Kunstausstellung „My Last Will“: Mein Wille geschehe

Im Rahmen der Ausstellung „My Last Will“ im Casino Luxembourg beschäftigten sich 32 Künstler*innen mit der Frage, was von ihnen und ihrem kreativen Schaffen die Zeit wohl überstehen wird. Die Schau vereint ein Kaleidoskop an künstlerischen Positionen im Spannungsfeld von Tod und Beständigkeit.

Der Künstler Olaf Breuning lässt sich schrittweise auf seinen Fotos verschwinden. Auf dem letzten Bild taucht ein Daumen-hoch-Emoji an seiner Stelle auf. (Foto: Jessica Theis)

Ob es sich nun um die hoheitsvollen Pyramiden von Gizeh handelt, die zwischen gewaltigen Sanddünen in die Höhe ragen, oder die in Stein eingekerbten Namen von mittelalterlichen Pilger*innen in der Wallfahrtskirche auf dem Sacre Monte di Varese – Menschen hinterlassen gerne Spuren, die auch nach ihrem Tod fortbestehen. Die Frage „Was bleibt?“ ist also eine, welche die Menschheit seit jeher begleitet und umtreibt, sind wir doch ausnahmslos alle sterbliche Wesen oder, um es mit dem Barockdichter Gryphius poetisch zu formulieren: „Was sind wir Menschen doch! […] Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.“

Gedanken um die eigene Endlichkeit regen die Fantasie genauso an wie sie zum Grübeln verleiten, Kreativität und Schwermut sind beides mögliche Reaktionen und reichen sich womöglich sogar manchmal die Hände. Die mit dem Bewusstsein um die eigene Sterblichkeit aufkeimende Frage, ob etwas Persönliches die Zeit auch überdauern mag, ist gerade für Künstler*innen von Belang, schaffen sie doch Werke, die zwar ebenfalls vergänglich sind, aber doch weit über den Raum des Ephemer-Individuellen ausstrahlen.

Das Künstlerduo M+M, bestehend aus Marc Weis und Martin De Mattia, haben für die Kunstsammlungen Chemnitz und das Casino Luxembourg – Forum d’art contemporain 32 international bekannte Künstler*innen und Künstler*innengruppen darum gebeten, einen kreativen Beitrag rund um die Frage „Was bleibt?“ zu gestalten. Die Arbeiten, von denen viele speziell für die Ausstellung „My Last Will“ geschaffen wurden, werden in Chemnitz und Luxemburg präsentiert. Zum Projekt gehört darüber hinaus ein „Künstlerbuch“, in dem jede*r Künstler*in sich mit der Frage nach seinem*ihrem Erbe mittels Text, Zeichnung, Fotografie und Collage auseinandersetzen konnte. Das Buch kann man vor Ort durchblättern – bei den noch unberührten Kopien befinden sich die Beiträge innerhalb geschlossener Papierbögen. Die Seiten muss man also wie bei einer Testamentseröffnung zunächst vorsichtig auftrennen, um den Inhalt begutachten zu können; die Rezeption erhält so einen offiziellen und rituellen Charakter.

Der verschwindende Künstler

Das auf die Wand projizierte Bild zeigt das norwegische Gebiet, das dank der Künstlerin Lara Almarcegui momentan unter Schutz steht. (Foto: Jessica Theis)

Was vergeht – und was wirkt fort? Der zeitlose Charakter dieser Frage kann nicht über ihre besondere Relevanz für das heutige kunstinteressierte Publikum sowie zeitgenössische Kunstschaffende hinwegtäuschen, regen feministische und postkoloniale Diskurse doch gerade zu einer Neubewertung vieler Kunstwerke an, die auch zu einer Infragestellung des Künstler*innenstatus führt – die Unantastbarkeit kanonisierter Künstler*innen ist nicht mehr gegeben, das Bild des (meist männlichen) Kunstgenies überlebt. Aktuelle diskursive Strömungen und theoretische Ansätze machen deutlich, dass die Fremdwahrnehmung eines Kunstwerks und einer Künstler*innenpersönlichkeit über einen langen Zeitraum kaum gesteuert werden kann – obgleich das Internet ganz neue Möglichkeiten zur Selbstvermarktung und -inszenierung geschaffen hat.

Diesen Gedanken greift zum Beispiel Olaf Breuning mit seiner titellosen sechsteiligen Fotoserie auf, die auf einem Selfie basiert. Bei jedem Bild verblassen die Gesichtszüge des Künstlers mehr, bis das Selbstporträt völlig erlischt und an seine Stelle ein Daumen-Hoch-Emoji tritt, das sich von dem blütenweißen Hintergrund abhebt. Die Mehrdeutigkeit des Werks weckt die Neugier des*der Betrachter*in, man kann es zum Beispiel als scherzhaften Abgesang auf das Künstler*innen-Ich in Zeiten von Social Media lesen, in denen Urteile in caesarischer Manier mittels eines Daumenzeichens gefällt werden, die Aufmerksamkeitsspanne des*der Rezipient*in sich stetig verringert und kaum bleibende Eindrücke geschaffen werden – kann da überhaupt noch ein künstlerisches Vermächtnis entstehen? Diese Frage umrundet Breuning auf humorvolle Weise.

