Justine Blau: Auf der Suche nach Darwin

Die Düdelinger Stadtgalerie Nei Liicht bietet zurzeit Raum für die künstlerischen Explorationen von Justine Blau. Einmal eingetaucht in die vielseitigen Arbeiten, können Besucher*innen einen reichen Schatz an Nachforschungen zu Fragen des Lebens und Wiederbelebens entdecken.

Graue Archivboxen mit Darwins Herbarium: eine Priorität für das De-extinct project. (Fotos: © Justine Blau)

Was war zuerst? Das Huhn oder das Ei? Entlang der Stufen zur Ausstellung im ersten Stock finden sich die ersten Hinweise auf die Thematik der Ausstellung. Die Fotografie einer marmornen Statue mit Ei in der Hand sinniert wohl über den Ursprung des Lebens. Gegenüber dem Philosophen steht „Vida inerte“ und „Phusis kruptesthai philei“. Die Überschriften der Ausstellung geben vielen vielleicht erst einmal Rätsel auf.

Auch der eigentliche Eintritt in die Ausstellungsräume verwirrt so manche zaghaften Besucher*innen, die sich nicht gleich trauen, den raumfüllenden Fotovorhang zu durchschreiten. In den kleinen Räumen der Galerie eröffnet sich eine Spurensuche, die die Künstlerin von Paris, über England bis zu den Galapagosinseln führt, die Charles Darwin zwischen 1831 und 1836 auf seiner Reise auf der Beagle erforschte. Als roter Faden dient eine Pflanze aus dem Herbarium Darwins, welches sich heute in Cambridge befindet. Sein Exemplar der Sicyos Villosa ist das letzte, die einstmals auf den Pazifikinseln weitverbreitete Art ist längst ausgestorben. In jüngster Zeit gab es dank neuer biotechnischer Entwicklungen Hoffnung, die Spezies genetisch wiederzubeleben, ein Prozess der sich „de-extinction“ nennt. Ironie der Sache: Die konservatorischen Produkte zum Erhalt der Probe zerstörten die genetischen Überreste zu sehr für weitere Versuche. Justine Blaus Druckversionen der fotografierten Pflanze lassen sich durch Knopfdruck mechanisch beleben, ein Magier setzt im Video die Pflanze aus Bruchstücken wieder zusammen. In Anlehnung an die gepriesenen Wunder der genetischen Modifikation lassen die magischen und anonymen Hände die Pflanze in allen erdenklichen Farben erscheinen. Was Wissenschaft und Technik vermögen, reflektiert die Künstlerin ironisch. Der Tod, eigentlich Teil des Lebens, wird versucht rückgängig zu machen. Der Akt des Fotografierens, welcher bereits für den französischen Philosophen Roland Barthes der Tod im Kleinen war, resultiert in einem Doppelgängermotiv und spielt hier weitere, vielschichtige Fragestellungen hinein.

Justine Blau legt Hand an: Sie thematisiert philosophische Fragen des Lebens.

Neben den theoretischen Kulissen bietet die Kunstschaffende aber auch einen abwechslungsreichen und interaktiven Parcours an. Er besticht durch die vielen verschiedenen Medien und Träger wie Fotografie, Assemblage, Video, Dia-Betrachter oder Objekte wie die Pflanzen, die sie auf Floreana Island eingesammelt hat. Diese tropische Insel, die Darwin einst studierte und die ihn zu seinen (r)evolutionären Theorien führte, überraschte die Künstlerin mit ihrer touristischen Auslegung und einer botanischen Landschaft, die so wenig Blumen enthält, dass Plastiksträuße üblicher Grabschmuck sind, welcher zudem anschließend respektlos auf Müllhaufen in der Natur entsorgt wird. Die unscheinbaren Archivkisten und klinisch weißen Türen der Samenbank in den Londoner Kew Gardens verraten derweil auf einem Plakat, dass sie die weltweit größte Ansammlung von Biodiversität beherbergen. Zwischen Konservieren und Zerstören ist es immer wieder die Manipulation der Natur durch den Menschen, welche die Künstlerin interessiert. Die Attitüden und das Eingreifen des Menschen sind oft überheblich gegenüber dem, wovon er nach Darwin ein Teil ist. Die Schöpfungen, Inszenierungen und Belebungen von Justine Blau hingegen sind sehr empfehlenswert. So lohnt es sich denn auch, etwas genauer hinzuschauen und dadurch vielleicht ein paar ephemere, camouflierte Seifenblasen zu entdecken.

Justine Blau „Vida inerte“, 
noch bis zum 12. Juli in der Galerie 
Nei Liicht in Düdelingen, 
Finissage am 4. Juli, um 11.30 Uhr.

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