Judentum und Antisemitismus in Luxemburg: Der lange Weg der Emanzipation

Am Mittwoch hat die Historikerin und woxx-Autorin Renée Wagener ihr neues Buch „Emanzipation und Antisemitismus“ vorgestellt. Dabei wurde deutlich: Der lange Kampf um gesellschaftliche Anerkennung der Jüdinnen und Juden Luxemburgs ist auch ein Gradmesser der Demokratisierung des Landes.

Antisemitische Karikatur aus dem „Luxemburger Marienkalender“ von 1878.

Rund 50 Personen waren der Einladung des Comité Auschwitz in Kooperation mit dem Geschichtsinstitut der Universität Luxemburg in die Villa Pauly gefolgt: Die Historikerin Renée Wagener – Mitglied des Verwaltungsrats und ehemalige Redakteurin der woxx – hat am vergangenen Mittwoch ihr jüngst erschienenes Buch „Emanzipation und Antisemitismus: Die jüdische Minderheit in Luxemburg vom 19. bis zum beginnenden 21. Jahrhundert“ der Öffentlichkeit vorgestellt.

Vor allem das Fehlen einer spezifisch wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Antisemitismus in Luxemburg habe sie zu ihrer Studie motiviert, erläuterte Wagener, die mit dieser Arbeit 2017 an der Fernuniversität Hagen promoviert hat. Ihre für das Buch überarbeitete Darstellung der Geschichte des Luxemburger Judentums will die Wissenschaftlerin zugleich als „historische Studie zu Inklusions- und Exklusionsphänomenen in Staat und Gesellschaft“ verstanden wissen.

In dem Band schlägt Wagener einen Bogen von der französischen Revolution über den Zweiten Weltkrieg, die nationalsozialistische Besatzung Luxemburgs, den von den Deutschen begangenen Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden bis hin zur jüngeren Vergangenheit. Die einzelnen Kapitel des Buches widmen sich den verschiedenen historischen Abschnitten, wobei es immer sowohl um „Emanzipationsprozesse“ und die gesellschaftliche Inklusion des Judentums in Luxemburg, als auch um „Äußerungen von Exklusion und Antisemitismus“ geht. Die Frage der Emanzipation will Wagener dabei nicht allein auf die Jüdinnen und Juden, sondern auf den Grad der Demokratisierung der Luxemburgischen Gesamtgesellschaft bezogen wissen. Umgekehrt kann der Antisemitismus demnach zugleich als Index des Scheiterns gesellschaftlicher Emanzipation begriffen werden, wie dies bereits die Philosophin Margherita von Brentano dargelegt hat.

Wichtig sei es ihr gewesen, nicht nur über die Jüdinnen und Juden zu schreiben, so Wagener. Sie habe sich bemüht, diese, soweit möglich, „auch selbst zu Wort kommen zu lassen“. Dies habe sich jedoch aufgrund der historischen Quellenlage zum Teil schwierig gestaltet. Mit Blick auf die jüngere Geschichte hat die Autorin indes mehrere ausführliche Interviews mit Luxemburger Jüdinnen und Juden geführt, die in die Arbeit eingeflossen sind.

Den von ihr präsentierten kurzen Einblick in das 725 Seiten umfassende Buch begann Wagener mit der Situation im 19. Jahrhundert. In der Religions- und Bildungspolitik wie auch hinsichtlich des Zugangs zu den Staatsdiensten sei das verfassungsmäßig garantierte Gleichheitsprinzip für die Juden in Luxemburg nicht eingelöst worden. Das liege daran, dass die staatlichen Verantwortlichen die ablehnende Haltung von Teilen der Mehrheitsgesellschaft gegenüber den Jüdinnen und Juden entweder geteilt oder zumindest faktisch hingenommen haben. Wagener betonte hierbei auch den Einfluss der ultramontanen, papsttreuen Strömung im Katholizismus, die damals unter anderem im „Luxemburger Wort“ ein Sprachrohr hatte. „Es waren die katholischen Presse-
organe, die antisemitische Denkmuster verbreitet und als gesellschaftlich akzeptabel dargestellt haben“, so die Historikerin.

Wichtig sei es ihr gewesen, nicht nur über die Jüdinnen und Juden zu schreiben, so Wagener, sondern diese, soweit möglich, auch selbst zu Wort kommen zu lassen.

Die „intensive Phase öffentlicher antisemitischer Äußerungen“ vom letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bis zur Zwischenzeit gingen laut der Autorin mit der Herausbildung eines expliziten Luxemburger Nationalismus einher, wobei Wagener hinsichtlich der Kausalität beider Phänomene in ihrer Einschätzung zurückhaltend blieb.

Das umfangreichste Kapitel des Werks widmet sich der Frage, inwieweit solche bereits vorhandenen antisemitischen Denkformen die Haltung der staatlichen Behörden sowie der Luxemburger Mehrheitsgesellschaft zur „nationalsozialistischen Judenpolitik“ insbesondere nach Beginn der Besatzung im Jahr 1940 beeinflusst haben. So seien die 1930er-Jahre hierzulande durch Überfremdungsdiskurse geprägt gewesen, die sich auch gegen jüdische Flüchtlinge aus Deutschland gerichtet hätten. Wirtschaftliche Konkurrenzängste hätten bestehende antisemitische Ressentiments noch verstärkt.

„Eine objektive Analyse der geistigen und sittlichen Grundlagen unserer Zeit zeigt uns, daß das herrliche Zeitalter des Liberalismus nun einmal vorbei ist“, bilanzierte Großrabbiner Robert Serebrenik 1933 ernüchtert in „La Tribune juive“: „Alle Assimilation hat uns keine Verwurzelung gebracht.“

Auch völkisch-rassistische antisemitische Argumentationsmuster hätten in dieser Zeit gerade in der Luxemburger Presse durchaus Erfolg gehabt, so Renée Wagener, und: „Der Antisemitismus war Bestandteil autoritärer Tendenzen hierzulande.“ Diese hätten sich beispielsweise in der Idee vom Ständestaat gezeigt. All dies habe dazu beigetragen, dass die jüdische Gemeinde der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik auch in Luxemburg letztlich hilflos ausgesetzt war.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sei die Spezifik dieser antisemitischen Vernichtungspolitik in der Erinnerung an die deutsche Besatzung ausgeblendet worden, so Wagener, aber auch antisemitische Aussagen seien seltener geworden. Die verbleibenden Mitglieder der jüdischen Gemeinde, die nicht ermordet oder vertrieben worden waren, verhielten sich ihrerseits zurückhaltend. Die Frage der Haltung gegenüber Staat und Öffentlichkeit habe in den nachfolgenden Jahrzehnten innerhalb der jüdischen Gemeinde für Diskussionen gesorgt, rekapitulierte die Historikerin unter Verweis auf die von ihr geführten Interviews.

Insgesamt sei der Antijudaismus hierzulande lange Zeit durch den Katholizismus geprägt gewesen, so Wagener in ihrem Resümee. Antijüdische Argumentationsformen, wie sie seinerzeit etwa im „Luxemburger Wort“ verwendet wurden, hätten das „ideologische Basismaterial“ zur Herausbildung des modernen Antisemitismus geliefert, der auch in Luxemburg zu einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen geworden sei. Seit der Nachkriegszeit sei er auch verstärkt in linken Milieus anzutreffen, so die Historikerin. Hier stehe eine vertiefte Analyse noch aus.

In den kommenden Wochen wird Renée Wagener ihr Buch auf weiteren Veranstaltungen im Land präsentieren.


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