Im Stream: Dreck unter dem Swoosh

Der kanadische Filmemacher Paul Kemp schaut in seiner Doku „Das System Nike – Siegen um jeden Preis“ hinter die Kulissen des gewissenlosen Sportartikelherstellers Nike. Anlass ist die Sperre seines Aushängeschilds Alberto Salazar.

Der Nike-Coach Alberto Salazar kann trotz Dopingskandal und Missbrauchsvorwürfen auf Rückhalt der Marke mit dem Swoosh-Symbol vertrauen.
Paul Kemp erklärt, warum. (COPYRIGHT: Arte)

2019 wurde Alberto Salazar nach mehrjährigen Ermittlungen von der amerikanischen Anti-Doping Agentur (USADA) für vier Jahre gesperrt.

Die Vorwürfe: Handel mit Testosteron, Injektion verbotener Mengen an L-Caritin und der Versuch, Dopingkontrollen zu manipulieren. Salazars Athlet*innen wurden allerdings nie positiv getestet. Der Coach erhob Einspruch. Er wurde zuletzt im November 2020 verhört. Nike stellt sich hinter ihn und unterstützt ihn mit Beiträgen in Millionenhöhe. Paul Kemp geht in seiner Doku von diesem Skandal aus, um Salazars und Nikes gemeinsame Geschichte nachzuerzählen.

Salazar stand in den 1980er-Jahren auf dem Höhepunkt seiner Karriere und trug damals schon Nike. Er galt durch seine extremen Trainingsmethoden und seinen Siegeswillen als Sinnbild des Konzernmottos „Just Do It“. Seine auffällige Haltung zu Gewicht – aus Angst zuzunehmen, trank er bei einem Wüstenmarathon bis zur Ziellinie nichts – hinterfragte Nike scheinbar nicht.

Der Hersteller kürte ihn in den 2000er-Jahren zum Cheftrainer seines neuen Nike Oregon Project. Das Projekt war eine Antwort auf die nachlassenden Erfolge der amerikanischen Langstreckenläufer*innen. Salazar und sein Team sollten mit allen Mitteln das Beste aus aufstrebenden Athlet*innen herausholen. Paul Kemp offenbart durch Einzelinterviews mit Expert*innen und Salazars ehemaliger Athletin Kara Goucher sowie durch Archivmaterial des Programms, wie das angegangen wurde.

Während Salazar versuchte mit harten Trainingsplänen und der Verabreichung fragwürdiger Medikamente die Leistungen seiner Sportler*innen zu maximieren, arbeitete Nike am Ausbau seines Imperiums und verschaffte eigenen Athlet*innen technische Vorteile. Dafür geriet der Konzern 2016 in die Kritik: Bei den Olympischen Spielen in Rio traten die Nike-Athlet*innen mit einem Prototyp des Schuhs Vaporfly an, der durch seine Sohle die Schnelligkeit steigern soll.

Erst 2020 veröffentlichte der Sportverband World Athletics eine neue Richtlinie zum Thema. Einen Tag vor der offiziellen Vorstellung des Vaporflys legte er fest, dass die Sohle von Wettbewerbsschuhen bis zu 40 mm dick sein darf. Nikes Vaporfly misst 39,5 mm. Die Experten in der Doku zweifeln daran, dass es sich hierbei um einen puren Zufall handelt. Das Wort Korruption nimmt aber niemand in den Mund. Die Tatsache, dass Nike bei den anschließenden Olympic Trials allen Athlet*innen ein kostenloses Paar Vaporflys zu Verfügung stellte, wird als Marketingtrick abgetan. 70 Prozent der Sportler*innen nahmen das Angebot an.

Weder Kemp noch die Expert*innen bringen diesen Vorfall mit anderen Skandalen in Verbindung, die dem Konzern anhaften, wie etwa Kinderarbeit und schlechte Arbeitsbedingungen in den Produktionsstätten. Eine Verknüpfung hätte gezeigt, welchen Preis Nike bereit ist für seine kapitalistische Gier zu bezahlen. Genauso wie Nike bereit ist, einen Coach zu stärken, dem neben der Doping-Geschichte auch psychischer Missbrauch und Bodyshaming von Minderjährigen vorgeworfen wird.

Das Schicksal der Läuferin Mary Cain wird in der Doku von Dritten erzählt. Sie lehnte einen Auftritt im Film ab. 2019 beschuldigte sie ihren Ex-Trainer, sie im Alter von 16 Jahren zur Einnahme der Anti-Babypille und anderer Medikamente genötigt zu haben. Sie teilte ihre Suizidgedanken mit ihm, die er nicht ernst nahm. Stattdessen soll er nach Niederlagen öffentlich ihre Gewichtszunahme kritisiert haben.

Die vorwiegend männlichen Experten reden Salazars Verhalten in der Doku größtenteils schön, bewundern ihn für seine Ideen und sein Durchhaltevermögen. Er sei eben keine Elternfigur, sondern ein verrückter Wissenschaftler. Wer mit ihm arbeite, wisse, worauf sie oder er sich einlasse. Paul Kemp lässt das so stehen und gibt am Ende der Doku sogar zu: Hätte er je die Möglichkeit gehabt, am Nike Oregon Project teilzunehmen, hätte er zugesagt. Ein merkwürdiger Abschluss für einen Film, der aufdeckt, wie viel Dreck der Konzern vermutlich am Stecken hat.

Bis zum 19. August in der Arte-Mediathek.

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