Kulturelle Praktiken von jungen Menschen: Kultur bleibt eine Frage des sozialen Backgrounds

Der soziale Hintergrund von jungen Menschen prägt weiterhin stark deren Zugang zu Kultur. Das offenbart eine vor Kurzem veröffentlichte Liser-Studie. Neben dem sozialen Umfeld beeinflussen auch das Alter und das Geschlecht die kulturellen Praktiken der 6- bis 21-Jährigen.

Gerade am Wochenende scrollen viele junge Menschen durch die sozialen Medien. (Foto: Unsplash)

Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene spüren es besonders deutlich: Soziale Ungleichheit beeinflusst weiterhin maßgeblich den Zugang zu kulturellen Angeboten sowie die Ausübung kultureller Aktivitäten. Das geht aus einer Studie hervor, die das Kulturministerium beim Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (Liser) in Auftrag gab und deren Ergebnisse im vergangenen April veröffentlicht wurden. In der Studie untersuchten Forscherinnen die kulturellen Praktiken von jungen Menschen zwischen 6 und 21 Jahren während des Jahres 2023.

Dabei fanden sie heraus, dass sich der soziale Hintergrund der Studienteilnehmer*innen nicht nur darauf auswirkt, zu welchen technischen Gerätschaften sie zuhause Zugang haben, sondern sich auch stark in ihren „audiovisuellen und digitalen Praktiken“ widerspiegelt. Sprich: Bei Kindern, die sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen angehören, läuft öfter täglich der Fernseher, außerdem verbringen sie weitaus mehr Zeit im Internet und in den sozialen Medien. An Wochenenden nutzen 90 Prozent der Kinder aus strukturell benachteiligten Familien mindestens eine Stunde pro Tag das Internet und die sozialen Medien, bei Kindern aus sozial besser gestellten Milieus sind es hingegen 66 Prozent.

Auch in allen anderen untersuchten kulturellen Bereichen finden die Forscherinnen eine an das soziale Umfeld gekoppelte Schieflage vor: Das junge Lesepublikum rekrutiert sich zum Beispiel vor allem aus Familien mit leichterem Zugang zu Bildung und kultureller Teilhabe. Ganze 87 Prozent dieser Kinder lesen Bücher, 52 Prozent Comics, 24 Prozent Magazine und 19 Prozent Zeitungen. Bei der weniger privilegierten Luxemburger Jugend ergibt sich ein anderes Bild: nur 57 Prozent lesen Bücher, 26 Prozent Comics, 10 Prozent Magazine und 12 Prozent Zeitungen.

Erhebliche Unterschiede

Kinder, die aus bildungsnahen Milieus stammen, gehen überdies mehr als doppelt so oft ins Museum als Kinder aus Familien mit Unterstützungsbedarf (76 zu 35 Prozent), sehen sich häufiger Theaterstücke an (34 zu 13 Prozent), machen mehr Sport (82 zu 55 Prozent), gehen öfter einem Hobby oder einer künstlerischen Aktivität nach (55 zu 38 Prozent). Sie nehmen weitaus häufiger Gesangskurse (27 zu 12 Prozent) oder spielen ein Instrument (49 zu 21 Prozent). Auch nutzen sie Bibliotheken anders: Während junge Menschen aus gut situierten Familien Bibliotheken vornehmlich besuchen, um sich Lektüre auszuleihen, stellen sie für ihre Altersgenoss*innen aus weniger ressourcenstarken Familien vor allem Orte dar, in denen sie alleine oder mit Freunden arbeiten können.

„Diese ersten Ergebnisse bestätigen die Bedeutung der kulturellen Sozialisation und zeigen, dass sie in erster Linie innerhalb der Familie stattfindet“, schreiben die Mitarbeiterinnen des Forschungsinstituts. „Die Unterschiede in den Gewohnheiten zwischen Kindern aus den am besten und am schlechtesten situierten Schichten können sowohl auf objektive Hindernisse, beispielsweise in Form von Kosten, als auch auf symbolische Hindernisse zurückzuführen sein, beispielsweise das Gefühl der Eltern, dass es nicht legitim ist, ihr Kind in einem Schachclub, einer Musikschule anzumelden […].“ Kinder wüchsen so in unterschiedlichen, von sozialen und kulturellen Ungleichheiten geprägten Welten auf, die ihr kulturelles Verhalten von klein auf beeinflussten und meist auch ihre Gewohnheiten im Erwachsenenalter prägten.

