Jugendkultur in Luxemburg: Was macht Jugend aus?

Ewige Jugend ist der heilige Gral der Menschheitsgeschichte. In seiner Ausstellung „Jonk sinn. Momenter vu Jugendkultur“ ist der Kurator Luc Spada auf der Suche nach dem Gegenstück: dem Ewigen der Jugend.

Die Ausstellung „Jonk sinn. Momenter vu Jugendkultur“ versucht, die Essenz der Jugend einzufangen. (Foto: Melanie Czarnik)

Bedeutet jung sein für jede Generation das Gleiche oder doch etwas grundlegend anderes? Wie fühlt sich Jugend an, wie klingt sie, wie sieht sie aus? Mit diesen Fragen will die Ausstellung die Essenz dessen erfassen, was sich zwischen Orientierungslosigkeit und Überschwang abspielt: Jugend als Gefühl, als Bewegung, als Erfahrung. „Junge Menschen wollen jeden Moment erleben, weil sie noch nicht alle kennen – oder weil sie glauben, in diesem Moment noch etwas Neues zu erkennen. Oder erkennen zu müssen. Das sind Momente des Jungseins, die zu Jugendkultur werden“, schreibt Spada über seine Ausstellung.

Spada, ein luxemburgischer Schriftsteller, Schauspieler und Spoken-Word-Künstler, lebt heute in Berlin und war unter anderem als Kolumnist für das Lëtzebuerger Journal tätig. Und: Er ist vergangenen Samstag 40 geworden, ein Millennial also, sofern man sich an solchen Generationszuschreibungen orientieren will. Diese Perspektive durchzieht auch seine Ausstellung. Etwa in kleinen, symbolischen Details. Zum Beispiel im grafischen Motiv zweier Hände, die ein Herz formen – mit Zeigefinger und Daumen, typisch für die Millennials. Die GenZ nutzt für dieselbe Botschaft längst andere Gesten: Mini-Herzen mit den Fingerkuppen oder Herzformen mit Zeige- und Mittelfinger.

Die Sprache der Jugend

„ok, slay“ steht an einer der Türen des Mierscher Theaters und eröffnet die Ausstellung so mit einem Ausdruck aus der aktuellen Jugendkultur, der sich für ein älteres Publikum frei mit „Geil!“, „Krass!“ oder „Rock das Ding!“ übersetzen lässt. Dahinter öffnet sich ein Raum, der zur Interaktion einlädt: handschriftlich bekritzelte Plexiglaswände, ein prominentes rotes „Love“ in der Mitte, das sogleich das erste Thema der Ausstellung festlegt. Daneben auf einem großen Schaubild die Illustration zweier Mädchen, die den Arm umeinander gelegt haben, begleitet durch eine kleine Säule, auf der ein Becher mit Stiften steht. Wer mag, ist aufgefordert, selbst eine Botschaft an die eigene Jugendliebe zu hinterlassen. Auf einem Tablet berichten Jugendliche in mehreren Sprachen von ihren ersten Erfahrungen mit diesem universellen Thema. Es geht um Zugehörigkeit, Liebe, Angst, Überforderung und Alltag.

Die Galerie „Tunnel am Gronn“ lässt mit der Ausstellung „LIFE“ Jugendliche zu Wort beziehungsweise Bild kommen. (Foto: Melanie Czarnik)

Jugend kommuniziert auf ihre eigene Weise: laut, kryptisch, vieldeutig. Ein Schaubild weiter hinten im Raum zeigt Chatverläufe und Emojis, die durch ihre Abkürzungen und Wortwahl wohl jede Generation vor 1990 mehr verwirren als erhellen dürfte. Deswegen liegen gleich mehrere Ausgaben eines „Übersetzungshefts“ bereit. Humorvoll, aber auch eine Erinnerung daran, dass Sprache sowohl Zugehörigkeit als auch Abgrenzung schafft. Auf zwei Bildschirmen laufen Video-Testimonials von Jugendlichen. Sie erzählen von ihrer ehrlichen und manchmal auch widersprüchlichen Lebenswelt. Auch hier zeigt sich: Jugend ist nicht einheitlich. Sie ist divers, vielstimmig, manchmal orientierungslos, aber nie gleichgültig.

