Im Stream: The Underground Railroad

Geschichts-, Fantasy-, Actionfilm und Charakterstudie zugleich, erzählt „The Underground Railroad“ handwerklich einwandfrei von der Unterdrückung Schwarzer Menschen in den USA.

Während fast zehn Stunden begleiten wir die unermüdliche Cora auf ihrem Leidensweg. (Foto: Kyle Kaplan/Amazon Studios)

Zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert gelang in den Vereinigten Staaten Tausenden von Sklav*innen die Flucht von den Plantagen, auf denen sie gefangen gehalten und ausgebeutet wurden. Manche von ihnen wurden gleich wieder geschnappt, manche kehrten nach einiger Zeit demoralisiert zu ihren Sklavenhalter*innen zurück: In freier Natur zu überleben, hatte sich für sie als schier unmöglich herausgestellt. Doch für manche verlief die Flucht erfolgreich. Sie konnten bei der indigenen Bevölkerung unterkommen, oder sie schlossen sich zu Gemeinschaften, sogenannten Marronagen, zusammen. Es waren solche Dörfer, die die Basis dessen bildeten, was als Underground Railroad bezeichnet wird: Ein Netzwerk aus Gegner*innen der Sklaverei – darunter auch Weiße –, das im Jahr 1780 gegründet wurde. Allein im 19. Jahrhundert konnten so rund 100.000 ehemalige Skav*innen in die Nordstaaten oder nach Kanada geschleust werden.

Der Titel von Barry Jenkins zehnteiliger Miniserie „The Undergroud Railroad“, die seit dem 14. Mai auf Amazon Prime Video zu sehen ist, spielt offensichtlich auf diese historische Begebenheit an. Im Zentrum der Erzählung steht Cora (Thuso Mbedu), die seit ihrer Geburt auf einer Plantage in Georgia lebt. Ihre Mutter (Sheila Atim) konnte vor Jahren entkommen, seither ist Coras einzige Bezugsperson der Sklave Caesar (Aaron Pierre).

„The Underground Railroad“ zeigt die Gewaltexzesse, die Cora täglich erlebt – Peitschenschläge, erzwungene Reproduktion, Hinrichtungen von Sklav*innen, die versucht haben zu fliehen – mit schonungslosem Detailreichtum. Jenkins, der 2016 mit dem oscarprämierten Film „Moonlight“ seinen internationalen Durchbruch feierte, erzählt in der Miniserie in gewohnt langsamem Tempo. Das hat zur Folge, dass auch die zahlreichen Gewaltszenen sich über viele qualvolle Minuten erstrecken. Doch Jenkins begnügt sich nicht damit, geschundene Schwarze Körper zu zeigen. Stattdessen bilden sie, getreu der gleichnamigen Pulitzer-prämierten Buchvorlage des US-amerikanischen Autors Colson Whitehead, die Ausgangslage für eine vielschichtige Erzählung über Rassendiskriminierung und Trauma.

Eines Tages gelingt Cora und Caesar die Flucht. Anders als der Titel glauben lässt, schließen sie sich jedoch nicht oben erwähntem Netzwerk an. Das „Underground Railroad“ erscheint vielmehr in wortwörtlicher Gestalt: Ein unterirdisches Eisenbahnetzwerk ermöglicht, sich unbemerkt von Staat zu Staat fortzubewegen. Dieses Stilmittel markiert die Miniserie zwar eindeutig als „alternative history“, dabei geht es jedoch keineswegs darum, Sklaverei zu verharmlosen. Cora und Caesar begeben sich nicht etwa auf einen idyllischen Roadtrip in Richtung Freiheit. Denn auch nach ihrer Flucht müssen sie feststellen, dass die Unterdrückung Schwarzer Menschen andernorts zwar andere, dafür aber nicht weniger zerstörerische Formen annimmt.

„The Underground Railroad“ ist aber weit mehr als ein Crashkurs über Rassendiskriminierung in den Vereinigten Staaten. Die Serie ist ein regelrechtes Epos, das uns mit auf Coras Leidensweg nimmt. Mit wenigen Ausnahmen ist jede der insgesamt zehn Stunden Laufzeit dieser Figur gewidmet. Während sie ums Überleben kämpft und Ausschau nach Verbündeten hält, sind ihr stets die Sklavenjäger Ridgeway (Joel Edgerton) und Homer (Chase Dillon) unmittelbar auf den Fersen. Weitere Figuren, Menschen, denen Cora auf ihrem Fluchtweg begegnet, erscheinen immer nur für kurze Zeit, wie etwa ein Mädchen (Mychal-Bella Bowman), das sich seit mehreren Jahren auf dem Dachboden eines weißen Paares versteckt. All diese Figuren sind in der Serie erstaunlich dreidimensional, selbst der Sklavenjäger Ridgeway.

Die Fantasy-Elemente entfernen die Erzählung nicht von der Realität, vielmehr helfen sie, die Thematik auf nuanciertere Weise zu ergründen. Wer den Status und das Trauma Schwarzer Menschen in der heutigen US-amerikanischen Gesellschaft verstehen will, kommt an dieser Serie nicht vorbei.

Auf Amazon Prime Video

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