Lückenhafte Definition

Anhand ihrer Studie legen die Autorinnen offen, in welchem Ausmaß der soziale Status der Eltern beeinflusst, wie ihre Kinder an Kunst und Kultur teilhaben, sie mitgestalten und rezipieren. Dabei gilt jedoch zu beachten, dass die Forscherinnen den Begriff des sozialen Milieus ausschließlich an den Bildungsgrad und die Berufe der Eltern und nicht zum Beispiel an deren Vermögensverhältnisse knüpfen. Nach Einschätzung der Wissenschaftlerinnen bewegen sich Kinder aus Familien mit akademisch gebildeten Eltern automatisch in einem privilegierten sozialen Umfeld. Demgegenüber wachsen Kinder, deren Eltern nur über einen Grundschulabschluss verfügen, in einem sozial benachteiligten Milieu auf. Das lässt die Tatsache außer Acht, dass das Ausüben eines einen hohen Bildungsgrad voraussetzenden Berufs nicht zwangsläufig mit großem Wohlstand einhergeht – immerhin ist, wie das Team der Wissenschaftsseite science.lu vergangenes Jahr in einem Artikel herausarbeitete, die Vermögensungleichheit deutlich ausgeprägter als die Einkommensungleichheit. Das bedeutet, dass sich sozialer Status und tatsächlicher Besitz oft erheblich unterscheiden können – Letzterer trägt aber wesentlich dazu bei, in welcher Form Kultur erlebt und mitgeprägt werden kann.

Auch in einer anderen Hinsicht verfügt die Studie über einen blinden Fleck. So wird das Unterscheidungsmerkmal des Geschlechts, das sich ebenfalls auf die kulturellen Praktiken von Kindern, Teenagern und jungen Erwachsenen auswirkt, in der Studie insofern wenig differenziert behandelt, als dass die Forscherinnen ausschließlich zwischen Mädchen und Jungen unterscheiden. Andere Geschlechtsidentitäten werden also nicht berücksichtigt. Hinsichtlich der Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen stellen die Wissenschaftlerinnen fest, dass Mädchen mehr lesen würden und häufiger künstlerisch tätig seien, während Jungen öfter Sport treiben würden. „Was die Nutzung kultureller Einrichtungen angeht, zeigen Mädchen ein größeres Interesse an Museen, historischen Denkmälern, Kunstgalerien, Bibliotheken, Tanzaufführungen, Konzerten, Musikfestivals, Kino, Theater, Jahrmärkten, Volksfesten und Diskotheken, während Jungen eher von Sportveranstaltungen angezogen werden“, schreiben die Wissenschaftlerinnen. Insgesamt kämen Mädchen häufiger und auf vielfältigere Weise mit Kultur in Berührung.

Auch das Alter prägt das Erleben von und die aktive Beteiligung an Kultur: Kinder in der niedrigsten berücksichtigten Altersgruppe gehen demnach mehr kulturellen Aktivitäten nach als die älteren Studienteilnehmer*innen. „Die Jugend scheint eine Zeit relativ intensiver kultureller Aktivitäten zu sein, doch diese Intensität lässt mit zunehmendem Alter nach“, stellen die Forscherinnen fest. Die progressive, mit dem Alter zusammenhängende Veränderung – und Verringerung – der kulturellen Praktiken spiegele die zunehmende Selbstbestimmung der Jugendlichen wider.

Das Kulturministerium weiß um das dringliche Problem, dass Kultur nicht für jeden jungen Menschen auf gleiche Weise zugänglich ist, und sieht konkreten Handlungsbedarf. Auf Nachfrage der woxx schreibt eine Pressesprecherin: „Die Schlussfolgerungen der Studie bilden den Startpunkt für den Aktionsplan ,Accès à la culture‘.“ Ende Juni werde sich das Ministerium im Rahmen der „Assises culturelles“ mit dem Kultursektor über dieses Thema austauschen. Wer die Studie einsehen möchte, findet die Kurz- und Langversion auf der Website des Kulturministeriums.


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