen sich in einem Park zum Breakdance treffen.
Unter dem Deckmantel der Bekämpfung von kriminellen Jugendbanden, Maras genannt, sind die Militärs in Stadtvierteln mit erhöhtem Kriminalitätsaufkommen, Zonas Rojas genannt, zunehmend präsent. Unterdrücken und kriminalisieren laute das einzige Rezept, so Lane, anstatt der Jugendarbeitslosigkeit, der einseitigen Verteilung von Ressourcen und der gesellschaftlichen Ungleichheit endlich mit ernstzunehmenden Maßnahmen zu begegnen.
Lane möchte mit ihrer Kunst ebenfalls einen Beitrag leisten, um den Jugendlichen einen Ausweg aus der Misere zu bieten. „Hip-Hop rettet Leben, denn Musik, Poesie, Theater sowie Malerei haben eine Integrationskraft, sorgen für positive Vibes und können verhindern, dass Jugendliche in Straßenbanden und organisierte Kriminalität abdriften“, so die Sängerin.
Poesie ist nach wie vor der Ursprung ihrer Songs, die nicht alle von harten Raps oder scheppernder Cumbia dominiert sind. Immer öfter sind es auch Balladen, mit denen sie Missstände anprangert oder für den Schutz der Natur kämpft, wie in „Donde están“.
Ihr letztes Album „Obsidiana“ klingt deutlich melodischer als die vorausgegangenen Platten. Seitdem hat sie bei einer Sopranistin Gesangsunterricht genommen und die „Marimba“, ein in Guatemala populäres hölzernes Xylophon, in ihren Sound integriert. Auch hat sie zeitgleich mit mehreren Produzenten zusammengearbeitet. So ist sie vielfältiger geworden und das hat ihr neue Fans eingebracht.
„In Guatemala ist sie eine Ikone der Frauenbewegung“, sagt Luz Méndez, die Vorsitzende der Frauenvereinigung Guatemalas, über Rebeca Lane. „Intelligente Texte, Musik, die mehrere Generationen erreicht und unglaublich engagiert ist sie“, lobt die Frauenrechtlerin. Doch während Lane auch in Europa inzwischen einige Achtungserfolge erzielen konnte, wird es in Guatemala immer schwerer, Auftritte zu organisieren. „Hier werden die Räume immer kleiner. Das Kulturministerium hat an uns kein Interesse und alternative Kulturzentrum gibt es kaum“, schildert die Rapperin das zentrale Problem.
Daher ist sie heute im Studio von ihrem Produzenten Basico 3 verabredet, um dort ein paar Stücke von der neuen CD live vorzustellen und via Facebook, Instagram und Co. zu streamen. „Irgendwie müssen wir die Leute doch erreichen“, sagt sie schulterzuckend und packt ihr Laptop ein, um sich auf den Weg zu machen. Zwei, drei Monate braucht sie, um in Guatemala ein Konzert vorzubereiten.
Im Nachbarland Mexiko, wo sie nächste Woche mit zwei befreundeten Hip-Hopper*innen unterwegs sein wird, geht das deutlich einfacher. Ein weiterer Grund, weshalb sie darüber nachdenkt, Guatemala den Rücken zu kehren. „Das Problem ist, dass es hier keine Perspektiven gibt. Die Clique um Jimmy Morales hat das ganze Land übernommen und Besserung ist vorerst nicht in Sicht“, sagt sie und schließt die Haustür ab. Dann geht sie die Straße am Wahlgerichtshof hinunter und verschwindet inmitten der Passant*innen, die in der Dämmerung auf dem Weg nach Hause sind.