Italien: Demontage des Antifaschismus

Jedes Jahr am 25. April feiert Italien den Sieg der Partisaninnen und Partisanen sowie der Alliierten über den italienischen Faschismus und die deutschen Besatzer. Die rechtsextreme Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni will das Gedenken umdeuten und den Tag als „Fest der nationalen Aussöhnung“ begehen.

Eindeutige Handbewegung: Pappfiguren auf einer Demonstration am 1. Mai in Turin; sie stellen Italiens Premierministerin Giorgia Meloni und ihren Stellvertreter Matteo Salvini dar, die beide der extremen Rechten zuzuordnen sind. (Foto: EPA-EFE/Alessandro Di Marco)

Als Italien 1955 den zehnten Jahrestag der Befreiung vom Nazi-Faschismus beging, rief Giorgio Almirante, der Mitbegründer des neofaschistischen „Movimento Sociale Italiano“ (MSI), in einem Beitrag für die parteieigene Tageszeitung „Il Secolo d’Italia“ dazu auf, sich den 25. April nicht als „Fest des antifaschistischen Regimes“ aufzwingen zu lassen und stillzuhalten, „in Erwartung besserer Zeiten (die kommen werden!)“.

Die „besseren Zeiten“ sind jetzt da: Im Parteisymbol der von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni geführten rechten „Fratelli d’Italia“ (FdI, Brüder Italiens) lodert die einst für den MSI entworfene Flamme in den italienischen Nationalfarben. Auf „Facebook“ stellt sich die Regierungspartei unter dem Titel „Von Giorgio zu Giorgia“ offen in die Tradition des Altfaschisten Almirante. Der diesjährige 25. April stand für die FdI ganz im Zeichen einer geschichtspolitischen Umdeutung des Jahrestags.

Die Befreiung Italiens vom Nazi­Faschismus im Frühjahr 1945 war eine doppelte: In Mittelitalien gelang den alliierten Truppen der entscheidende militärische Durchbruch, der die deutsche Besatzungsmacht zum Rückzug zwang. In Oberitalien rief das Nationale Befreiungskomitee, die politische Dachorganisation der italienischen antifaschistischen Widerstandsbewegung, für den 25. April zu Streiks und bewaffneten Aufständen auf. Die Partisaninnen und Partisanen kamen aus den Bergen und kämpften in Genua, Turin und Mailand gleichzeitig gegen die Nazi-Besatzer und die italienischen Faschisten. Der Widerstand der Resistenza war von politisch unterschiedlich motivierten Gruppen getragen worden, die eher eine Minderheit der Bevölkerung repräsentierten. Erst in diesen letzten Kriegstagen entwickelte sie sich zu einer größeren Volksbewegung, die die Demokratisierung Italiens einleitete. Der 25. April steht als nationaler Feiertag symbolisch für den Beginn der antifaschistischen Nachkriegsrepublik. Diesen Zusammenhang betonte Staatspräsident Sergio Mattarella vergangene Woche in seiner Ansprache: „Die Frucht des 25. April ist unsere Verfassung.“

Von der Ausarbeitung dieser Verfassung blieben die Faschisten ausgeschlossen, die am Gardasee unter dem Schutz der deutschen Militärmacht bis in die letzten Apriltage 1945 für die Aufrechterhaltung der Italienischen Sozialrepublik von Salò, wie sich der faschistische Satellitenstaat nannte, gekämpft hatten. Ohnehin lehnten sie die neue parlamentarische Demokratie ab. In den 1960er-Jahren forderte Almirante die Einrichtung eines Präsidialsystems. Diesen Vorschlag haben die FdI inzwischen neu eingebracht. Für Faschisten bleibt der 25. April ein „Trauertag“, an dem sie der Erschießung des Diktators Benito Mussolini am 28. April 1945 gedenken. Mit den Bildern der in Mailand an den Füßen aufgehängten und zur Schau gestellten Leiche des Diktators beginnt zugleich die Geschichte der neofaschistischen Diskreditierung der Resistenza als einer Bande von Verbrechern.

Melonis antikommunistischer Patriotismus ist nicht rückwärtsgewandt, er zielt vielmehr auf die nähere Zukunft.

In den Nachkriegsjahren hat Almirante als MSI-Vorsitzender seine antiantifaschistische Haltung in einem aggressiven Antikommunismus ausgedrückt. Den Widerwillen gegen den Antifaschismus gaben die neofaschistischen Jugendorganisationen an Almirantes politische Nachkommen weiter. Salonfähig wurde der Antiantifaschismus 1994, als Silvio Berlusconi die mutmaßlich zu „Postfaschisten“ geläuterten Neofaschisten in sein erstes rechtes Regierungsbündnis integrierte. Damals begann parallel die Abwertung der Resistenza sowie die bis heute andauernde politische und kulturelle Aufwertung des Faschismus, dessen Verbrechen bagatellisiert und dessen vermeintliche Verdienste glorifiziert werden. Knapp 30 Jahre später sind die Erben der neofaschistischen Flamme zur stärksten politischen Kraft geworden und propagieren ihr revisionistisches Geschichtsbild in den höchsten Regierungs- und Staatsämtern.

Senatspräsident Ignazio Benito La Russa provozierte schon vor dem 25. April mit dem alten Vorwurf, die kommunistischen Partisanen hätten mit ihrem Vorgehen die als „Vergeltung“ deklarierten Massaker der deutschen Besatzungsmacht zu verantworten. Insbesondere das Attentat auf eine aus Südtirolern bestehende Polizeieinheit in der römischen Via Rasella im März 1944 – die Hauptstadt war noch in deutscher Hand –, dem die Erschießung von 335 Zivilisten durch die Nazis in den Ardeatinischen Höhlen folgte, sei „alles andere als eine rühmliche Seite“ der Widerstandsbewegung.