Ein weiteres Schaubild widmet sich dem jugendlichen Aufbegehren, das sich beispielhaft in der „Fridays for Future“-Bewegung, aber auch in vielen anderen Demonstrationen und Rebellionen zeigt. Gesellschaftliche Bewegungen, die oftmals durch Jugendliche und junge Erwachsene, meist Studierende getragen werden. Jung sein – das heißt auch, gegen den Status quo aufzubegehren. Unberücksichtigt bleibt die Tatsache, dass viele junge Menschen zum Studium ins Ausland gehen und deshalb große Demonstrationsbewegungen hierzulande meist ausbleiben oder deutlich kleiner ausfallen als in unseren Nachbarländern.

Jugendliche – Objekt oder Subjekt?

Ein großflächiges Poster des Centre for Childhood and Youth Research (CCY) der Universität Luxemburg präsentiert zentrale Erkenntnisse aus der Jugendforschung. Unter der Überschrift „Jung sein heißt erforscht werden“ versammelt es fünf Themenbereiche, die Jugend als gesellschaftliches Untersuchungsfeld sichtbar machen: den Übergang ins Erwachsenenleben, das Austesten von Grenzen, kreative Selbstentfaltung in analogen und digitalen Räumen, die Aneignung von Räumen und politisches Engagement in vielfältigen Formen.

Die Wahl der Überschrift bringt eine grundlegende Perspektive der Ausstellung auf den Punkt: Jugendliche werden hier nicht als eigenständig Schaffende eines künstlerischen Ausdrucks verstanden, sondern es geht vor allem um Jugend als gesellschaftliches Phänomen – so werden Jugendliche zum Forschungsgegenstand. In dieser Rolle sind Jugendliche oft beobachtete Objekte, weniger aktiv gestaltende Subjekte. Umso wertvoller ist der ergänzende Blick, den die parallel laufende Ausstellung „LIFE“ in der Galerie Tunnel am Gronn ermöglicht: Dort stehen die Jugendlichen nicht im Zentrum der Betrachtung, sondern treten selbst als Bildproduzierende auf – mit ihren Perspektiven, Themen und Narrativen. Gemeinsam ergeben die beiden Ausstellungen ein facettenreiches Bild von Jugend in Luxemburg, zwischen Fremdzuschreibung und Selbstausdruck.

(Foto: Melanie Czarnik)

Die Galerie befindet sich im Stadtviertel Grund, im Tunnel der zum Aufzug Richtung Gerichtsviertel führt. Ein Ort also, der normalerweise zum schnellen Durchgang dient. Die Ausstellung „LIFE“, kuratiert vom Lycée de Garçons d’Esch/Alzette, macht ihn indes zum Haltepunkt. Gezeigt werden Fotostrecken zu Themen wie den modern interpretierten sieben Todsünden, der Kommerzialisierung von Weihnachten, dem unausweichlichen Tod und der Komplexität von Beziehungen.

Beide Ausstellungen verbindet die Suche nach Bedeutung in Momentaufnahmen. Momente von Liebe, Widerstand, Desorientierung, Momente der Besonderheit. Vielleicht ist genau das das Wesen der Jugend: ein Aufbegehren gegen das Banale, gegen das „business as usual“, gegen eine Welt, die auf ihre Routinen besteht, während sie sich ihrem Abgrund nähert.

Generationen-Clash

Auch wenn beide Ausstellungen überschaubar sind, sollte man jeweils mindestens eine halbe Stunde einplanen. Wer das Mierscher Theater gegen 17 Uhr verlässt, könnte zudem einen besonderen Moment erleben, in dem sich das Verhältnis von ‚art imitates life‘ und ‚life imitates art‘ verschiebt. So ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass einem auf dem Weg zum Auto oder zur Haltestelle eine Gruppe Jugendlicher begegnet, die gerade auf dem Heimweg von der Schule ist. Gesprächsfetzen dringen ans Ohr. „Meine Mutter dreht immer total durch.“ – „Wirklich? Meine auch!“ Die beiden Mädchen werfen einen kurzen Blick auf die Uhr und laufen los, quer über die Straße, mitten durch eine Baustelle. Hupen. Fluchen. Ein älterer Mann schimpft: „D’Jugend vun haut!“

Es ist nicht leicht, in einer Zeit wie dieser jung zu sein. Aber vielleicht war es das auch nie. Jung sein, bedeutet nicht, dass alles anders ist, aber dass vieles möglich scheint.

„Jonk sinn. Momenter vu Jugendkultur“ ist noch bis zum 14. Juli, montags bis freitags von 14:00 bis 17:00 Uhr, in der Vorhalle des Mierscher Theaters zu sehen. „LIFE“, die Fotoausstellung des Lycée de Garçons d’Esch/Alzette, ist ebenfalls bis Juli rund um die Uhr in der Galerie Tunnel am Gronn zugänglich.

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