I’m a Virgo: Seichte Kapitalismuskritik

Nach seinem Erstlingserfolg „Sorry to Bother You“ liefert der US-amerikanische Filmemacher, Musiker und Aktivist Boots Riley mit „I’m a Virgo“ seine erste Serie. Visuell weiß sie zu überzeugen, inhaltlich leider weniger.

Wo er auch hingeht: Kootie ist nicht zu übersehen. (Prime)

An einer Stelle von „I’m a Virgo“ hält eine der Hauptfiguren eine kämpferische Rede über Kapitalismus. Sie spricht über Profitstreben, über die Ausbeutung von Arbeitskräften, die Privatisierung des Gesundheitswesens, die explodierenden Wohnpreise. Dann kommt sie zu ihrem eigentlichen Punkt: der Macht der Arbeiter*innenklasse gegenüber Großunternehmen. „We give them the choice: Cede to our demands and make less profit, or we shut down and you make no profit.“ In anderen Worten: Sie droht mit einem Generalstreik.

Für den 19-jährigen Kootie (Jharrel Jerome), der bis dahin über keinerlei Klassenbewusstsein verfügte, handelt es sich um einen entscheidenden Moment. Nicht nur, dass er bis dahin noch nie über Kapitalismus nachgedacht hatte: Als leidenschaftlicher Comic-Buch-Fan neigt er dazu, im Alleingang handelnde Heldenfiguren zu idealisieren. Jones’ (Kara Young) Rede stellt plötzlich seine Weltsicht auf den Kopf.

Wie der Macher von „I’m a Virgo“, Boots Riley, in rezenten Interviews immer wieder verdeutlicht hat, ist er sich dem Widerspruch, dass seine Serie ausgerechnet auf Amazon Prime läuft, durchaus bewusst. Der Zeitschrift Variety gegenüber wehrt er sich gegen die Ansicht, es gäbe Streamingdienste, die weniger schlimm seien. „That’s the corporate anti-capitalism that’s sold to us, that there’s companies that are better“, argumentierte er im Juni in einem Interview. Es gibt kein richtiges Leben im falschen, scheint Riley damit zum Ausdruck bringen zu wollen.

Paradoxe Wechselwirkung

An „I’m a Virgo“ wird beispielhaft deutlich, inwiefern Kapitalismus und Kapitalismuskritik sich gegenseitig füttern: Mit Rileys neustem Werk lockt Amazon potenziell neue Abonnent*innen an. Gleichzeitig erhält die Serie durch den Streaming-
riesen eine enorme Reichweite. Es passiert das, was der britische Kulturwissenschaftler Mark Fisher in seinem Buch „Capitalist Realism“ beschreibt: Anti-kapitalistische Ideen können bequem vom Sofa aus konsumiert werden, ohne dass das System Schaden nimmt – ganz im Gegenteil.

Dem selbsterklärten Kommunisten Riley liegt es fern, sich von dieser Wechselwirkung einschüchtern zu lassen. Variety gegenüber erklärte er selbstbewusst, seine Werke trügen dazu bei, Streiks wie aktuell derjenige der Writers Guild of America (WGA) und der Screen Actors Guild – American Federation of Television and Radio Artists (SAG-AFTRA) anzustiften. Auch schon sein 2018 erschienener Film „Sorry to Bother You“ handelte von den Schrecken des Kapitalismus. Im Zentrum steht Cassius Green, dessen Wunsch nach einer sozialistischen Revolution in dem Moment verstummt, als er befördert wird.

Nutzte Riley damals surrealistische Elemente punktuell, um den absurden Charakter der neoliberalen Ideologie zu visualisieren, so bringt er das Stilmittel in „I’m a Virgo“ auf eine neue Ebene. Das fängt schon beim Protagonisten an. Der anfangs erwähnte Kootie ist mit seinen fast vier Metern Körpergröße nämlich alles andere als ein durchschnittlicher Teenager. Aus Sorge um seine Sicherheit haben ihm seine Adoptiveltern LaFrancine (Carmen Ejojo) und Martisse (Mike Epps) bisher verboten, die Wohnung zu verlassen. Abenteuerlustig wie er ist, widersetzt Kootie sich ihnen jedoch eines Tages und schließt innerhalb kürzester Zeit enge Freundschaften – unter anderem auch mit Jones. Diese Gleichaltrigen sind zwar wesentlich kleiner als er, was sie jedoch verbindet, ist das Gefühl Außenseiter*innen zu sein.

Kooties Entdecken der Stadt Oak-
land und der Gesellschaft, in der er lebt, werden in „I’m a Virgo“ mit satten Farben und originellem Sounddesign wiedergegeben. Surrealistische Elemente tauchen dabei immer wieder auf. Etwa die im Fast-Food-Restaurant Big Bang Burgers arbeitende und sich übernatürlich schnell bewegende Flora (Olivia Washington), in die sich Kootie prompt verliebt. Die wohl unvergesslichste Sexszene der Seriengeschichte ist die Folge.

Es ist denn auch lediglich die visuelle Ästhetik, die „I’m a Virgo“ zu einem besonderen Seherlebnis macht. Inhaltlich weiß diese aus sieben Folgen bestehende erste Staffel nämlich leider nicht zu überzeugen. Themen wie Rassismus, Polizeigewalt und Neoliberalismus werden lediglich plakativ angeschnitten, ohne aber vertieft zu werden. Gleichzeitig wird die Handlung von Folge zu Folge chaotischer und verwirrender.

Wem Rileys Stil und thematische Schwerpunktsetzungen gefallen, jedoch nach einem kohärenteren Drehbuch zumute ist, kommt mit „Sorry to Bother You“ aber wohl eher nicht auf seine*ihre Kosten.

Auf Amazon Prime

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