Über die „unrühmlichen“ Seiten des Faschismus verliert der Mann, der sich einer umfangreichen Sammlung von Mussolini-Büsten rühmt, kein Wort. Am diesjährigen 25. April flog La Russa zu einem Treffen der europäischen Parlamentspräsidenten nach Prag, besuchte dort das Konzentrationslager Theresienstadt und legte am Wenzelsplatz an der Gedenkstätte für Jan Palach, der sich 1969 aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings verbrannt hatte, einen Kranz nieder. Die Gleichsetzung von Nazi-Faschismus und Kommunismus bildet die Grundstruktur der jüngeren rechtsextremen Geschichtspolitik.

Dementsprechend präsentierte Ministerpräsidentin Meloni ihre Umwertung des 25. April in einem offenen Brief an die Tageszeitung „Corriere della Sera“ als Totalitarismuskritik. Die parlamentarische Rechte habe schon längst „mit jeder Nostalgie für den Faschismus“ gebrochen und sich zu Demokratie und Freiheit bekannt. Die Beweislast liege nunmehr bei denjenigen, die sich weigerten, den Tag der Befreiung als ein Fest der „nationalen Aussöhnung“ zu begehen und weiterhin Unterschiede zwischen den totalitären Regimes des 20. Jahrhunderts machten. Als Zeugin ihrer Auslegung zitiert Meloni Paola Del Din, die knapp 100-jährige Widerstandskämpferin der „Brigade Osoppo“, der Laizisten, Sozialisten, Monarchisten und Katholiken angehörten, mit den Worten: „Die Zeit hat uns zu Partisanen gemacht, aber wir waren Patrioten.“

In Wirklichkeit hat der linke Antifaschismus der patriotischen Umdeutung des 25. April wenig entgegenzusetzen.

Melonis antikommunistischer Patriotismus ist jedoch nicht rückwärtsgewandt, er zielt auf die nähere Zukunft: Außenpolitisch will sie ihr antitotalitäres Profil schärfen, um in den osteuropäischen Ländern mit einer Putin-kritischen Haltung für die rechtsextreme Fraktion „Europäische Konservative und Reformer“ (EKR) zu werben, die sie bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im kommenden Jahr zum Sieg führen will. In Italien desavouiert Meloni derweil den Antifaschismus der Nachkriegsjahre. In der Kritik an der militanten Linken werden die „gefallenen Kameraden“ der „bleiernen“ 1970er-Jahre („anni di piombo“) zu Opfern stilisiert, die Beteiligung der „Fratelli“ an neofaschistischen Gedenkveranstaltungen wird gerechtfertigt. Zugleich wird jeglicher Protest gegen die rechte Regierung, ihre Jugendorganisationen und die militanten außerparlamentarischen Gruppen, wie „Casa Pound Italia“ und „Forza Nuova“, als Gefahr wiederkehrender linksterroristischer Gewalt stigmatisiert.

In Wirklichkeit hat der linke Antifaschismus der patriotischen Umdeutung des 25. April wenig entgegenzusetzen. So skandalös die revisionistischen Geschichtsdarstellungen der Regierung auch sind, so hilflos ist deren wiederholte Skandalisierung. Für eine Petition, die den Rücktritt La Russas aus dem zweithöchsten Staatsamt erzwingen sollte, wurden 75.000 Unterschriften gesammelt, sie blieb aber ohne Wirkung. Am 25. April trafen sich in Mailand 100.000 Menschen zur alljährlichen antifaschistischen Demonstration. Doch mit Veranstaltungen eher rituellen Charakters lässt sich die politische Demontage des Antifaschismus nicht aufhalten.

Es gibt praktisch nur noch kleine Initiativen, die in ihrem lokalen Umfeld zwar wichtig sind, aber nichts an den politischen Kräfteverhältnissen zu ändern vermögen. Das heißt nicht, dass die Wiederkehr eines faschistischen Regimes droht, doch wird die Regierung innerhalb der demokratischen Ordnung ihren erneuerten sogenannten „postfaschistischen“ Kurs beibehalten: tödliche Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge an den Grenzen, Härte gegen Erwerbslose, die zu prekärer Beschäftigung gezwungen werden, Härte gegen Gefangene, die keine Verbesserung ihrer Haftbedingungen zu erwarten haben, und Härte gegen Migrantinnen und Migranten, bei deren Ausbeutung der Staat nicht hinsehen möchte. Wenn die antifaschistische Tradition wiederbelebt werden kann, dann nur aus den Konflikten der Gegenwart.

Zum diesjährigen 25. April betonten mit größerer Dringlichkeit als in früheren Jahren jene, die noch von der historischen Resistenza erzählen können, deren gesellschaftsverändernden Impuls. Luciana Castellina schrieb in der von ihr mitgegründeten linken Tageszeitung „Il Manifesto“, dass das Außerordentliche der Partisanenbewegung nicht allein im Widerstand gegen den Nazi-Faschismus bestanden habe, sondern in ihrem Mut, sich als Ziel eine neue Welt vorzustellen.

Catrin Dingler arbeitet als freie Journalistin 
und Sozialwissenschaftlerin zwischen Stuttgart und Rom.

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