Kunst schaffen unter annähernd idealen Bedingungen: Das versprechen Residenzprogramme für Künstler*innen. Doch wie steht es um Künstler*innenresidenzen in Luxemburg? Diese Frage umrundeten Expert*innen am vergangenen Freitag während eines Workshops.
„Die größten Ereignisse, das sind nicht unsere lautesten, sondern unsere stillsten Stunden“, sagte Friedrich Nietzsche. Gerade für Künstler*innen sind Stille und Zurückgezogenheit das Rohgold, aus dem sie die schönsten Kleinodien schmieden können – sofern die Rahmenbedingungen stimmen. Genau deswegen sind Künstler*innenresidenzen für Kreativschaffende von grundlegender Bedeutung: Als Stipendiat*innen oder sogenannte „Artists in residence“ können sie ihrer kreativen Tätigkeit in Ruhe nachgehen und sind dabei finanziell abgesichert. Räumlichkeiten und Material der Kultureinrichtungen, welche die Programme anbieten, stehen ihnen dabei auch meist zur Verfügung.
Häufig kommen sie mietfrei unter, in einem Haus, in dem gleichzeitig auch andere Künstler*innen beherbergt sind – der ideale Rahmen also, um sich auszutauschen und neue Kontakte zu knüpfen. Manchmal verpflichten sich die Residenzkünstler*innen im Gegenzug zur Gestaltung eines bestimmten Projekts und zur Beteiligung an den Veranstaltungsprogrammen der Kulturhäuser. Doch auch dieses Engagement birgt für sie Vorteile, erreichen sie damit doch direkt das lokale Publikum und Kunstmilieu.
Im Airbnb untergebracht
Darauf, dass Künstler*innen- residenzen immer beliebter würden, wies Kulturminister Eric Thill am vergangenen Freitag während eines fast vierstündigen Workshops hin, der sich ganz dem Thema der Künstler*innenresidenzen widmete. Das Sujet besitzt kulturpolitische Relevanz: Der Koalitionsvertrag zwischen CSV und DP sieht die Schaffung neuer nationaler Künstler*innenresidenzen im urbanen wie im ländlichen Raum vor. Auch im Kulturentwécklungsplang 2018-2028 (KEP) findet sich der Punkt. Das Ziel, die Zahl der Künstler*innenresidenzen zu erhöhen, wurde bisher zu 75 Prozent umgesetzt, verrät die offizielle Website des KEP. Seit 2020 hat der Staat zum Beispiel Kultureinrichtungen oder kulturellen Vereinigungen verschiedene Gebäude oder Ateliers zur Verfügung gestellt, was die Entstehung neuer Residenzen ermöglichte. Ein angestrebtes beziehungsweise zurzeit verfolgtes Ziel ist die Sensibilisierung der Gemeinden, die Infrastrukturen für die Schaffung weiterer Künstler*innenresidenzen zur Verfügung stellen könnten.
Der Literaturwissenschaftler und Forscher Sébastian Thiltges lieferte während des Workshops eine Bestandsaufnahme, die auf den Ergebnissen einer von ihm durchgeführten Studie beruht, die vom Kulturministerium in Auftrag gegeben worden war. Er sprach über die Spezifika der luxemburgischen Künstler*innenresidenzen: 17 Strukturen insgesamt bieten derartige Programme hierzulande an, bei den meisten steht das kreative Schaffen (24 Prozent) und/oder die Recherche (18 Prozent) im Mittelpunkt. Überraschend ist, dass bei der Mehrzahl der Residenzen im Großherzogtum überhaupt keine Unterkünfte bereitgestellt werden (36 Prozent). In jeweils 22 Prozent der Fälle werden die Kreativen in hauseigenen Räumlichkeiten oder aber einem Airbnb oder Hotel untergebracht. In zehn Prozent der Fälle machten die Kulturinstitutionen überhaupt keine Angaben zur möglichen Unterbringung des*r Künstlers*in. Die Dauer der Residenzen variiert stark: 23 Prozent sind nach weniger als einem Monat vorbei, 19 Prozent dehnen sich über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr aus und in 17 Prozent der Fälle richtet sich die Dauer der Residenz nach dem gewählten künstlerischen Projekt. Die restlichen Residenzen dauern entweder weniger als eine Woche oder gleich mehrere Monate.
Thiltges unterstrich, dass unter den Kandidat*innen eine große Konkurrenz herrsche, da es nur wenige Stipendien beziehungsweise Residenzplätze gebe. Dementsprechend sei die Teilnahme an einem solchen Programm für den*die ausgewählte*n Künstler*in ein großes Privileg und ein Zeichen der Anerkennung, das ebenso viel Gewicht besitze wie ein gewonnener Wettbewerb.
Der Literaturexperte machte auch auf eine Reihe von Problemen aufmerksam, die er den Rückmeldungen von Kulturschaffenden entnommen habe. So wünschen sich Künstler*innen nicht nur mehr Residenzmöglichkeiten, sondern auch eine bessere Transparenz hinsichtlich der Auswahlkriterien und -prozesse sowie ein größeres Bewusstsein für ihre oft prekären Arbeitsbedingungen und komplexen Lebenssituationen, da sie häufig Familienleben, Broterwerb und künstlerische Tätigkeit unter einen Hut bringen müssen.
Künstler*innen Freiraum geben
Während zwei aufeinanderfolgenden Gesprächsrunden konnten sich einerseits Künstler*innen aus unterschiedlichen Sparten, andererseits Repräsentant*innen von Kulturzentren äußern. So berichteten Musiker Pol Belardi, Schriftsteller Samuel Hamen, Künstlerin Lisa Kohl und Szenografin Peggy Wurth von ihren Erfahrungen als „Artists in residence“. Eine bessere Begleitung und einen geringeren Fokus auf Ergebnisse, welchen den*die Kreative*n unter Druck setzen könnte, wünschten sich manche von ihnen von den Programmverantwortlichen. „Loosst mech mat Rou, mee loosst mech net aleng“, brachte es Hamen auf den Punkt.
Vertreter*innen verschiedener Kultureinrichtungen, Ainhoa Achutegui (Neimënster), Remo Bei (Bridderhaus), Patricia Jochheim (Opderschmelz), Christine Keipes (Cube 521) und René Penning (Kulturfabrik), diskutierten ihrerseits über die Schwierigkeiten, die sich für diejenigen ergeben, die auf der entgegengesetzten Seite agieren und Künstler*innenresidenzen anbieten. Sie sprachen über die dafür nötigen finanziellen und personellen Ressourcen – und streiften dabei noch ein ganz spezielles Problem: das noch nicht ausgereifte Networking luxemburgischer Institutionen auf europäischem Niveau. Dabei könnte sich so ein Austausch etablieren, der sowohl den Einrichtungen als auch den Künstler*innen zugutekäme. Letzteren könnte zum Beispiel ein Aufenthalt im Ausland ermöglicht werden, während ausländische Kreativschaffende eine Weile in Luxemburg leben. Aber so einfach ist es nicht: „Mit der Kürzung der Kulturbudgets in anderen Ländern wird Networking zunehmend schwierig“, sagte René Penning.
Trotz dieser düsteren Einschätzung war der Grundton der Gespräche durchaus positiv. Der politische Wille, Residenzprogramme weiter auszubauen, ist zumindest in Luxemburg da – es bleibt also zu hoffen, dass in den nächsten Jahren mehr Kreative die Gelegenheit bekommen werden, ihrer Kunst in Residenzen und somit unter den besten Voraussetzungen nachzugehen.