Pflücke den Tag

Bei anderen Werken, die Teil der Schau sind, wird ganz nach dem barocken Carpe-diem-Gedanken die Gegenwart und Sinneslust gefeiert, so zum Beispiel bei Carlos Amorales, der in seinen Zeichnungen „Anarchitecture & Amorality“ teils grotesk anmutende Orgien zeigt. Zählt am Ende nicht bloß der gegenwärtige Moment, die Feier des Lebens im Jetzt? Oder kann man es, um es salopp zu formulieren, dabei nicht auch zu bunt treiben? Die Ambivalenz von Amorales’ Beitrag eröffnet einen weiten Interpretationsspielraum; die Konzentration auf das Gegenwärtige, die Verwurzelung im Präsens steht aber zweifellos im Zentrum des Werks.

Bei manchen Künstler*innen findet indessen eine Rückbesinnung auf die familiäre Herkunft statt, sie setzen sich mit ihren Eltern auseinander, deren Erbe sie selbst sind. Das zweiköpfige Künstlerteam MASBEDO, hinter dessen Name Nicolò Massazza und Iacopo Bedogni stehen, hat zum Beispiel einen Film mit dem Titel „Madri“ geschaffen. Hier werden teils intime, teils nüchterne Nahaufnahmen der Haut ihrer Mütter gezeigt, die, gerade weil sie jeweils von Falten und Altersflecken übersät ist und so einer komplexen, von Tälern durchfurchten Landschaft gleicht, eine ästhetische Dimension erhält. Manchmal wird überhaupt nicht sichtbar gemacht, ob bei den gezeigten Ausschnitten nun die Arme, der Bauch oder der Rücken im Fokus stehen – der*die Rezipient*in wird zu einer kontemplativen, die kritische Reflexion zurückstellenden Bildbetrachtung eingeladen. Die Großaufnahmen werden gerahmt von einem zweiten Film, der einen Kinosaal zeigt. Diese Ineinanderfügung der beiden Filme verdeutlicht die Intention des Künstlertandems: ein ihre Mütter liebevoll ehrendes Kunstwerk für die Nachwelt schaffen.

Ein vorläufiger Sieg

Kommt der Kunst auch ein gesellschaftspolitischer Auftrag zu? Wie steht es um diese Art von Hinterlassenschaft – den aktivistischen Einsatz und seine Folgen? Im Schaffenszentrum der spanischen Künstlerin Lara Almarcegui stehen, so der Begleittext, zum Beispiel „Besitzansprüche und Transformationsprozesse von Grundstücken, Brachflächen oder Bodenschätzen“. Im Rahmen ihres Projekts, das den Titel „Mineral Rights, Teitvangen, Oslo“ trägt, erwarb die Spanierin die Mineralienrechte eines naturbelassenen Landstrichs nahe Oslo. Da die Künstlerin allein über die Rechte verfügt, darf keine Firma in diesem Gebiet schürfen und es zerstören – vorerst. Ihre Arbeiten seien ein Erfolg in Bezug auf das Erbe, denn sie bewahren Material, das vor Millionen von Jahren entstanden ist, sagt Almarcegui. Dennoch seien sie auch ein Misserfolg, „weil die Rechte zur Erkundung von Bodenschätzen nicht auf Dauer gehalten werden können“. Mit diesem Urteil weist Almarcegui darauf hin, dass der Handlungsspielraum eines einzelnen Menschen begrenzt und sein Vermächtnis, so gut es auch sein mag, vielleicht nicht von Dauer ist – und doch gelingt ihr, ein Stück Natur bis jetzt vor seiner Verwüstung zu bewahren. Letztlich führt ihr Werk zu der Frage, wie wir heute die Zukunft gestalten und wie solide die Weichen überhaupt sein können, die wir jetzt für zukünftige Zeiten stellen.

Die Kunstausstellung „My Last Will“ bündelt eine Vielzahl an unterschiedlichen künstlerischen Standpunkten, die in jedem Fall eine neue Perspektive auf die Frage „Was bleibt?“ eröffnen. Die Erwartungen vieler Rezipient*innen werden insofern unterlaufen, als dass die wenigsten Arbeiten die morbide Seite, die das Thema durchaus auch beinhaltet, ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellen. Ob der Zugang nun aber ernst oder humorvoll ist – durch die Eindrücklichkeit vieler Werke werden Erinnerungen in den Köpfen der Besucher*innen verankert, die letzten Endes das Erbe der Schau selbst sind. Eine Chance, sich ein eigenes Bild von „My Last Will“ zu machen, hat man noch bis zum 8. September.

 


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