Im Kino: To Leslie

„To Leslie“ ist ein mittelmäßiger Film, der dennoch in die Geschichte eingehen könnte.

In „To Leslie“ verschmilzt Andrea Riseborough geradezu mit ihrer Rolle. (Bild: Momentum Pictures)

Als die Oscar-Akademie am 27. Januar ankündigte, die diesjährigen Nominierungen auf Verstöße gegen Lobby-Regeln untersuchen zu wollen, hörten viele den Filmtitel „To Leslie“ wohl zum ersten Mal. Zwar hatte die Akademie in ihrer Ankündigung keinen Namen genannt, in der Filmbranche gab es jedoch keinen Zweifel darüber, welcher Nominierung die Überprüfung galt: Andrea Riseborough, Hauptdarstellerin in oben genanntem Film.

Zu diesem Zeitpunkt hatte „To Leslie“ seit seiner Premiere im März 2022 zwar viel positive Kritik aus der Medienwelt geerntet, an den Kinokassen hinterließ das aber kaum Spuren: Weniger als 30.000 Dollar hatte der Film bis Februar diesen Jahres eingespielt. Auch bei vorangegangenen Preisverleihungen, von denen manche als Vorboten für die Oscars gelten, ging „To Leslie“ beziehungsweise dessen Hauptdarstellerin stets leer aus.

Dass „To Leslie“ floppte, verwundert nicht wirklich. Der Film handelt von einer Frau, die in jungen Jahren als alleinerziehende Mutter 190.000 Dollar in der Lotterie gewann. Sechs Jahre später bleibt der mittlerweile Alkoholkranken kein Cent ihres Gewinns. Sie ist arbeitslos und auch zu ihrem Sohn (Owen Teague) hat sie kaum noch Kontakt. „To Leslie“ gibt einen ungeschönten Einblick in die prekäre Lebensrealität dieser Frau, vermag es jedoch kaum der Thematik frischen Wind einzuhauchen. Auch wenn der Film handwerklich gut gemacht ist, so pendelt er stets unangenehm zwischen sogenanntem „Tragedy porn“ und kitschigem Drama. Das Team vor als auch hinter der Kamera ist zudem eher unbekannt, mit Ausnahme der Schauspieler*innen Marc Maron und Allison Janney. Nur Riseboroughs Talent macht die Schwächen des Drehbuchs wett: Egal ob Leslie betrunken ist oder nicht, manipulativ oder aufrichtig – stets kauft man ihr die Rolle zu hundert Prozent ab.

Talent reicht nicht

Um in Hollywood auf nennenswerte Weise berücksichtigt zu werden reicht es allerdings bekanntlich nicht, talentiert zu sein. Low-Budget Produktionen wie „To Leslie“ werden schon allein deshalb selten von der Oscar-Akademie in Betracht gezogen, weil ihnen das nötige Geld für entsprechende Kampagnen fehlt. Zwar legt die Akademie offiziell Wert darauf, dass die Oscar-Abstimmungen einzig und allein auf künstlerischen und technischen Verdiensten beruhen. Tatsache ist jedoch, dass die Produktionsfirmen Schätzungen zufolge zwischen drei und fünfzehn Millionen investieren müssen, um überhaupt die Aufmerksamkeit der Akademie-Mitglieder auf sich zu ziehen. Zudem kostet es 20.000 Dollar, nur damit die Akademie den Oscar-Wähler*innen einen Film auf ihrer Homepage zum Stream zur Verfügung stellt. Die hohen Kosten führen dazu, dass jährlich fast ausschließlich Filme großer Produktionsfirmen für einen Oscar nominiert werden.

Was zweifelsohne das Misstrauen der Akademie im Zuge von Andrea Riseboroughs Nominierung weckte, waren die zahlreichen Hollywood-Stars, die zu Beginn des Jahres auf Events und auf Social Media für die Schauspielerin warben. Das Auffällige daran: Die meisten von ihnen griffen dabei auf die gleiche Wortwahl zurück, die meisten Tweets dieser Art begannen mit „#tolesliemovie is a small film with a giant heart. @andreariseborough gives the performance of the year (…)“. Statt einer teuren Kampagne, schien die Produktionsfirma hinter „To Leslie“ also auf Mundpropaganda gesetzt zu haben.

Was gut gemeint, aber schlecht umgesetzt wirkte, zahlte sich am Ende aus: Die bis dahin eher unbekannte Schauspielerin wurde als beste Hauptdarstellerin nominiert. Die Frage, die sich jedoch stellte: Hatte das Team, das hinter „To Leslie“ steckte, zu diesem Zweck die Regeln der Oscar-Akademie gebrochen? Nein, befand das zuständige Gremium in ihrem Audit. Zwar hatte die Produktionsfirma Stars wie Gwyneth Paltrow, Jennifer Anniston und Charlize Theron um Unterstützung gebeten, dabei hielten sie sich jedoch an die geltenden Regeln.

Am Ende grenzt das Misstrauen gegenüber des Teams von „To Leslie“ an Doppelmoral: Es ist klar, dass der künstlerische Wert einer Produktion bei Preisverleihungen wie den Oscars eine untergeordnete Rolle spielt; eine gute Vermarktung und Beziehungen zu einflussreichen Figuren der Filmszene fallen weitaus stärker ins Gewicht. Ausgerechnet eine Indie-Produktion für eine entsprechende Werbestrategie an den Pranger zu stellen, scheint deshalb hypokritisch.

Um für einen Oscar in einer der Hauptkategorien in Erwägung gezogen zu werden, braucht es entweder Macht oder zumindest Beziehungen zu den Mächtigen. Der Fall „To Leslie“ illustriert, wie viel ein paar Dutzend weiße Hollywood-Stars bewirken können.

Auch wenn Riseborough keinen Oscar gewann, so bescherten die Debatten um ihre Nominierung dem Film sicherlich einen Bekanntheitsgrad, den er sonst nie erreicht hätte. Diese Aufmerksamkeit wäre einem Film wie „The Woman King“ zwar weitaus mehr vergönnt gewesen – Schauspielerin Viola Davis galt als Frontrunnerin für eine Oscar-Nominierung, ging jedoch leer aus –, doch immerhin ist die beachtliche Leistung von Riseborough ein kleiner Trost.

Im Utopia. Alle Uhrzeiten finden Sie hier.

Bewertung der woxx : X


Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged , , , .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.