Kunstausstellung „Phantom Limbs“: Das Abwesende in den Fokus nehmen

„Phantom Limbs“ heißt die Ausstellung der Künstlerin Hisae Ikenaga, die aktuell in der Escher Konschthal zu sehen ist. Über raumgreifende Installationen und bewusst unvollständige Kompositionen.

In den Arbeiten der Künstlerin Hisae Ikenaga treffen industrielle Objekte auf Gegenstände, die aus dem häuslichen Alltag stammen.Foto: (© Christof Weber)

Holz, Keramik, Stahl: In den Händen der mit Erfindungsreichtum und gestalterischer Fingerfertigkeit gesegneten Künstlerin Hisae Ikenaga werden diese Materialien ihrer Banalität enthoben, verfremdet gar, sofern sie als Alltagsgegenstände eine bestimmte Funktion erfüllten, und in neue Bedeutungshorizonte integriert – als Kunstwerk, Designobjekt und gegebenenfalls Gebrauchsgut. Dieser komplexe Wandlungsprozess eint die rund 30 Arbeiten von Ikenaga, die unter dem Titel „Phantom Limbs“ in der Escher Konschthal zu sehen sind. Laut Ausstellungstext sind die gezeigten Werke das Ergebnis von – offenkundig ergiebige – Material- und Formstudien, in die sich die Künstlerin in den vergangenen 15 Jahren vertieft hat.

Die Schau erstreckt sich über das gesamte zweite Stockwerk des noch jungen „espace d’art contemporain“ im Süden des Großherzogtums. Wendet man sich nach dem Erklimmen der Treppe dem linken der beiden Räume zu, fällt der Blick sogleich auf die aus dem Jahre 2024 stammende Installation „Untitled Installation“. Hier lagern auf Tischen aus galvanisiertem Stahl Keramikobjekte, deren mannigfaltige Formen an Organisches – wie Esswaren oder auch menschliche Organe – und Anorganisches – wie mechanische Bauteile – erinnern; dort steht ein Hocker, auf dem ein weißer Kittel liegt, Kolben und Metallschalen stapeln sich auf den Tischen und in gläsernen Behältnissen aufbewahrte Keramikelemente bestücken ein stählernes Regal – ein wenig erinnern sie an in Formaldehyd eingelegte Tierpräparate.

Hier werden also unterschiedliche Gegenstände zu einem Arrangement zusammengefügt, das eine ganze Reihe von Räumen anzitiert: Naturmuseum, Laboratorium, Operationssaal, Küche und sogar Mischformen – man denke zum Beispiel an die Küche des Kopenhagener Restaurants „Alchimist“, das dem exzentrischen Koch und Anhänger der Molekularküche Rasmus Munk gehört. In dieser stehen unter anderem ein Bioreaktor und ein Destillierapparat – die Nähe von Labor und Küche ist also durchaus manchmal gegeben und bei dem Kunstwerk „Untitled Installation“ wird diese Verschränkung zu ihrem Höhepunkt gebracht.

Fehlende Gliedmaßen und Raumwahrnehmung

„Untitled Installation“: Wissenschaftlicher Arbeitsraum, OP-Saal, Museum oder Küche – die Installation kombiniert Elemente aus all diesen Räumen. (Foto: © Christof Weber)

Die Ausstellung sei im Dialog entstanden, erzählt Hisae Ikenaga. Sie habe eng mit der Kuratorin Charlotte Masse zusammengearbeitet. „Uns war es wichtig, die Architektur [der Kunsthalle] zu verändern.“ Die Ausstellung umfasst verschiedene Werkserien, die räumlich so angeordnet sind, dass einerseits die Verbindungen zwischen ihnen sichtbar werden und andererseits die Wahrnehmung der Ausstellungssäle beeinflusst wird. So zergliedert zum Beispiel das imposante Werk „Home Tubular Line“, das die Künstlerin eigens für die Schau geschaffen hat, den Raum und lässt dabei gleichzeitig an eine Trainingsanlage, ein Klettergerüst oder auch einen mit einem Geländer ausgestatteten Treppenraum eines Krankenhauses denken – wobei eben dieses Geländer so verformt und erweitert wurde, dass es sich nun um eine labyrinthisch anmutende Konstruktion handelt, die das Auge des*der Betrachter*in in ganz verschiedene Richtungen lenkt.

Humorvoll und mit schelmischer Unbefangenheit spielt Ikenaga in ihren Arbeiten mit der Formsprache der klassischen Skulptur und der Architektur, die mittels institutionalisierten Räumen greifbar wird. Sie bringe Viszerales und Industrielles zusammen, sagt sie. Als medizinisches Phänomen bezeichnet „Phantom Limbs“ (zu deutsch: Phantomglieder) Gliedmaßen, die im Erleben des*der Patienten*in nach ihrer Amputation weiterhin existieren. Unsichtbar und doch fühlbar, das Raumerleben mit bestimmend – das ist auch die Wirkung von Ikenagas Werken, die zudem manchmal selbst über „phantom limbs“ verfügen. Ihnen fehlen nämlich mitunter zentrale Elemente, die von dem*der Rezipient*in mittels seiner*ihrer Imagination wieder hinzugefügt werden. Bei der „Only Wood Series“ hat Ikenaga zum Beispiel Magazinseiten, auf denen Inneneinrichtungen zu sehen waren, so zerschnitten, dass nur noch die hölzernen Bauelemente und Einrichtungsgegenstände zu sehen sind. Die leeren Stellen werden vom*von der Betrachter*in gedanklich komplettiert, hinzugedacht. Zwischen Präsenz und Abwesenheit, Unvollständigkeit und Ganzheit pendeln schließlich die vieldeutigen Kompositionen Ikenagas, die man sich noch bis zum 25. August in der Escher Konschthal ansehen kann.

„Phantom Limbs“, Escher Konschthal (29, bvd Prince Henri, L-4280 Esch-sur-Alzette), Eintritt frei, Mi. – So. 11 – 18 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr. Bis zum 25. August 2024.


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